- Kapitel 1 -

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In diesem Moment wusste ich wirklich nicht mehr, wo ich hingehöre. Ich wusste nicht mehr, ob ich jemals wieder ein richtiges Zuhause haben werde. Etwas in mir sagte zwar, dass das gerade nicht meine einzige Sorge war, aber ich kann es einfach immer noch nicht realisieren. Mein Leben ist wahrscheinlich heute beendet worden. Meine Zukunft, meine Träume, meine Familie – das Alles musste ich an diesem Tag hinter mir lassen.

Er schaute mich an, ich spürte das. Seine Blicke waren auf mich gerichtet und er wartete auf eine Reaktion, einer Mimik – er wartete auf Etwas, was verdeutlichte, dass ich ihm wirklich zugehört habe und seiner Meinung bin. Ich kniff meinen Oberarm mit der klitzekleinen Hoffnung doch in einem Traum zu sein und jede Sekunde wieder aufwachen zu können. Diesen Tag musste ich so schnell wie möglich vergessen–wenn das Vergessen doch so einfach wäre. Ich bin nicht gläubig, aber ich habe mir nichts in meinem Leben so sehr gewünscht, wie in diesem Moment erhört zu werden.

„Schau mal. Ich weiß, dass du es nicht gemacht hast Elea. Du bist aber in großen, wirklich verdammt großen, Schwierigkeiten. Lass mich dir doch helfen, bitte!", flehte er mich an. Seine Augen schrien mich an, ich solle ihm vertrauen und er habe Recht. Vielleicht hatte er das auch. „Ich soll einfach verschwinden? Einfach weggehen, ohne mich zu verabschieden? Wir reden hier von meiner Familie!", betonte ich. „Ich kann sie nicht einfach verlassen. Ich habe keinen mehr außer meinen Eltern. Louis–. Verdammt! Ich muss–" „Jetzt muss du egoistisch sein und endlich mal einsehen, dass dein Leben am seidenen Faden hängt! Deine Familie wird es schon verstehen.", unterbrach er mich. „Wir haben wirklich keine Zeit mehr. Elea du hast keine Zeit mehr".

Kennt ihr diese Momente, in denen ihr nicht mehr wisst, was ihr machen sollt? Ich kann meine Familie nicht verlassen, aber bei ihnen kann ich auch nicht mehr bleiben. Vielleicht sollte ich ihm vertrauen. Vielleicht sollte ich mit ihm gehen. Werde ich ihn nicht auch gefährden? Er schaute mich immer noch an. Ich weiß nicht mehr, wie viele Minuten wir an diesem Punkt zwischen den Bäumen im Wald hinter der Schule schweigend verbracht haben, aber es war genug Zeit vergangen, dass ich spürte, wie sie aus meinen Fingern glitt. Wir schrecken beide im nächsten Moment zusammen und die laute Sirene unterbrach unsere grausame Stille, die zwischen uns für eine bestimmte Weile herrschte. „Verdammt! Elea, ich muss gehen. Die suchen mich bestimmt schon.", ich schaute ihn kalt und ohne jeglichen Emotionen an. Ich war fertig und kämpfte gegen den dringenden Wunsch mich einfach auf den Boden hinzulegen und über rein gar nichts mehr nachzudenken. Doch bei einer Sache hatte mein Lehrer leider recht–Ich steckte wirklich in großen Schwierigkeiten und ich habe scheisse nochmal keine blassen Schimmer, wie ich daraus kommen soll. Ein Mordfall. Ein Massaker, wo genau 23 Schüler umgebracht wurden. Ich war mitten drin. Herr Hamlin ging und ich schaute ihm hinterher. Plötzlich drehte er sich um und schaute mich ohne was zu sagen an und ich erwiderte seinen Blick. Von jetzt an war er die einzige Person in meinem Leben, was zum einen bedrückend und zum anderen auch wieder erleichternd ist. Schließlich sagte er: „Warte hier, verstecke dich hinter den Bäumen. Lea kommt gleich und holt dich ab." „Wer ist–", bevor ich fragen konnte wer diese Lea ist und wohin sie mich bringt, hatte er sich auch schon wieder umgedreht und ging direkt auf das Gebäude zu. Der alleinige Anblick verursachte mir eine unangenehme Gänsehaut. Plötzlich rannten fünf Polizisten auf das Gebäude hin und ich duckte mich sofort mit der Hoffnung nicht gefunden zu werden. Schnell versteckte ich mich hinter einen Baum. „Stopp", schrie einer der Polizisten. In diesem Moment rutschte mein pochendes Herz in meine Hose. „He! Sie sollen warten!", hallte seine Stimme erneut im Wald und ich merkte, dass meine neues Leben nun ein Ende hatte...

Todesengel - In Blut ErtrunkenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt