Verwirrt schaute ich ihm hinterher. Dieser Typ hatte mir noch nicht mal seinen Namen gesagt. Kopfschüttelnd drehte ich mich um. Ich stand vor einem kleinen Laden mit pastellrosanen Wänden und Markisen. Automatisch begann ich zu lächeln. Es war alles so wie ich es mir vorgestellt hatte. Immernoch lächelnd kramte ich nach dem Schlüssel in meiner Tasche. Er schien auf einmal mehrere Kilo schwer zu sein und meine Hand zitterte leicht, weswegen ich einen Moment brauchte um die Tür zu öffnen. Schließlich drückte ich sie auf.
Als ich über die Schwelle trat erklang ein kleines Klingeln. Verwundert schaute ich nach oben und erblickte ein kleines Windglockenspiel aus Bambus. Der Besitzer musste es hier vergessen haben. Eine schönere Begrüßung hätte ich mir nicht vorstellen können.
Selbst die endlos vielen Kisten die schon von dem Umzugsunternehmen hier her gebracht wurden konnten mir meine gute Laune nicht nehmen. Ich wollte mich gerade an die Arbeit machen, wurde jedoch von einem lauten Klingeln unterbrochen. Stirnrunzelnd schaute ich auf mein Handy. "Ach, jetzt funktionierst du wieder.", meckerte ich. "Und wenn ich dich einmal in meinem Leben brauche beschließt du ein Softwareupdate zu machen." Jetzt redete ich schon mit meinem Handy. Ich brauchte definitiv mehr soziale Kontakte. Ein Grund dafür, dass ich den Anruf annahm."Was gibt's?", fragte ich.
"Was gibt's?!", äffte mich eine schrille Stimme am anderen Ende der Leitung nach. "Du wolltest dich melden wenn du in Seoul bist! Ich hatte Angst um dich, ich meine vielleicht ist ja dein Flugzeug abgestürzt oder du wurdest von einem Mafiaboss entführt... und wage es jetzt ja nicht die Augen zu verdrehen!"
"Woher wusstest du, dass ich die Augen verdreht habe?", ich lehnte mich genervt gegen die Wand.
"Ertappt! Ich kenne dich halt zu gut, Schwesterherz.", antwortete meine Schwester zuckersüß.
"Charlie... Ich hab echt keine Zeit", seufzte ich.Sie war von uns beiden schon immer die hübschere und klügere gewesen. Aber ich war ihr nicht böse. Schwer zu glauben, aber so etwas wie Streit gab es zwischen uns beiden kaum. Ja, ich war manchmal genervt von ihrer aufgedrehten Art, aber das konnte man kaum als ernsthaften Streit beschreiben. "Aimée, ich will doch bloß mit dir reden! Mama macht sich auch Sorgen, obwohl sie es nicht zugeben will." Ich konnte mir ihren Schmollmund bildlich vorstellen und der Hauch eines schlechten Gewissen überkam mich.
"Es ist wirklich alles gut. Ich hatte nur in den letzten Tagen ziemlich viel Stress, ich rufe euch später nochmal an."
"Wirklich? Aimée, lüg mich nicht an, du weißt das ich das hasse." Damit war sie nicht allein. Wir beide waren in unserer Vergangenheit schon genug belogen wurden."Es ist wirklich alles gut. Ich ruf euch dann an.", versprach ich ihr. Ich wollte mich gerade schon verabschieden, als mir noch etwas einfiel. Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. "Charlie, sag mal, habt ihr was von..."
"Nein.", unterbrach sie mich. Sie hörte sich verängstigt an. "Sicher?", fragte ich noch einmal nach. Ich merkte es sofort wenn meine jüngere Schwester mich anlog, wie jetzt. "Jaja, jetzt mach weiter mit was auch immer du gerade gemacht hast, viel Spaß. Tschüss!", damit hatte sie aufgelegt und ich schaute nur ungläubig auf mein Handy. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Frustriert begann ich einige Kartons auszupacken.-
Mittlerweile war es schon 17:30 Uhr und in einer halben Stunde würde meine Schicht beginnen. Ich war in meinem Atelier noch nicht sonderlich weit gekommen. Es war ärgerlich, da ich so schnell wie möglich anfangen musste Bilder zu verkaufen, sonst würde ich die Miete nicht bezahlen können. Ich raufte mir die Haare. "Verdammt. Alleine komme ich hier nicht weiter." Ich hatte alles ein wenig unterschätzt, aber ich wusste auch nicht wen ich um Hilfe fragen sollte.
Ich schnappte mir meine Uniform, machte mich fertig und schloss schließlich die Tür des kleinen Ladens ab.
Die Bar in der ich arbeitete war in Itaewon und somit nur zwanzig Minuten entfernt. Ein Lächeln stahl sich erneut auf meine Lippen, als ich daran dachte wieder in das Viertel zu gehen. Ich mochte Itaewon wirklich. "Die ganze Welt trifft sich in Itaewon.", hatte mir mein Chef gestern erklärt. Er hatte Recht, es gab wirklich Menschen aus der ganzen Welt in Itaewon und, am allerwichtigsten, sie wurden hier akzeptiert. Eine Kollegin hatte mich vorgewarnt, dass es nicht immer einfach sei Nachtschichten zu arbeiten, nicht nur wegen der Kunden. Aber ich freute mich darauf.
Je näher ich Itaewon kam, desto dichter wurden es auf den Straßen. Ich schob mich förmlich durch die Menschenmengen, das leuchtende Neonschild meines Arbeitsplatzes fixiert.
"Itaewon Eastside", verkündeten die pink-leuchtenden Buchstaben.-
"Aimée, beeil dich doch mal!"
Ich warf Ha-yoon einen vernichtenden Blick zu. Es war gerade einmal mein zweiter Tag heute, ich verstand wirklich nicht warum sie so einen Stress machte. "Sei nicht so, es ist erst ihr zweiter Tag!", Min-sik, der Barkeeper, sprach genau das aus was ich mir gerade eben gedacht hatte. "Man, Man. Kaum ist Lee nicht da muss sie sich als Chef aufspielen.", murmelte er so leise, dass nur ich es verstand. Ich lächelte ihn dankbar an, dann fuhr ich damit fort die Gläser abzuwaschen, während er in einer unglaublichen Geschwindigkeit einige Zitronen für die Drinks schnitt.Seufzend sah er auf seine Armbanduhr. "Es ist 20:30 Uhr, der Hauptansturm müsste in einer Stunde losgehen. Wir machen es wieder so wie gestern, okay?"
Ha-yoon, die inzwischen auch mit einem Tablett in der Hand am Tresen stand, stöhnte genervt. "Ich hab keinen Bock die Drinks zu servieren und hier die ganze Zeit hin und her zu rennen, während Aimée bloß hier steht und abwäscht." Min-sik warf ihr einen vernichtenden Blick zu. "Erstens: Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt, ich wollte nur wissen ob es für Aimée okay ist. Es ist erst ihr zweiter Tag, also hör auf so ein Ekelpaket zu sein." Ha-yoon wollte schon etwas erwidern, aber Min-sik Schnitt ihr das Wort ab. "Zweitens: Ich will das Aimée lernt ein paar Drinks zu machen, damit sie mich hier besser unterstützen kann. Und jetzt halt den Mund und schaff die hier zu Tisch sieben." Schwungvoll knallte er zwei Mojitos auf ihr Tablett, wobei er den halben Tresen voll spritzte. "Und du...", sein Blick traf meinen. "... aufwischen und später zeig ich dir wie man ordentliche Cocktails macht. Erst schneidest du jedoch die hier, aber bitte hinten, in der Küche." Er drückte mir einen Korb Zitronen in die Hände. "Viel Spaß."
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SEOUL [on going]
Fanfic《 "Mein Lieblingszitat von José Ortega Y Gasset ist: 'Die Kunst ist eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet ist.' Und das hier, Joon, ist meine Insel.", sagte sie lächelnd. 》 Eine Geschichte, in der zwei Menschen, die unterschiedl...