20. Am Ende der Welt

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Zitternd vor Kälte, Schwitzend vor Anstrengung und Erschöpft von einer langen Reise blieb Vincent vor einem einsamen Haus am Ende der Welt stehen. Es regnete in Strömen, die Nacht war längst angebrochen und tauchte alles in grausige Schwärze.

Er war durch Städte und Dörfer gewandert, hatte ein ums andere Mal ein Bild von Tristan und Cataleya hergezeigt und war ums wiederholte mal weitergeschickt worden. Es fühlte sich an als hätte er ganz Island erkundet. Nun endlich stand er vor dem Haus, dass Nachbarn ihm beschrieben hatten. Es stand auf einer verlassenen Klippe weit ab von allem das man Zivilisation nennen konnte.

Vincents Herz klopfte wie wild, seine Gedanken rasten. Hinter dieser einfachen Holztür warteten Elizas Eltern. Was sollte er ihnen sagen? Wie sollte er sich vorstellen? Überfordert blieb er im Regen stehen. In unregelmäßigen Abständen erwischte ihn eine Sturmböe und klatschte den eisigen Regen in sein Gesicht. Kälte kroch langsam in seine Knochen. Plötzlich öffnete sich die Tür der Hütte und im Licht des Wohnzimmers stand eine Gestalt. Ein Mann.

"Willst du noch lange dort stehen?",rief er ihm zu und erschrocken öffnete Vincent den Mund.

"Äh...nein?"

"Gut, dann komm rein.", brummte der Fremde und ließ die Tür offen stehen. Hastig beeilte sich Vincent ins Trockene zu gelangen.

"Leg deinen Mantel ab und zieh die Schuhe aus. Ich will hier nicht überall Wasser haben.", hörte er aus der angrenzenden Küche und tat wie ihm befohlen. Seinen völlig durchnässten Mantel und die tropfenden Schuhe stellte er neben die Eingangstür.

"Auf der Bank sind frische Sachen.", merkte der Fremde immer noch mit dem Rücken zu ihm an. Zögerlich sah Vincent sich die Kleidung an. Ein einfaches braunes Sweatshirt und eine blaue Jeans. Sollten ihm von der Größe aus passen.

Hatte sein Gastgeber wirklich schon so lange auf sein Eintreten gewartet, dass er die Zeit gehabt hatte, Kleidung in der richtigen Größe zu finden? Schlimmer noch, war er tatsächlich so lange vor dieser Hütte gestanden? Vincent hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren.

Ungelenk zog er sich um und versuchte dabei einen Blick auf den Fremden zu erhaschen. Dieser stand mit dem Rücken zu ihm vor einem kleinen Kochtopf. Er konnte die Statur des Mannes unter dem weiten grauen Pullover kaum erkennen und im schummrigen Licht der einzelnen Glühbirne war die Haarfarbe nicht auszumachen.

Ob dies wirklich Elizas Vater war?, schoss des Vincent durch den Kopf. Dazu gab es in der kleinen Hütte kaum Anzeichen für eine weitere Person, geschweige denn eine weibliche. Seine Hoffnung endlich das richtige Haus gefunden zu haben schwanden dahin. Dennoch konnte er die Frage nicht unausgesprochen lassen.

Neu eingekleidet und endlich wärmer werdend trat er in die Wohnküche.

"Ähm...mein Name ist Vincent. Ich..ich bin auf der Suche nach jemandem. Einem Mann namens Tristan und seiner Frau Cataleya. Haben Sie zufällig schon mal von ihnen gehört?", fragte er zögerlich.

Die Gestalt des Mannes verkrampfte sich, während scheppernd ein Häferl am Boden zersplitterte. Reflexartig bückte Vincent sich um die Scherben aufzuheben, sein Gastgeber tat dasselbe und in dieser einen Sekunde sahen sie sich ins Gesicht.

Was Vincent sah, erstaunte ihn vollkommen. Rote Haare, blaue Augen und die Grübchen, die auch Elizas Gesicht zierten....Tristan. Er war es wirklich. Kein Jahr gealtert, keine Falten oder weiße Haare. Unsterblich, Unvergänglich.

Der einzige Unterschied in den Bildern ihrer Nachforschungen war der rote Bart, der wild wuchernd die Hälfte von Tristans Gesicht in anspruch nahm.

"Woher kennst du diese Namen?", zischte Tristan misstrauisch.

"Ich wollte nicht...ich wollte Sie nicht erschrecken.", stammelte Vincent als Tristan übel gelaunt, die Reste des Häferls wegwarf und nach dem pfeifenden Teekessel griff.

Die Suche nach Unsterblichkeit #Wattys20Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt