Eiskalte blaue Augen starrten auf die wirkliche Welt. Menschen die staunten, lachten, sich fröhlich unterhielten und in tiefer Inspiration versunken waren erwiderten den Blick ohne es auch nur zu ahnen. Blanker Neid stand dem blonden Mädchen im Gesicht geschrieben. Ihre langen Locken fielen ihr über die Schultern. Noch nie hat sie sie schneiden müssen. Noch nie sind sie auch nur einen cm gewachsen.
Das Mädchen war klein und zierlich. Ihre Haut war blass wie die einer Puppe. Das dunkelgrüne Kleid schuf einen erstaunlichen Kontrast. Dieses Kleid trug sie schon immer. Sie musste sich noch nie ein anderes suchen, weil sie nie gewachsen ist.
„Mama! Ich will hier nicht sein! Es ist so öde!“ Marys Ohren zuckten leicht auf und ihr Blick fiel auf einen kleinen Jungen auf der anderen Seite des Gemäldes. Er war optisch jünger als sie, trug ein weißes Hemd und eine einfache schwarze Hose. Es war deutlich zu erkennen, dass seine Mutter ihn eingekleidet hatte und er sich mit Haut und Haaren dagegen zu wehren versucht hat. Es lag ein Ausdruck von kompletter Unzufriedenheit auf seinem Gesicht als er an dem Rock seiner Mutter zog.
„Eine Perfektionistin“, dachte sich ihre Beobachterin mit einem interessierten Lächeln. Alles an dieser Frau saß perfekt; die braunen, hochgesteckten Haare, das aufwändige und bestimmt sehr teure Kleid und auch die Schminke war sehr sorgfältig gewählt worden. „Bestimmt“, kicherte Mary belustigt, „sucht die Alte einen Mann! Damit sie nicht mehr allein mit diesem nervigen, undankbaren Kind sein musste! Bestimmt hat der Vater sie verlassen!“ Sie senkte nicht ihre Stimme sondern brach in schallendes, gehässiges Gelächter aus. Niemand würde sie jemals hören außer die düsteren Wände und Gemälde, die ihr noch nie geantwortet haben.
Mit stapfenden Schritten stolzierte das junge Mädchen davon. Jeden Tag ging sie den selben Weg entlang. Von dem Gemälde, das ihr die wirkliche Welt zeigte an den grauen Wänden vorbei mit etlichen Bildern von fiktiven Frauen in blau, rot, gelb und grün. Zudem kicherten ihr einige andere Kunstwerke ihres Vaters nach und verfolgten sie stets mit den Augen. Doch keines der Werke sprach mit ihr. Immer waren ihre Gänge durch diesen Flur getränkt in Einsamkeit. Auf halber Strecke zu ihrer ganz eigenen Kunstausstellung senkte sie den Blick und beobachtete die Fliesen unter ihren Füßen. Mit jedem Schritt den sie machte begleitete sie ein leises klackendes Geräusch von ihren Schuhen.
Manchmal prallte das Klacken in einem sehr langsam Takt an die Wände und manchmal erhalte es sehr schnell hintereinander. Vor einiger Zeit hatte Mary angefangen Melodien zu laufen. Ständig dachte sie sich dazu irgendeinen Text aus, wie ihr halt gerade war. Doch dazu hatte sie heute keine Lust.
Es gab Tage, da ging sie lachend durch die Gänge. Meistens tanzte sie dabei mit ihren liebsten Puppen! Sie waren nahezu komplett blau. Blau war eine wirklich schöne Farbe. Hin und wieder schnappte sie sich aber auch welche der kopflosen Skulpturen, hakte sich bei ihnen ein und sprang durch die Gegend. Dabei erhaschte sie ein kleines bisschen Freude. Hier unten gab es nicht viel, worüber man sich erfreuen konnte. Guertena, der Mann, den sie lediglich Vater nannte, war nie ein großer Fan von fröhlichen Farben gewesen. „Man merkt anhand seiner Werke“, pflegte Mary oft die Besucher der Galerie zu zitieren, „dass er ein sehr nachdenklicher und düsterer Mensch gewesen ist. Dieser Strich und oh die Farbeingebung!“ Dabei klemmte sie meistens ein paar Haarsträhnen zwischen Oberlippe und Nase, drückte die Brust heraus, nahm tief Luft und sprach mit einer ganz tiefen Stimme.
Es gab allerdings auch Tage, an denen sie nirgends hinging. Dabei verkroch sie sich in Zimmer, in denen sie ganz allein war. Meistens suchte sie sich dafür das Zimmer mit dem „reservierten Platz“. Ein optisch grausames Folterutensil, jedoch alles nur Schein. Denn in Wahrheit war es ein einfaches Sofa. Zugegeben, nicht das gemütlichste der Welt, doch alle Mal besser als alles andere, was hier zu finden war. Mary mochte diesen Raum nicht. Seit sie denken konnte war das schon immer ihr Ort zum Trauern. An diesen schweren Tagen setzte sie sich nicht auf das Sofa, sondern rutschte in die hinterste Ecke der Wände, machte sich ganz klein und schluchzte ihr Leid hinaus. Sie war so schrecklich einsam. Still bei sich dachte sie sich immer, dass sie es am schwersten von allen hatte. Ohne jegliche Begründung daran zu hängen. Ihres Erachtens nach litt sie einfach am schwersten. Marys Schultern zuckten mit jedem Schluchzen und leises Gewimmer machte in den Gängen dabei seine Runden. Sie rief oft nach ihrem Vater, versprach immer und immer wieder ein braves Mädchen zu sein, wenn er sie nur endlich hier raus holen würde. „Vater, Mary liebt dich doch so! Sie wird immer ganz artig sein, tun was du sagst und niemals nerven, wie die anderen Kinder... nur bitte... bitte komm zurück!“ Manchmal verflog ihr Flehen nach einigen Stunden! Doch manchmal breitete es sich auf mehrere Tage aus. Einmal sogar über eine ganze Woche.
An anderen Tagen jedoch, wie diesen, empfand sie einfach nur Leere. Wie ein totes Gemälde ohne Seele. War sie das nicht auch...? Dieser Gedanke verfolgte sie und war ihr stetiger Begleiter. Wie ein Schatten heftete er sich an ihren erschöpften Körper und riss sie in diese schwarze Leere hinab.
Mit vereistem Blick blieb Mary stehen und sah zu ihrer rechten. Die Skulptur einer gigantischen, blutroten Rose ragte aus dem Boden und entfaltete ihre künstliche Schönheit. Wie oft war Mary nun schon an dieser Rose vorbei gelaufen? Sie konnte nicht gut zählen, doch sie würde Millionen von Malen sagen. Heute allerdings fühlte es sich anders an. So fremd!
Es war schwer zu beschreiben doch es fühlte sich an, als würde jemand direkt neben ihr stehen! Eine lebendige Person in Fleisch und Blut! Doch das war doch nicht möglich!
Hypnotisiert von dieser Wärme streckte Mary ihre Hand aus und streifte in einer hauchenden Berührung das Werk. Das war es doch auch! Ein einfaches, lebloses Ausstellungsstück, wie alles hier drin, oder? Plötzlich erschütterte Mary ein Erdbeben und sie klammerte sich kreischend an die Absperrung um die Rose herum. Pure Angst spiegelte sich in ihrem Blick. So etwas ist noch nie vorgekommen. Würde sie jetzt sterben? Was war nur los? Abrupt, so schlagartig wie es gekommen war, erstarb es wieder. Was war das? Etwas hatte sich geändert! Nie hat sie Luft zum Leben gebraucht, doch für einen Moment fühlte sie sich als würde sie ersticken. Zum ersten Mal war sie vollkommen außer Atem.
Nur zitternd raffte sie sich auf die Beine und sah sich panisch nach allen Seiten um. Was wenn jetzt wirklich etwas schreckliches passieren würde? Vielleicht wurde in der wirklichen Welt die Galerie beschädigt. Nein, sie wollte doch gar nicht sterben!
So erdrückend ihr Dasein auch war, sie wollte es nicht! Im Gegenteil! Sie sehnte sich so sehr danach richtig leben zu dürfen. Von der Entschlossenheit gepackt rannte sie los. Das Klacken ihrer Schritte wurde ihr von allen Wänden entgegen geschossen, doch das interessierte sie nicht. Sie musste sich verstecken! Irgendwo! Auf einer steinernen Treppe rutschte sie schließlich aus und landete schwer auf dem Boden. Sie hat nie Schmerz empfunden. Doch durch diesen Sturz wuchs die Panik in ihr. Sie fühlte sich geschnappt und schrie aus Leibes Kräften.
In diesem Moment öffnete sich ihr eine Tür. Sie hatte exakt die selbe Farbe sie wie Wand. Noch nie hatte sie sie bemerkt. Von ihrem Schreck und der Verwunderung gepackt verstummte sie und starrte gebannt auf den nun offenstehenden kleinen Raum.
Das war es! Ihr Versteck! Ihr Versteck, bis alles wieder normal werden würde. Schnell verschwand sie darin und schloss die schwere Tür hinter sich. Hier drin war es eng und dunkel, doch das machte Mary nichts. Sie mochte es, wenn sie sich zusammen kauern konnte und niemand sie ansah.
Leise fing sie an zu kichern. Ihr Körper erzitterte und sie schlang ihre Arme um sich selbst. „Hier bin ich sicher! Hier bleibe ich! Hier bleibe ich, bis Vater mich abholen kommt! Er ist bestimmt schon auf dem Weg zu mir!“ Wahnsinniges Gelächter erfüllte den kleinen Raum und Mary begann sich immer und immer wieder um sich selbst zu drehen, bis ein klirrendes Geräusch sie zum stoppen zwang. Eine Vase, die sie nicht bemerkte hatte, fand ihr Ende in Scherben und vor Marys Füßen lag eine strahlend gelbe Rose. Langsam hob sie sie auf. Eine Fälschung... wie alles hier drin. Doch das war nicht wichtig! Mary mochte gelb. Es war eine wirklich schöne Farbe...
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Eternal loneliness
FanfictionEinsam streift sie durch die Gänge und spricht zu den toten Gemälden. Könntest du ein Leben in völliger Isolation verbringen? Mary kann es auch nicht. Doch sie muss. [Ein Einblick in Marys tägliches Leben unmittelbar vor dem Spielbeginn]