Shiras p.o.v.
Ich war nervös. Zwar versuchte ich es mir nicht anmerken zu lassen, aber dieser Typ, Alessandro, schien etwas zu merken. Schon von Anfang an hatte er die Stirn gerunzelt. Dabei konnte er nicht wissen, wer ich war.
Konnte nicht wissen, was mit mir geschehen war.
Und doch...ich hatte Angst.Was, wenn sie es herausfanden? Mein Mate Tom konnte es vielleicht noch akzeptieren, dass ich zu dem fremden Rudel gehört hatte, das Mitglieder ihres eigenen Rudels verletzt hatte. Konnte akzeptieren und ja, vielleicht sogar verstehen, dass ich nichts dagegen ausrichten konnte.
Aber sein Rudel?
Ich war mir nicht sicher, ob sie auf meiner Seite wären.Aber das war nicht alles. Sie führten mich zu ihrem Zuhause. Und ein Rudel lebte meist zusammen, auch wenn das heutzutage nicht immer einfach war, da man schließlich keinen Verdacht erregen wollte. Aber selbst wenn sie nicht im selben Haus wohnten, wohnten sie in der Nähe.
Das hieß, ich würde höchstwahrscheinlich auf die Mörderin meiner Mutter treffen. Wenn nicht jetzt, dann bald.
Ich hatte kaum Mums Tod verkraftet. Noch immer war da ein Loch in meinem Herzen, noch immer schien es so irreal, dass sie nicht da war.
Auf meinem Weg hatte ich mich manchmal ertappt, wie ich sie fragen wollte, ob sie einen Song hören wollte. Bis mir zwei Dinge einfielen: sie war nicht mehr da. Und ich konnte nicht mehr singen.Ich wusste nicht, ob ich mich beherrschen konnte, wenn ich ihrer Mörderin gegenüber stehen würde.
Und außerdem...was, wenn sie mich erkannten?
Wenn sie meinen Geruch erkannten?
Ich schwitzte stark, als das Haus in Sicht kam. Ein zweistöckiges Haus, ziemlich groß. Bestimmt lebte das Rudel hier auf einem Fleck. Verdammt.Tom neben mir bemerkte meine Nervosität, aber er interpretierte sie falsch.
Alles gut, sie sind wirklich lieb. Sie werden dich willkommen heißen. Es macht nichts, dass du taubstumm bist.
Ich rang mir ein dankbares Lächeln ab, als ich zu ihm aufblickte.
Noch immer konnte ich es kaum glauben. Mein Mate. Mein Seelengefährte. Er ist gerade dann gekommen, als ich ihn am dringendsten brauchte.
Ich war mir sicher, er würde mir helfen, wenn ich ihm alles erzählte.
Ich sollte ihm alles erzählen.Aber noch nicht jetzt. Später. Wenn...wenn ich mit all dem hier fertig geworden bin.
Tief atmete ich durch, als Olivia auch schon die Terrassentür öffnete und uns mit einem Lächeln hinein wies.
Ich versuchte mich daran es zu erwidern, aber ich fürchtete, dieser Versuch misslang.
Wieder blickte ich zur Terrassentür. Sie war wie die Tür zu einer anderen Welt, zu einem neuen Lebensabschnitt.
Wenn ich hier hindurch schritt, dann gab es kein Zurück mehr.
Dann würde ich mit diesem neuen Rudel und mit allem, was es mit sich brachte, zurechtkommen müssen.Tief atmete ich ein, versuchte mich zu wappnen, straffte die Schultern und ging hocherhobenen Kopfes durch die Tür, mit meinem Mate an meiner Seite.
Er schenkte mir ein gewisses Vertrauen. Du schaffst das, schien er zu sagen, indem er ermutigend meine Hand drückte.
Und sein Glaube an mich.... stärkte mich irgendwie, von innen heraus.
Egal, was nun auf mich zukam, mein Mate war an meiner Seite.
Ich würde das hier schon gut über mich ergehen lassen können.Und dann war ich auch bereits drinnen.
Vor mir lag ein Wohnzimmer mit Fernseher, Sessel und Couch, aber niemand saß dort. Ich wandte den Kopf nach links und erstarrte. Dort stand ein Esstisch und dort saß sie. Ich beachtete kaum den braunhaarigen Jungen neben ihr. Nein, ich sah nur noch sie, mit ihrem blonden Haar. Dieses hübsche Mädchen, dessen äußerliche Gestalt rein gar nichts mit ihrem Inneren gemein hatte. Alles in mir wurde plötzlich schwer und eiskalt.Ich hatte immer gedacht, Hass wäre wie Wut. Feurig und voller Funken sprühender Glut. Aber als ich nun dieses Mädchen anblickte - die Mörderin meiner Mutter - wie sie so seelenruhig dasaß und ihr Frühstück verspeiste, da fühlte ich kein Feuer in mir. Keine Lava, die mich verzehrte, die durch meine Adern strömte.
Nein, stattdessen fühlte ich pures Eis. Pures Eis, das mein Herz umhüllte und jede sanfte Gemütsregung gefrieren ließ. Pures Eis, das mich mit einer eiskalten Entschlossenheit erfüllte. Pures Eis, das mit grausamer Stimme verlangte, dieses Mädchen leiden zu lassen. Sie sollte büßen für das, was sie meiner Mutter angetan hatte.In diesem Moment hob sie den Blick und ihre stahlharten blauen Augen durchdrangen mich. Sie runzelte die Stirn. Und da wurde mir klar, dass ich vorsichtig sein musste. Man durfte mir meine Gefühle nicht am Gesicht ablesen. Wenn ich Erfolg haben wollte, wenn ich sie leiden lassen wollte, dann musste ich Vorsicht walten lassen.
Also setzte ich eine ausdruckslose Miene auf. Die Augen des Mädchens glitten über mich und auch ihr Freund neben ihr sah mich an. Aber das registrierte ich nur nebenbei, meine ganze Konzentration lag auf ihr.Mein Herzschlag beschleunigte sich ein wenig. Ein Wort von ihr und mein Vorhaben wäre schon so gut wie verloren. Ein Wort von ihr und die anderen würden mich rausschmeißen.
Ein Wort….das ich nicht einmal hören konnte.
Dennoch wartete ich gebannt.Doch das Mädchen betrachtete mich nur mit gerunzelter Stirn, schnüffelte leicht, suchte in meinem Gesicht nach etwas...fand es aber anscheinend nicht.
Sie erinnerte sich nicht.
Ich sollte froh darum sein. Stattdessen schlug mir diese Erkenntnis wie eine Faust in den Magen.
Sie erinnerte sich nicht.
Dabei hatte sie meine Mutter getötet, in meinem Beisein. Sie hatte sie getötet. Und nun erkannte sie mich nicht einmal? Hatte sich dieser Moment etwa nicht in ihren Kopf gebrannt so wie er sich in mein Herz gebrannt hatte? Hatte sie nichts dabei gefühlt? Hatte sie ihren Mord an meiner Mutter überwunden...so schnell? So einfach?Bei dem Gedanken biss ich die Zähne zusammen. Damals auf der Lichtung hatte ich sie angesehen und ihr stumm ein Versprechen gegeben. Das Versprechen, sie eines Tages für ihre Taten leiden zu lassen.
Vielleicht machte es eine grausame Person aus mir, dass ich mehr als nur gewillt war, dieses Versprechen einzuhalten. Aber das war mir egal.
Der Schmerz war zu groß. Als würden schwarze Dämonen ihre Klauen in mein Herz schlagen, immer und immer wieder. So sehr tat es weh. Sie sollte diesen Schmerz kennen. Sie sollte wissen, was sie an diesem Tag angerichtet hatte.
Und eines Tages würde ich es ihr zeigen.Das sind Lilly und Ben, erklang da Toms Stimme in meinem Kopf und riss mich aus meinen zerstörerischen Gedanken.
Wir haben dich ihnen gerade vorgestellt.Auf einmal überfielen mich Schuldgefühle bei seinem liebevollen, netten Tonfall. Tom war mein Seelengefährte. Und was ich bisher sagen konnte, war, dass er recht freundlich zu sein schien.
Bestimmt würde er nie auf den Gedanken kommen, dass ich selbst nicht freundlich war. Nicht mehr. Dieser Teil wurde wohl oder übel in mir zerstört, als meine Mutter starb.
Es tat mir leid für ihn, dass er mich als Mate hatte. Dass er nicht einmal ahnte, welche Dunkelheit in mir steckte. Und was für einen gravierenden Fehler er begangen hatte, indem er mich in sein Heim eingeladen hatte.
Mich, den sprichwörtlichen Wolf im Schafspelz.
Er tat mir leid.
Aber das reichte nicht aus, um sein Rudel, besser gesagt, um sie, zu verschonen.
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Don't trust me, Mate - PAUSIERT
WerewolfACHTUNG: SPOILER FÜR DEN 1. UND 2. BAND (I'M SORRY, MATE & I WANNA BE FREE, MATE) ENTHALTEN. Noch immer besteht die Gefahr des sadistischen Rudels, das Olivia und Lilly entführt hatte. Doch dann passiert ein weiterer Glücksfall: Tom findet seine Mat...