Prolog

21 6 3
                                    

Die Wölfin schlich durch die Nacht. Immer darauf bedacht nicht entdeckt zu werden. Natürlich wussten es alle. Doch ein wenig Ehre würde sie behalten, wenn man wenigstens nicht sah, wie sie die Jungen wegbrachte. Sie konnte es nicht ungeschehen machen, aber wieder gut. So lief sie mit einem Jungen im Maul, während sie das andere vor ihren Pfoten herschupste. Die Kleinen hatten nicht mal ihre Augen geöffnet. 2 Tage waren sie alt. Länger konnte sie nicht wegbleiben. Sonst würden die anderen noch denken sie hätte sich entschieden mit ihren Jungen weg zu gehen. Auf keinen Fall wollte sie als verstoßen gelten. Das Junge vor ihren Pfoten quickte laut. Es suchte die Wärme ihrer Mutter und wahrscheinlich hatte sie Hunger. Die kleine Wölfin wusste was sie wollte und was sie nicht wollte war laufen. Sie ließ sich auf den Boden fallen und machte keinen Schritt mehr. Obwohl Schritte hätte man ihre Bewegungen nicht nehmen können. Sie war noch blind, taub und nur spärlich behaart. Ein Geräusch ließ die Wölfin zusammenfahren. Etwas im Busch hinter ihr raschelte. Ihre Mutterinsinkte schlugen Alarm. Sie würde nicht zulassen, dass ein Wildtier ihre zwei Jungen fraß. Blitzschnell wirbelte sie herum, schob die zwei winzigen Bündel unter sich und zog knurrend die Lefzen zurück.
,,Ruhig Anouk"kam eine vertraute  Stimme aus der Dunkelheit. Eine Wölfin schob sich aus einem Farn. Anouk betrachtete ihre Schwester missmutig. ,,Tala?" fragte sie vorsichtig. ,,Ich werde dir helfen. Niemand wird mich sehen versprochen."
,,Wirklich? "
,,Natürlich"
Anouk nahm den kleinen Rüde vom Boden und Tala griff vorsichtig die Fähe. So liefen die Schwestern nebeneinander. Die Jungen quickten und maulten, doch darauf konnten sie keine Rücksicht nehmen. Sie mussten den Rand des Waldes erreichen, bevor die Sonne aufging. Als sie zwischen den Bäumen auf die große Grasfläche vor ihnen sahen, wurde Anouk erst wirklich bewusst, was sie dort tat. Sie brachte ihre Jungen weg. Sie gab die Kleinen einfach ab. Sie würde sie nur noch heimlich sehen können. Ihr Rudel würde sie verachten. Nicht umbedingt, weil sie ein Gesetz gebrochen hatte, sondern weil sie nicht mit den Jungen das Rudel verließ. Sie würde sie verstoßen. Sie würde sie nie mehr ihre Jungen nennen dürfen. Und Max.... Wie sollte sie es Max erklären? Er hatte ihr gesagt, er würde sofort sein Rudel verlassen. Er hatte soviel durchgemacht. Sein Besitzer behandelte ihn schlecht und als ihm die Flucht gelang, schloss er sich dem Rudel an. Für ihn war es die letzte Hoffnung auf ein friedliches Leben. Wie würde er reagieren, wenn er merkte, dass die Jungen weg waren. Würde er ihr jemals verzeihen? Würde er denken sie habe die Kleinen in den Fluss geworfen oder auf eine Straße gesetzt? Die Trauer drohte sie mit sich zureißen, wie die Strömung eines Flusses. Könnte sie sich das jemals vergeben? Inzwischen waren sie an einem Zaun angekommen. Tala hatte sich immer hinter ihr versteckt gehalten, immer im Schatten. Mona würde sich um sie kümmern. Sie würde die kleinen Halbwölfe aufziehen wie Hunde. Das Rudel würde niemals denken sie wären Wölfe. Sie würden nie erraten, dass Anouk sie besuchen ging, wenn sie sich wegschlich. Niemand würde erfahren was sie getan hatte und Tala würde schweigen. Sie folgten dem Zaun bis zu seinem Ende. Von hier aus konnten sie den Eingang der Ranch sehen. Mona war ein Mensch, der ihrem Vater Fenris damals geholfen hatte, als er beim  auskundschaften des Waldes in eine Tierfalle trat. Von da an war sie regelmäßig im Wald. Fast als würde sie verstehen was die Wölfe sagen. Fast als wüsste sie, was sie wollten. Vor dem Tor blieben sie stehen. Wortlos setze Tala das Junge ab, drehte sich um und ging. Anouk war ihr für ihr Schweigen dankbarer als für ihre Hilfe. Kein Wort hätte ihr jetzt geholfen. Als Tala außer Sichtweite war holte Anouk tief Luft und heulte. Ihr Wolfsgeheul stieß ihren ganzen Schmerz hervor. Sie ließ es alles raus. Bis im oben im Stallgebäude der Ranch ein Licht anging. Dort hatte Mona ihren Bau. Anouk musste für einen kurzen Moment daran zurückdenken wie oft sie Mona damals Streiche spielte und an den alten Spitznamen den sie ihr früher gegeben hatte. Kauknochen. Schritte waren zu hören als Mona verschlafen die Treppen nach unten kam. Erstaunt blickte sie erst Anouk, dann die winzigen Jungen vor ihren Pfoten an. Das eine versuchte gerade sich an ihren Bauch zu schieben um zu trinken. Der Kleine war eindeutig nicht so eigensinnig wie seine Schwester. Diese trampelte mit ihren kleinen Pfoten gegen die ausgestreckte Hand von Mona. Die Kleine wäre eine tolle Wölfin. Vorsichtig schob sie ihn mit der Nase zu seiner Schwester und machte einen Schritt zurück.
,, Sollen sie hier bleiben? Willst du das ich mich um sie kümmere? " fragte Mona unsicher und nahm die Fellbündel hoch, öffnete ihre Jacke und drückte sie gegen ihre Brust um sie zu wärmen. Anouk versuchte sich an einem Nicken.,, Wie heißt ihr beiden denn? Ich denke ich nenne dich..." sie deutete auf den Jungen.
,, Polaris" dann sah sie das Mädchen an. Polaris. Ein schöner Name. Hoffentlich hatte er die blauen Augen seines Vaters.,, Und dich Rahla" schloss sie dann und sah zufrieden auf die beiden herab. Die Sonne war inzwischen aufgegangen und das rot des Himmels begann bereits zu verblassen. Anouk musste zurück. Sie musste sich dem Elend daheim stellen. Sie musste Max in die Augen sehen und ihm sagen, dass seine Jungen weg waren und das er sie niemals sehen würde. Sie drehte sich um. Lief zögernd ein paar Schritte, blieb stehen und sah Mona nach wie sie im Inneren des Stalles verschwand. Sie waren weg. Sie würden niemals Wölfe sein.
Es war alles ihre Schuld.

Anouks Wahl Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt