Mut ist Reden, wenn man nicht reden will

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Nach einem kurzen Gespräch mit Don legt Rob auf. "Wir fahren ins Krankenhaus, Don kommt dorthin. Aber vorher nehme ich schnell die Vitalwerte, nicht, dass du unterwegs ein Problem bekommst." "Rob, muss das wirklich...?" Er unterbricht mich mit einem strengen Blick und legt einen kleinen Clip an meinen Zeigefinger. Das Pulsoxy. Dann greift er mein Handgelenk und vergleicht meinen Puls mit der Anzeige. "Hast du Atemnot?", fragt er beiläufig. "Nein, wiso?"
"Du atmest mir etwas fix und der Puls ist bei 116 Schlägen pro Minute. Deine Sättigung ist auch nur bei 90%." Dass ich kalte Hände habe hat er wohl registriert, aber schön ist das echt nicht...
Rob macht sich daran meinen Blutdruck zu messen und  pumpt die Manschette auf.... 
"Mensch, Jessy entspann dich. 160/90mmHg hatten wir ja lange nicht mehr. Passiert doch nichts schlimmes." 

Nachdem er also kontrolliert hat, dass ich wohl die nächste halbe Stunde Fahrt überleben werde (*Sarkasmus aus*), versorgt er notdürftig den Schnitt und hilft mir in eine Jogginghose. Dann suche ich das nötigste zusammen (Geld, Karte, Handy) und lasse mich zum zweiten Mal an diesem Tag von Rob aus der Wohnung begleiten. 
Im Auto spreche ich nicht viel, denn nicht nur der Schmerz sondern auch die Gedanken kreisen wie Aasgeier um mich herum und warten nur darauf, mich wieder angreifen zu können. Rob fragt mich, was der Auslöser war aber ich mag nicht antworten sondern schüttle nur den Kopf. "Du weißt schon, dass Don mit dir reden wollen wird? Vielleicht sogar gleich im Anschluss?" 
Danke, erinner' mich ruhig daran... "Ich weiß." "Und was willst du tun?", Rob schaut mich kurz an. "Ich weiß es nicht. Reden? Aber nicht allein...." "Soll ich...?" "Würdest du?" "Klar.", Rob schaut wieder auf die Straße aber drückt mit seiner Hand meine.

Vor dem Krankenhaus angekommen wartet Don schon am Eingang, logisch. Er wohnt ja auch nicht weit. Direkt kommt er zum Auto und noch bevor ich aussteigen kann hockt er sich in die Beifahrertür und nimmt mein Handgelenk. "Jessy, wie geht's dir?", fragt er besorgt, seine Finger auf meinem Puls. "Körperlich ganz okay.", sage ich. Immer wenn ich ausgetickt bin und geschnitten habe werde ich danach unglaublich müde. Diese Gedanken und Tränen kosten unglaublich viel Kraft. Ich atme immer noch etwas schneller.

"Ich hab den Schnitt nur notdürftig versorgt, das muss genäht werden. Atmung ist ausreichend, Puls und Blutdruck zu hoch.", wie kann Rob immer so sachlich und direkt darauf wieder einfühlsam sein? Wie macht der Kerl das?! 
"Okay, dann wollen wir mal. Jessy du weißt was Phase ist?", Don schaut mich an. Er hat kalte blau-graue Augen und direkt habe ich das Gefühl er sieht in meinen Kopf hinein. "Ich schätze ja..." "Ich weiß du willst das nicht und du wolltest das da", er deutet auf die Hüfte "auch nicht und du hast Angst.... aber das muss jetzt sein. Das weißt du genau so wie wir. Aber wir werden da sein und dich nicht allein lassen. Und danach reden wir!" 
"Ja Don.", antworte ich und lasse mir aus dem Auto helfen. Der Weg vom Parkplatz zum Eingang fühlt sich an wie der Weg eines Verurteilten zum Hinrichtungsplatz... 

In der Notaufnahme nimmt uns mein altbekannter Lieblingspfleger Tom in Empfang. "Du liebe Güte, Jessy was ist denn mit dir passiert?" "Hey Tom..." Rob greift ein: "Ich erklär's dir gleich. Hast du einen Chirurgen und einen Raum frei?" Tom schaltet sofort und leitet uns in den großen Saal mit OP-Lampe. Ohne Anstalten zu machen setze ich mich auf die Liege, verweigere aber mich hinzulegen. Rob redet leise vor der Tür mit Tom. 
Kurz darauf kommt Tom mit dem Monitor: "Darf ich? Ich weiß du magst das nicht aber macht Dr. Merschoff keinen Stich." Ich zucke mit den Schultern. "Nun komm, ich bin doch auch hier und ich beiße dich auch nicht. Und jetzt mach's dir bequem, denn abhauen kannst du eh nicht.", er grinst. "Nicht?", frage ich angefressen. "Im Nebenraum ist die Internistin und der ganze Flur ist voll mit Mitarbeitern, Don und Rob stehen auch im Raum und ich lass dich bestimmt nicht weg." "Na danke....", antworte ich leise. "Hey, ich mag dich doch. Ich kann dich doch nicht gehen lassen, wenn ich weiß, dass du nicht fit bist. Du schaffst dass Jessy!"
Überredet.... ich lege mich hin und Tom verkabelt mich. 

"Sooo, hier bin ich.", schwungvoll betritt Dr. Merschoff den Raum. "Hallo Jessy... Don hat mir bereits alles erklärt. Ich habe auch nur 3 schnelle Fragen. Bist du gegen Tetanus geimpft?" Ich nicke. "Prima. Und das was du benutzt hast war sicher sauber?" Wieder ein Nicken. "Okay und eine noch. Allergien gegen Medikamente?" Kopfschütteln.
"Alles klar. Willst du eine Sedierung? Betäuben tun wir das eh. Du sollst ja keine Schmerzen haben." 
Eigentlich wäre mir das ganz Recht, aber dann zieht sich das Gespräch mit Don noch weiter heraus, daher kommt mir eine Antwort über die Lippen, die ich zuvor nie gesagt hätte: "Nein, das geht wohl so....."

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