Verzweiflung

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„Wie ein Vogel in der Nacht, kreisen deine Gedanken durch Raum und Zeit. Auf der Suche nach der Antwort, der Antwort auf die Frage, die seit Langem schon in deiner Seele brennt.“
Stumm sitze ich da. Allein. Lausche dem Klang der Stimme des Sängers meiner Lieblingsband BlutEngel und weiss, dass ausser den tröstenden Tönen niemand da ist. Niemand, den es kümmert. Niemand, der mich hält. Nicht, dass ich das wollte. Bloss nicht. Keine Berührungen. Keine Zärtlichkeit. Keine Nähe. Heute im Bus hat mich eine fremde Frau berührt. Einfach so. Nicht in böser Absicht. Kurz. Sie hat nur kurz ihre Hand auf meine gelegt, mir in die Augen geschaut und kaum merklich genickt. So, als wollte sie sagen: Ich sehe es. Deinen Schmerz. Dann war sie weg. Und ich war durcheinander. So verwirrt. Noch immer weiss ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich blicke umher. Eine angebrochene Flasche Alkohol zu meiner Linken, die Klinge zu meiner Rechten. Sie liegt auf dem kalten Badezimmer Boden und wartet auf mich. Geduldig. Noch habe ich sie nicht benutzt. Ich werde widerstehen können. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Egal. Es kümmert mich nicht. Es macht keinen Unterschied. 
Ich erinnere mich daran, wie wir in der Schule einen Aufsatz schreiben mussten. Das Thema war vorgeschrieben. "Mein Lieblingsraum". Wir mussten ihn beschreiben und erklären wieso. Ich habe gelogen. Mein Lieblingsort in unserem Haus ist das Bad. Dort ist man ungestört. Klopapier ist genügend da, um das Blut abzuwischen. Wasser, wenn es mal wieder tiefer war. Die Dusche, wenn man zu lange da sass oder in Trance war und alles eingetrocknet ist. Einen Schwamm, wenn das eingetrocknete Blut sich nicht allein mit Wasser abwischen lässt, oder aber für den Boden. Ich schrieb: "Mein Zimmer ist mein Lieblingsort. Dort hängen Poster meiner Lieblingsschauspieler und Musiker." Ich weiss nicht, ob meine Lehrerin mir damals geglaubt hatte. 
Dunkelheit um mich herum. Inzwischen wird es drei Uhr morgens sein. Vielleicht ist es auch Mitternacht. Oder schon sieben? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Es ist mir egal. Der einzige Grund, weshalb ich darüber nachdenke, ist, dass jemand aus meiner Familie schon wach sein könnte. Dann würden sie das Bad benutzen wollen. Ich hätte keinen Fluchtweg. Sie würden Fragen stellen. Als ob es sie interessiert. Ich weiss es ja selbst nicht. Warum. Das immerwährende Plätschern des nicht ganz zugedrehten Wasserhahns erschleicht sich meine Aufmerksamkeit.Plitsch, Platsch. Immer wieder. Monoton. Ich höre ihm zu. Plitsch, Platsch. 
Der Wasserhahn weint.
Meine Gedanken schweifen ab. Wandern über endlose Weiten verschiedener Universen, nur um dann wieder hier zu landen. Das Lied beginnt von neuem. Endlosschleife. Ich nehme einen Schluck des alkoholischen Getränks. Dann noch einen. Und noch einen. Normalerweise mache ich das nicht. Es benebelt zu sehr. Kontrollverlust. Das wäre das Schlimmste. Doch heute ist eine Ausnahmesituation. Warum? Weiss ich nicht. Vielleicht gibt es kein Morgen. Vielleicht auch schon. Wir werden sehen. Meine Hand greift wie von selbst zur Klinge. Ich betrachte sie. Sie ist wunderschön. Sie flüstert mir Dinge ins Ohr. Singt mir wunderschöne Lieder vor. Will mich verführen. Einmal ist keinmal? Es wird sowieso nicht bei einem Mal bleiben. Das blieb es nie. Ich starre auf das kleine Stück Metall. Ich kenne mich zu gut.
Letze Woche habe ich sie gekauft. Ich erinnere mich noch genau an den vorwurfsvollen Blick der Kassiererin und mein Schuldgefühl. Doch sie hat nichts gesagt. Was hätte sie auch sagen sollen?

„Doch du fürchtest dich vor der Wahrheit, die deinen Traum zerstört. Die Kälte fliesst durch deine Adern, fühlst die Dunkelheit in dir…“

Chris, manchmal bist du echt keine Hilfe, weisst du das? Ich lächle. Seine Stimme beruhigt. Ich konnte schon so manches Mal widerstehen. Und das nur, weil seine Musik so voller Gefühl und Verständnis ist. Doch manchmal war es auch genau umgekehrt. Und ich konnte genau deswegen nicht widerstehen. Bin ich schräg? Ich glaube schon. Manchmal. Noch einen Schluck Alkohol. Es brennt. Ich schliesse die Augen. Puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie kitzelt mich, als sie zurückfällt. Ich streiche sie mir hinter die Ohren. Weine ich? Meine Hand fährt über mein Gesicht. Und tatsächlich ist da ein nasser Film auf meiner Haut. Ich habe es nicht bemerkt. Das bekannte Klirren von Metall, welches auf glatte Fliesen trifft, holt mich wieder zurück. Ich habe sie fallen gelassen. Es tut mir leid. Ich schaffe es ohne. Glaube ich zumindest.
Plitsch, Platsch. So unglücklich. Die Tränen des Wasserhahns. Sie machen mich traurig.

„Und der Schmerz ruft deinen Namen, wie schon tausend Mal zuvor. Kannst nicht verstehen, kannst nicht mehr warten. Doch du kannst nicht weitergehen…“
Früher habe ich an dieser Stelle immer „So kann’s nicht weitergehen“ verstanden. Mir gefallen beide Versionen. Meine ist fröhlicher. Ich atme tief durch. Ein einziges Mal noch? Ich bringe mich ja schon nicht um. Auch wenn das viele denken. Sie verstehen es nicht. Mir kommt eine andere Zeile eines BlutEngel Liedes in den Sinn, in der Chris sagt: „Niemand wird es je verstehen. Du kannst diesen Weg nicht alleine gehen…“ Ich weiss, er hat Recht. Doch was soll ich tun? Das aufgeben, was am meisten hilft? Ein weiterer Schluck Alkohol und meine Hand, die erneut zur Klinge greift. Ich starre sie an. Ich weiss, es würde helfen. Doch ich weiss auch, dass ich es bereuen werde. Ich schliesse die Augen...

Wie viele Minuten inzwischen vergangen sind, weiss ich nicht. Doch es ist ok. Die Türklinke in meiner Hand. Noch einmal atme ich tief durch. Wappne mich für die kalte Welt da draussen. Lache, dass die Wände sich drehen, doch dies eine, ist eine Lüge. Denn ich weine…

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Würde mich über Rückmeldungen sehr freuen...Ist das erste Mal, dass ich meine Texte in dieser Richtung veröffentliche...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 28, 2014 ⏰

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