Castingcouch

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Was machte ich überhaupt hier? Unschlüssig blickte ich mich in dem Raum voller Mädchen mit falschen Nägeln und zugekleisterten Gesichtern um.

Ich gehörte hier doch nicht hin! Schließlich war es im Gegensatz zu den Anderen nicht mein sehnlichster Wunsch Model zu werden. Ich wollte Fotografin werden. Aber nicht irgendeine Fotografin, sondern die Beste. Victoria's Next Angel war für mich nur ein Mittel zum Zweck. Natürlich plante ich nicht zu gewinnen, sondern ich wollte so weit wie möglich kommen, um bei den Shootings von den besten Fotografen zu lernen. Die hatten sie nämlich hier. Ohne Frage.

Nur spaßeshalber hatte ich ein Foto von mir und ein Video von meinem Walk hingeschickt.

Und nun saß ich hier mit 49 anderen Mädchen in einem Raum und wartete, mittlerweile schon seit 48 Minuten. Die ganze Sache nervte mich jetzt schon tierisch.

Ein Mann betrat den Raum. Endlich. Er stellte sich als Verantwortlicher für das Projekt Victoria's next Angel vor.

„Das Ziel von Victoria's next Angel ist nicht ein bereits perfektes Model zu casten. Wir wollen dem Publikum viel mehr zeigen, dass wir in einem Jahr aus jedem girl next door ein Victoria's Secret Angel zaubern können."

Moment mal. Ganz kurz. Hatte er gerade gesagt, dass extra durchschnittliche Mädchen gecastet wurden? Hatte er uns alle also gerade als durchschnittlich bezeichnet?

Entrüstet schaute ich mich im Raum um, ob jemand anders es auch bemerkt hatte.

Aber alle anderen hingen an seinen Lippen. Gott, die waren ja alle noch blonder als ich dachte...

Sicher, ich sah nicht so perfekt aus wie Doutzen oder war so durchtrainiert wie Alessandra aber als durchschnittlich ließ ich mich jetzt nicht bezeichnen! Immerhin hatte ich die ungewöhnlichen grünen Augen von meiner Mutter und die welligen braunen Haare von meinem Vater geerbt, die ich mir für heute extra geglättet hatte.

Das wars dann aber auch mit Zurechtmachen. Ich wusste ja schließlich, dass man bei Castings nie viel Make-Up tragen sollte, damit man dem Kunden nicht seine Projektionsfläche wegnimmt. Wenigstens das hatte ich den anderen Mädchen voraus. So wie die meisten aussahen hatten sie eine genaue Vorstellung davon wie sie bei Fotos posen sollen, und diese Vorstellung würde sich dann meistens auch nicht mehr wegkriegen lassen. Sie würden dadurch nur unnatürlich wirken.

Worauf hatte ich mich hier nur eingelassen? Erschrocken merkte ich, dass ich den Ausführungen des Casting Directors nicht mehr zugehört hatte. Aber so wie es aussah wurden wir jetzt unseren Vornamen nach aufgerufen und mussten sagen, was es für uns bedeutet ein Victoria's Secret Angel zu sein. Bis „C" für Celeste hatte ich also gar nicht so viel Zeit, mir etwas zu überlegen. Ich weiß, merkwürdiger Name aber längst nicht mein schlimmster...

Was sollte ich sagen? Bis jetzt hatten alle gesagt, dass sie es lieben würden auf Laufstegen zu laufen und dass ein Victoria's Secret Engel zu werden ein Traum wäre, der in Erfüllung geht und blablabla.

Fehlte nur noch, dass sie anfangen von Weltfrieden zu reden. Was sollte ich nur sagen? Am besten irgendwas, was nicht vollkommen erlogen wäre. Ich muss hier noch genug lügen.

„Celeste." Diese komische Angewohnheit direkt und nur beim Vornamen genannt zu werden gefiel mir nicht. Eigentlich gefiel mir hier gar nichts. Wieso war ich nochmal hier?

„Celeste?" Mist. Zittrig stand ich auf und ging nach vorne. Das Mikrofon, in das alle gesprochen hatten, lehnte ich ab. So groß war der Raum nun auch nicht, dass ich ein Mikrofon brauchen würde. Als ich den abschätzigen Blick des Casting Directors sah, bereute ich aber meine Entscheidung. Egal, Augen zu und durch! Ich versuchte, den Tisch links von mir mit lauter wichtigen Persönlichkeiten von Victoria's Secret zu ignorieren. Vor allem weil mich alle kritisch musterten. Stattdessen blickte ich vor mich auf die Mädchen, holte einmal tief Luft und fing an zu sprechen: „Mein Name ist Celeste Clarsen. Ich denke allein von meinem Namen her würde ich super in die Show passen, weil er genau so ungewöhnlich ist wie ‚Doutzen' oder ‚Karlie' oder ‚Behati'.", machte ich einen Scherz, um die Stimmung etwas aufzulockern und blickte mich erwartungsvoll um. Niemand lachte. Niemand. Gott wie peinlich! Ich schielte zum Tisch links von mir und auch da lachte keiner. Der Typ ganz rechts, der mir von Anfang an ins Auge gefallen war, schien ein Lachen zu unterdrücken. Als unsere Blicke mich trafen, wurde er aber sofort wieder ernst. War das jetzt gut oder schlecht?

Victoria's Next AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt