- Kapitel 4 -

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„Also wenn du gehen möchtest, kannst du das natürlich, aber ist es nicht zu spät geworden? Ich würd ja glatt sagen, du möchtest fliehen.", sagte der Unbekannte mit dem schönen Gesicht. Schnell fügte ich verlegen hinzu: „Ne–Nein, natürlich möchte ich das nicht. Ich wollte nur–"
„Du wolltest nur was?", fragte er mit einem skeptischen Unterton. Dabei näherte er sich, sodass sich der Abstand zwischen uns immer mehr verringerte. „Ich–Ich wollte nur schauen, ob auch die Tür wirklich abgeschlossen ist.", sagte ich stotternd. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich wirklich gestottert und war nervös. Bitte, solle er nicht auch noch meine Nervosität aufgrund meiner rot werdenden Ohren erkennen. Schnell deckte ich sie mit meinen langen Haaren ab. Ich war echt froh meine Haare letzte Woche nicht geschnitten zu haben.

Als er plötzlich zu lachen anfing, war ich verwirrt aber auch erleichtert, weil er sich so auch entfernte. Mich hatte die Nähe eines Mannes noch nie durch den Wind gebracht. Es liegt nur an dem anstrengenden Tag–an nichts Weiterem, dachte ich mir. Langsam erschien es schon fast lustig, wie die Hoffnung in mir einfach nicht abstarb. „Wie du siehst und sicherlich gemerkt hast ist die Tür abgeschlossen, Liebes. Also muss du dir keine Sorgen machen.", vergewisserte er mich während er in ein großes und gut beleuchtetes Zimmer ging. Dort, wo auch die Uhr andauernd tickte. Ich war froh ihn nicht mehr gegenüber stehen zu müssen. So konnte sich mein Körper wieder normal benehmen.

Nach einer kurzen Weile sammelte ich meinen Mut und ging ihm hinterher zum Wohnzimmer. Er saß auf einem großen weißen u-förmigen Sofa und las ein Buch. Er rührte sich kaum vom Fleck, so als wär ihm meine Anwesenheit egal oder er hat sie einfach nicht wahrgenommen. Irgendwie – aus welchem Grund auch immer – verletzte es mich. Wie stur konnte ein Mensch nur sein? Ich konnte kein Titel erkennen, aber es handelte sich nicht um einen Roman – es sah eher wie ein Sachbuch oder nach etwas Literarischem aus. „Wo ist Lea?", fragte ich in die Stille hinein. Ich merkte, wie er sich erschreckte – er dachte vermutlich, dass ich schon wieder in mein Zimmer gegangen war. Dass er mich nicht bewusst ignoriert hat, erleichterte mich. Vielleicht war er auch einfach ein guter Schauspieler? Schnell sammelte er sich und antwortete mir mit einem verwirrtem Gesichtsausdruck: „Wer?"
Ich schaute ihn nur genervt an. „Wer ist wo und wer ist zum Teufel Lea?". Er stand auf und kam mir entgegen. Er fragte mich besorgt, ob ich eine Gehirnerschütterung habe oder unter einem traumatischen Schock leide. Seine ironische Art ging mir echt auf die Nerven und das zeigte ich ihm mit meiner Antwort auch. „Das Mädchen, die mich hierher gebracht hat. Die Freundin von Noah–ehm Herr Hamlin meine ich natürlich." „Die Freundin von wem–?", er fing laut zu lachen an, sodass seine Stimme das ganze Haus ausfüllte. Instinktiv schaute ich mich um, da ich befürchtete, dass er mit seinem beinahe Brüllen das ganze Haus erweckt hatte.
„Keine Sorge, niemand außer uns beiden ist in diesem riesigen aber gemütlichen Ferienhaus. Zurück zu unserem Thema. Wer ist also diese Lea und warum suchst du sie?", fragte er mich mit einem Blick, so als würde er mir nicht trauen.
„Bin nicht ich diejenige, die andauernd Fragen stellen müsste und nach Antworten wartet. Ich bin doch die, die nicht weiß, wo sie ist und was sie hier sucht und was bei allen Göttern sie mit ihrem Leben anfangen soll. Und jetzt stehst du hier vor mir und fragst mich Sachen, die du wissen solltest.", ich war wütend darauf, dass er so tat, als wüsste er nichts und mir das Gefühl gab, dass ich vollkommen verblödet bin. „Ich bin nicht Dumm oder traumatisiert Okay? Also jetzt sagst du mir, wo Lea ist oder ich jagt dich aus diesem Haus!" Ich hatte wirklich von all dem die Schnauze voll. Ich wollte endlich antworten. Ich hatte kaum geatmet. Eigentlich bin ich eine ruhige Person, aber wie sich Vieles heute geändert hat, habe ich mich anscheinend auch verändert – vielleicht.

„Bist ja doch nicht so eine Stille, wie ich dachte. Hat schon fast kein Spaß gemacht."
„Wir reden hier gerade nicht über mich. Wo ist Lea?"
„Ich denke, Liebes, wir sollten Mal Lea und Noah zur Seite legen. Interessiert es dich denn nicht, wer ich bin?"
Ich drehte mich um und wollte gerade gehen, da es sich nicht lohnte mit so einem arroganten und nervigen Typen zu reden, der mir keine Hilfe darstellte, da forderte er mich auf zu warten. „Okay, du hast gewonnen. Lass uns reden. Aber ich beantworte dir nur ein paar Fragen, weil du so schöne braune – oh warte fast pechschwarze – Augen hast." „Ich fühl mich geehrt Herr unbekannt und arrogant", entgegnete ich ironisch. Wir haben uns zusammen auf das Sofa hingesetzt und erst jetzt merkte ich, wie fertig ich wirklich war. Ich benötigte Schlaf – und Essen – viel Schlaf und Essen. „Unbekannt und Arrogant also?", wiederholte er meine Worte, so als könnte er es immer noch nicht glauben, dass ich ihn so definierte. Schnell warf ich ihm einen warnenden Blick zu, damit er wieder begriff, dass es ich Fragen hatte und sofort die Antworten brauchte. „Okay, womit fangen wir an?"
„Wo ist Lea? So wie es aussiehst kennst du sie anscheinend schon?"
„Ja ich kenne sie. Laut Noah, soll ich mich aber von dir fern halten, deswegen kannst du dir sicher sein, dass ich ein Kopf kürzer bin, wenn er erfährt, dass ich dir diese Fragen beantworte"
„Laut Noah? Bist du irgendwie sein Diener oder so?"
„Nein", sagte er lachend „Er ist ein guter Freund von mir."
„Okay, aber du bist trotzdem hier? Warum?", fragte ich.
„Ich sollte bei dir bleiben diese Nacht. So als Beschützer", er zwinkerte mir dabei zu und ich musste mich zurückhalten nicht die Augen zu verdrehen. „Eigentlich wäre Lea hier, aber sie musste kurz weg."
„Wer bist du? Und wo ist überhaupt Herr Hamlin"
„Du–"
„Und ach ja ich brauche keinen Beschützer!", unterbrach ich ihn.
Er lächelte und nickte verständnisvoll. Dann fuhr er fort: „Hast du mich immer noch nicht wieder erkannt? Puh–war wohl wirklich ein harter Tag."
Entweder war der Mann wirklich dumm oder er wusste einfach nicht, dass ich in einem blutigen Klassenzimmer zwischen dutzend Leichen, die meine Freunde waren, aufgewacht war und mein Zwillingsbruder tot neben mir lag.

„Eindeutig ein harter Tag", stellte er fest, als ich ihm nicht mehr antworte und stattdessen in sein Gesicht schaute, so als verstünde ich nur Bahnhof. In seinem Gesicht nahm Besorgnis die Stelle von der Ironie ein und er fügte hinzu, während er schon halb am wieder aufstehen war:
„Komm, Elea, ich bring dich wieder nach oben. Ich denke so viel reicht für heute." „Nein warte mir geht es gut. Es war einfach ein anstrengender Tag.", das reichte aber nicht aus, um ihn zu überzeugen. Zudem war es eine grauenhafte Lüge, denn es ging mir nicht gut. Er zog mich schon mit sich zur Treppe. Ich war wirklich fertig. Meine Beine und Arme machten nicht mehr mit und mein Kopf? Ja der war sowieso schon überfühlt mit tausenden von unbeantworteten Fragen.

Angekommen in meinem Zimmer ging ich sofort zu meinem Bett und setzte mich darauf. „Warum sind hier so viele Zimmer, wenn niemand außer uns hier ist?", doch auch diese Frage konnte ich auf die Liste >unbeantwortete Fragen< schreiben. „Gute Nacht Elea...", sagte er nur stumpf und ging aus dem Zimmer und ich blieb alleine in der Dunkelheit mit tausenden Fragen in meinem schon übermüdeten Gehirn. Ich machte das Fenster auf und legte mich hin und spürte einen kleinen kalten Windzug auf meinem Körper. Ich wusste jetzt, wo Lea ist, aber diese Information brachte mir letzten Endes nicht so viel. Der Unbekannte ist es geschickt angegangen, denn genau von den zwei Dingen, die ich unbedingt wissen wollte hatte er mich mit seiner vorgespielten Besorgnis abgelenkt.
Wer ist dieser Mann und woher kenne ich ihn?
Wo ist Noah hin? Können denn die ganzen Polizeisachen so lange dauern? Ich werde darüber nachdenken, aber nicht heute. Nicht jetzt, dachte ich mir. Dennoch ließen sie mich nicht in Ruhe – All diese verdammten Gedanken!

Ich konnte nicht anders, als darüber nachzudenken, ob das Alles wirklich die richtige Lösung war.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 27, 2020 ⏰

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