3 - Lynn

53 11 112
                                    

Das Licht war grell, so stechend grell, dass es einen wach hielt, obwohl die Augenlider längst schwer geworden waren und der Kopf bereits langsam nach vorne sank. Die Gedanken waren den meisten schon entglitten, ihre Züge hatten etwas Ruhiges, Zufriedenes angenommen, wie die eines Kindes, das in seiner Traumwelt versank - und doch richtete sich jeder der fünf Anwesenden träge auf, sobald das mechanische Klicken der Tür ertönte. Keine Sekunde später wurde sie scheppernd zurück ins Schloss gestoßen.

Es gab nur eine Person im ganzen Klinikum, die diese Angewohnheit hatte, und hätte der Schlaf nicht mit all seiner Kraft an ihren Gliedern gezogen, wäre Lynn in diesem Moment aufgestanden, um den jungen Mann zur Rede zu stellen. Es war nicht das erste Mal, dass er hier hereinpolterte, im Gegenteil. Die letzten zwanzig Minuten hatte er damit verbracht, rastlos auf dem Gang auf und ab zu tigern und jedes Mal, wenn er den kleinen Raum betrat, knallte er die Tür hinter sich zu, als gäbe es nichts anderes, an dem er seine angestaute Energie loswerden könnte. Wie er um diese Uhrzeit zu so etwas überhaupt noch fähig war, war ihr ein Rätsel. Die Zeiger der Wanduhr hatten die zwölf längst überschritten und steuerten nun auf die zwei zu. Noch vier Stunden, dann konnte sie endlich ins Bett fallen.

Lynn sah kraftlos zu, wie sich die hellen Schemen vor ihren Augen zu Camerons Konturen verschärften. Im Lichtkegel sah er abgekämpft aus. Unter seine Augen hatten sich tiefe, dunkelviolette Schatten gegraben, seine Wangen wirkten blass und eingefallen. Sie hätte ihm gerne angeboten, sich zu ihnen zu setzen, um für ein paar Minuten abzuschalten, doch sie kannte seine Reaktion. "Ich bin der Einzige mit Erfahrung unter einem Haufen von nichtsnutzigen Studenten - glaubst du, da ist es sinnvoll, wenn ich auch noch einschlafe?" Damals waren diese Worte wie ein Hieb in den Magen gewesen, doch mit der Zeit hatte sie sich an seine direkte, unverblümte Art, die Wahrheit zu sagen, gewöhnt. Auch wenn seit diesem Tag drei Jahre vergangen waren, war Cameron Sallow noch immer der ausbildende Assistenzarzt, der entweder in der Bibliothek der London University oder im dritten Stock des Heart Hospitals anzutreffen war, stets mit dem abweisenden Blick, der jeden zurückweichen ließ.

Das empörte Gemurmel in der Ecke verstummte sofort, als er in den Raum trat und auf die unausgesprochene Frage antwortete, die ihm keiner an den Kopf zu werfen traute: "Ist immer noch meine Aufgabe, euch einsatzbereit zu halten." Er nahm eine der benutzten Tassen, die sich auf der Anrichte stapelten, spülte sie kurz aus und schob sie dann unter die Kaffeemaschine. "Wer von euch hat eigentlich die Aufgabe, sich um den Abwasch zu kümmern?" 

Aus Richtung der kleinen Liege war ein genervtes Schnauben zu hören, das Lynn ihrer Freundin zuordnete, die sich nun provokativ die Strickmütze ins Gesicht zog. Ohne den zerlumpten Stofffetzen war Kate nie anzutreffen, nicht einmal hier, wo die Hygienevorschriften jegliche Kleidung außerhalb der einheitlichen Klinikwäsche verboten. Allerdings verteilten sich die wenigen, höhergestellten Ärzte sowieso nur auf den unteren Etagen, und Cameron machte sich nicht viel aus Regeln. Solange es jemanden gab, der die Kaffeemaschine von Zeit zu Zeit entkalkte und die Tassen gesäubert zurück in den Schrank stellte.

"Das war eine Anordnung, keine Frage", fügte er nun hinzu und sah ungeduldig in die Runde. Außer Kate waren noch zwei weitere Krankenschwestern anwesend, in der Ecke hatte sich der Junge, der mit ihr vor zwei Monaten als Famulant angefangen hatte, niedergelassen. Er schien längst wieder in den tranceartigen Halbschlafmodus zurückgefallen zu sein, sein Kopf war an die Wand gelehnt, seine geschlossenen Lider flackerten unruhig. 

"Bis in zehn Minuten ist das erledigt. Und der Rest von euch hat sicher Besseres zu tun als tatenlos herumzusitzen." Er sah sie nicht einmal an, während er diese Forderung aufstellte. Das brauchte er nicht. In der ersten praktischen Übung hatte er mehr als deutlich gemacht, wer das Sagen hatte, darüber konnte nicht einmal die Tatsache hinweg täuschen, dass sie ihn mittlerweile Cameron anstelle von Dr. Sallow nennen durften.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 29, 2021 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Herz aus SteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt