Der Wind heulte über die verschneite Ebene. Nichts rührte sich. Nicht einmal die Bäume am Rand des Waldes bewegten sich. Wenn man sie genau beobachtete, stellte man fest, dass sie sogar etwas zu still standen. Obwohl der Sturm die grauen Äste eigentlich wild schütteln müsste, verharrten sie starr und tot. Inmitten dieses heftigen Sturms war eine Gestalt auszumachen. Ein einsamer Wanderer, der in einen schwarzen Umhang gehüllt war. Er stützte sich auf einen Stock aus dunklem Holz. An der Spitze des Stabs prangte ein schwarzer Kristall. Langsam stemmte er sich gegen die unglaubliche Kraft der tosenden Winde. Er hatte die Kapuze seiner Robe tief ins Gesicht gezogen, um sich vor den umherfliegenden Schneeflocken und Eiskristallen zu schützen. Die Spuren, die seine hohen Lederstiefel hinterließen, wurden sofort wieder verweht. Der Wanderer blieb stehen, ballte die behandschuhte rechte Hand zur Faust und hob den Kopf. Ein Geräusch, das wie ein Schnüffeln klang, ertönte, gefolgt von einem bedrohlichen, animalischen Knurren. Daraufhin setzte er seinen Weg fort und stapfte zielsicher auf einen kleinen, schwachen Lichtschein zu. Er wurde nun vorsichtiger und war darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen. Kurz darauf blieb er erneut stehen und schnüffelte. Dann erklang ein leises, boshaftes Lachen, das der Wind sofort in die Weiten der Eiswüste trug.
Das Feuer loderte hell auf, als die Frau zwei Scheite nachlegte. Sie stocherte kurz mit ihrem Hölzernen Stab in den Flammen und setzte sich wieder auf den Holzblock. Ihr gegenüber saß ein junger Mann. Das Flackern des Feuers tanzte über den glänzenden Stahl seiner leichten Rüstung. Die polierten Lederriemen schimmerten und der Frau war sofort klar, dass diese Rüstung noch keine Schlacht gesehen hatte. Neben ihrem Besucher lag ein schweres Langschwert im Schnee. Er räusperte sich und begann mit der traditionellen Anrede: „Sag mir Seherin. Was wird die Nacht bringen?" Die Frau verbarg ihren Unwillen. Sie hasste es, wenn man sie als Seherin bezeichnete. Sie war eine Völva. Sie verfiel nicht in eine Trance um dann von zukünftigen Liebschaften und ruhmreichen Schlachten zu berichten. Ihr inneres Auge war scharf, doch sie konnte seinen Blick nur bedingt steuern. Doch diese Frage war leicht. Sie hörte sie fast jedes Mal, wenn sie Besuch an ihrem Feuer erhielt. Eine Falte erschien auf ihrer Stirn. Nicht aus Missbilligung, sondern aus Überraschung. „Es wird noch kälter. Der Sturm wird zunehmen. Es zieht eine Dunkelheit auf, die schwärzer ist, als der Abgrund jenseits der Welt." murmelte sie. Ihr Besucher blickte sie irritiert an. „Was bedeutet das? Erkläre deine Worte." Das Feuer flackerte nun stärker und drohte zu erlöschen. Die Völva stand auf und zeichnete mit ihrem Stab einige Runen in den Schnee. Sofort wurde es in dem Bereich um das Feuer schlagartig windstill. Dann nahm sie wieder Platz und antwortete leise: „Ihr versteht es nicht. Das sind nicht meine Worte. Es sind auch nicht meine Bilder. Ich spreche aus, was die Götter mir zeigen." Der junge Krieger schien interessiert. „Erzählt mir von den Göttern." forderte er. Die Völva seufzte leise. Man könnte doch meinen, dass die Adeligen die alten Sagen weitergaben, aber scheinbar war das unter dem neuen König nicht mehr der Fall. „Ihr oberster ist Golthar. Seine Kraft ist das Feuer und wie das Feuer ist er gütig und wärmend. Doch er kann auch stürmisch, brutal und gnadenlos sein. Er herrscht von seinem goldenen Thron aus und nahezu alle Wesen der Welt haben ihm Folge zu leisten." Ihr Besucher konnte seine Begeisterung kaum verbergen. „Und was ist mit den anderen Göttern. Wie viele gibt es?" Die Völva seufzte erneut und erwiderte: „Insgesamt gibt es sieben große Götter. Ihre Diener sind ohne Zahl und ein Mensch könnte sie niemals zählen, da ihre Gestalt ihre Macht ausstrahlt. Ein Mensch, der sie erblickt verfällt sofort dem Wahnsinn und der Raserei. Außerdem..." Sie unterbrach sie und sah in die Dunkelheit. „Was ist los? Habt ihr Angst vor dem Wind?" höhnte der Krieger. Die Völva erschauderte leicht und flüsterte: „Es ist nicht der Wind den ich fürchte, sondern viel mehr, was er bringen könnte." Das Heulen des Sturms nahm zu und plötzlich leuchteten die Runen, die die Frau in den Schnee gezeichnet hatte hell auf und erloschen. Dann ging das Feuer aus. Hektisch sprang die Völva auf und holte die Zunderbüchse aus ihrem grauen Gewand hervor. Sie versuchte, das Feuer wieder zu entfachen, doch es gelang ihr nicht. Ihr Besucher stand auf und streckte die Hand aus. „Gebt mir das, alte Frau." Obwohl sein Tonfall herablassend war, gab sie ihm, was er wollte. Er kniete sich an die Feuerstelle und versuchte sein Glück. Währenddessen spähte die Völva in die Nacht hinaus. Der Sturm zerrte an ihrem Umhang und riss ihr die graue Kapuze vom Kopf. Ihr schneeweißes Haar flatterte im Wind und sie drehte sich halb um, um nach der Kapuze zu greifen. Da sah sie die Augen. Sie waren rot, mit senkrecht stehen Pupillen und sie kamen näher. Panik stieg in ihr auf. „Nimm dein Schwert." raunte sie mit erzwungener Ruhe. „Hinter uns." Der Krieger stand auf und griff nach seinem Langschwert. Dann wirbelte er herum und schlug genau auf die Stelle, an der sich die Augen befanden. Ein dumpfes Pochen war zu hören und schlagartig loderte das Feuer wieder auf. Die tanzenden Flammen warfen ihren Schein auf eine Person. Sie trug einen schwarzen Kapuzenumhang. In den Händen hielt sie einen Stab aus dunklem Holz. Damit hatte sie den Schwerthieb abgeblockt. Doch die Völva blickte auf das Gesicht des Fremden und schauderte. Die roten Augen lagen tief in den Höhlen. Die bleiche Haut mutete fast leichenhaft an und wurde von schwarzen Adern durchzogen. Der Fremde öffnete den Mund und ließ ein leises, grausames Lachen hören. Dabei entblößte er spitze Reißzähne. Dann sprach er und die Völva musste sich anstrengend, bei seiner Stimme nicht zu Boden zu sinken. Sie klang tief und krächzend. Eine uralte Bosheit schwang darin mit und sie bohrte sich in den Kopf der Frau. „Begrüßt man so einen Wanderer, der sich verirrt hat?" Der junge Krieger ließ sein Schwert sinken, doch die Völva sah den Ausdruck in den Augen des Fremden und erwiderte: „Ein Wanderer? Du bist nichts anderes als eine Ausgeburt der Unterwelt." Sie hob die Hand und sprach ein Wort, dass zu keiner gesprochenen Sprache gehörte. Ein heller Lichtstrahl brach aus ihrer Handfläche hervor und traf das andere Wesen in die Brust. Die Völva hielt den Strahl noch für einige Sekunden, doch dann konnte sie nicht länger und ließ die Hand sinken. ZU ihrem Entsetzen stand das Wesen immer noch an der selben Stelle. Jetzt sah es allerdings irritiert aus. „Hast du gerade versucht mich zu bannen?" fragte es fassungslos. Die Völva wollte etwas erwidern, doch der Krieger war schneller und schwang sein Schwert mit einer raschen Bewegung. Jeder Mensch wäre davon enthauptet worden, doch sein Widersacher parierte den Hieb mit seinem Stab, trat dann einen Schritt nach vorne und schwang das andere Ende seiner Waffe. Der schwarze Kristall traf den Krieger an der Brust. Der Getroffene schrie auf, viel lauter, als man bei einem einfachen Hieb erwartet hätte. Dann straffte seine Haut sich, fiel ein und wurde braun. Er fiel zu Boden und wurde weiter aufgezehrt, bis nur noch sein Gerippe im Schnee lag. Die Völva wich schockiert zurück. „Das ist schwarze Magie. Ihr seid ein Nekromant." Der andere lachte leise und betrachtete versonnen den schwarzen Kristall an der Spitze seines Stabes, auf dem nun schwarze Blitze knisterten. „Ja und nein. Ich bin nicht ein Nekromant. Ich bin der Nekromant. Ich habe die dunklen Künste perfektioniert." Die Völva sank in sich zusammen. „Du bist Sorûn, der dunkle Imperator." Er nickte lächelnd. „Schön, wenn man mich kennt." Die Frau sah ihm tief in die Augen und fragte: „Warum bist du hier?" Sorûns Miene wurde schlagartig ernst. „Wegen dir." erwiderte er und packte die Völva an den Schultern. Sie wollte sich wehren und blickte dabei in seine Augen. Sie sah, wie seine Pupillen sich ausdehnten und schließlich den gesamten Augapfel ausfüllten und in dieser Schwärze tauchten Bilder auf. Ein Wald aus grauen Bäumen. Nebelschwaden, die zwischen den toten Stämmen hindurch zogen. Und dann war das das Flüstern. Die Völva sah weder die Sprecher, noch verstand sie, was dort gemurmelt wurde,, doch das Geräusch war unglaublich beharrlich und schien direkt in ihren Kopf einzudringen. Langsam kristallisierte sich ein Wort heraus. „Sathire, Sathire, Sathire." Das leise Flüstern schwoll an und schließlich traten auch die Sprecher in Erscheinung. Sie ähnelten Menschen, doch waren sie nur etwa halb so groß und ihre Haut war grau und faulig. Ihre Augen leuchteten gelb und ihre spitzen Reißzähne troffen vor Blut. Das Raunen wurde immer lauter, bis es zu einer Kakofonie Grauen erweckender Laute verschwammen. Die Geräusche dröhnten im Kopf der Völva, bis sie von der gnädigen Schwärze der Ohnmacht umfangen wurde.
