Sophie hatte sich ihr Leben lang auf den Tag ihrer Entführung gefreut.
Die anderen Kinder von Gavaldon lagen jetzt schlotternd in ihren Betten, denn sie wussten, dass sie ihr Zuhause nie wiedersehen würden, wenn der Schulmeister sie holte. Sie träumten von einem Monster mit roten Augen, das sie aus ihren Betten riss und ihre Schreie erstickte.
Sophie dagegen träumte von einem Prinzen.
Und von einem Ball, der ihr zu Ehren auf einem prächtigen Schloss gegeben wurde.
Der ganze Saal wimmelte von Verehrern und keine Rivalin war zu sehen. Nur hübsche Prinzen mit glänzendem Haar, glatter sonnengebräunter Haut, charmant und ritterlich, wie es sich für einen Prinzen gehört. Einer stach besonders hervor. Er hatte leuchtend blaue Augen und schneeweißes Haar. Das war ihr Märchenprinz, mit dem sie ihr Leben verbringen würde. Strahlend ging Sophie auf ihn zu, doch dann ertönten Laute Hammerschläge und ihr Traumprinz zerbarst in tausend Stücke.Sophie schlug die Augen auf. Die Sonne schien hell in ihr Zimmer hinein, von Prinzen aber keine Spur.
Nur der Hammer war kein Traum.
»Aber Vater, ich brauche meinen Schönheitsschlaf.«, jammerte sie.
»Ich will nicht mit verquollenen Augen rumlaufen.«
»Alle sagen, du wirst dieses Jahr mitgenommen.«, brummte ihr Vater.
Er nagelte eine dicke Querstange vor ihr Fenster, das ganz mit Brettern, Vorhängeschlössern und Stacheldraht verbarrikadiert war. »Ich soll dir die Haare scheren und dein Gesicht mit Schlamm einschmieren. Wer glaubt denn an so einen Blödsinn? Doch heute Nacht kommt hier keiner rein, so viel steht fest.«
Die letzten Worte unterstrich er mit einem donnernden Hammerschlag.
Sophie hielt sich die Ohren zu und funkelte noch vollkommen verschlafen ihr schönes Fenster an, das jetzt völlig verschandelt war.
»Mein Fenster verrammeln. Wie einfallsreich.«
»Warum sollte er ausgerechnet dich mitnehmen?«, knurrte ihr Vater. »Wenn der Schulmeister gute Mädchen braucht, holt er sich Gunildas Tochter.«
»Was, Belle?«, rief Sophie empört.
»Ja, Belle ist eine gute Tochter. Sie kocht für ihren Vater und bringt ihm das Essen in die Fabrik. Und die Reste gibt sie der armen Alten auf dem Dorfplatz.«
Sophie verdrehte die Augen. Nie im Leben würde sie ihren Vater mit Speckknödeln und Gulasch füttern.
Der fettige Qualm würde ihr nur die Poren verstopfen, und hungern musste er deshalb noch lange nicht. Er konnte ja die Gerichte essen, die sie für sich selber kochte.
Rote-Beete-Brei, Brokkoli, fettfrei gedünsteter Spinat. Ihr Vater konnte froh sein, dass er nicht aus allen Nähten platzte, so wie Belles Vater.
»Wie du schon sagst, Blödsinn.«, säuselte Sophie mit einem süßen Lächeln, fegte an ihm vorbei und knallte die Badezimmertür hinter sich zu.
Seufzend betrachtete sie sich im Spiegel. Der fehlende Schlaf hatte seine Spuren hinterlassen. Ihr hüftlanges Haar, das sonst immer wie gesponnenes Gold glänzte, war ein wenig matt. Ihren jadegrünen Augen fehlte der Glanz und ihre vollen roten Lippen wirkten etwas trocken. Selbst ihre Haut schimmerte nicht so pfirsichzart sie sonst.
Schön war sie natürlich trotzdem.
Eine Prinzessin. Auch wenn ihr Vater keinen Blick dafür hatte. So wie ihre Mutter, die leider viel zu früh verstorben war.
»Sophie, du bist viel zu schön für diese Welt.«, waren ihre letzten Worte gewesen. Jetzt war ihre Mutter in einer besseren Welt und Sophie würde diesem langweiligen Gavaldon auch bald den Rücken kehren.
Heute Nacht wenn der Schulmeister sie holen würde, begann ihr wahres Leben. Aber in diesem Zustand konnte sie ihrem Entführer unmöglich unter die Augen treten.
Als Erstes rieb sie ihr Gesicht mit Fischeiern ein. Die rochen nach Schweißfüßen, halfen aber todsicher gegen Pickel. Danach massierte sie ihre Haut mit Kürbismus, spülte sie mit Ziegenmilch ab und trug eine Gesichtsmaske auf (aus Melonen und Schildkröteneigelb). Während die Maske einwirkte, blätterte Sophie in einem Märchenbuch und trank Gurkensaft, der ihre Haut taufrisch hielt. Lächelnd schlug sie ihr Lieblingsmärchen auf.
Das Märchen von der bösen Hexe, die in einem mit Nageln gespickten Fass einen Hang hinuntergerollt wurde, bis nichts mehr von ihr übrig war als ihr Armreif, der aus den Knochen kleiner Jungen bestandSophie starrte auf das Armband und dachte dabei an ihre Gurken. Gab es überhaupt Gurken im Märchenwald? Oder hatten die anderen Prinzessinnen dort schon alle Vorräte geplündert? Keine Gurken. Sophie verzog das Gesicht. Wie sollte sie sonst ihre Morgentoilette durchführen?
Ein paar getrocknete Möhrenflocken rieselten auf die Buchseite. Sophie schaute in den Spiegel und erschrak. Oh nein! Diese Stirnfalten! Erst Schlafmangel, und jetzt auch noch Falten. Schnell entspannte sie ihr Gesicht und verbannte die Gurken aus ihren Gedanken.
Sophies restliche Morgentoilette (die ein ganzes Kapitel füllen würde) beinhält so exquisite Zutaten wie Tomaten in Öl, Cashewnuss Creme, Pferdehuf Pulver und sogar Kuhblut. Zwei Stunden später trat Sophie aus dem Haus Sie trug ihr rosafarbenes Kleid, ihre gläsernen Schuhe und einen perfekt geflochtenen Zopf. Bis zur Ankunft des Schulmeisters blieb ihr gerade noch ein Tag Zeit, und den wollte sie nutzen. Der Schulmeister sollte sehen, wie gut sie war, damit er nicht etwa Belle an ihrer Stelle mitnahm, oder sonst eine von diesen Heuchlerinnen.
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The School for Good and Evil - Es kann nur Eine geben
FanfictionThe School for Good and Evil - Es kann nur Eine geben - '''Fanfiction''' ~Auf der Schule der Guten und der Bösen werden Jugendliche darauf vorbereitet, ihr ganz persönliches Märchenabenteuer zu erleben. Die gestylte Sophie sieht sich schon als Prin...