Weil ich das nicht bin

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Rango schloss die Augen und schoss. Mehrere Male.
Er wusste später nicht warum er geschossen hatte. Es war wie ein Reflex gewesen.
Ein Reflex, den er nicht definieren konnte.
Er dachte in diesem Moment gar nichts. Weder an die Folgen noch an den Schaden.
Er schoss einfach.
Nach einigem Abdrücken ließ er den Abzug vollständig los.
Wie viele Kugeln hatte er abgefeuert?
Vier? Fünf? Oder alle sechs?
Er hatte gar nicht mitgezählt.
Er wusste nur wie er zitterte und kaum wagte zu atmen.
Etwas Schweres fiel zu Boden.
Nach einigen Sekunden wagte er wieder die Augen zu öffnen.
Er hatte es getan. Jake lag bewegungslos am Boden.
„Sie haben ihn erschossen!", rief Löffel, der direkt neben ihm stand.
Rango war wie erstarrt.
Noch nie hatte er jemanden erschossen.
Warum musste die Klapperschlange sich auch der Stadt nähren?
Er hatte ihn gewarnt.
Jake war an den See gekommen und wollte nur etwas trinken. Was Rango ihn auch erlaubt hätte, wenn er nicht beinahe jemanden totgebissen hätte. Jake wollte nur wieder Unruhe stiften. Aber warum? Nur damit er ihn herausfordern konnte?
Er hatte seine Waffe rausgeholt. Der Gesetzlose hatte seinen Killerblick gesehen, aber seinen Worten keinen Glauben geschenkt. Ein Schimmer von Zögern hatte ihn ihnen legen. Seine Finger hatten gezittert auf dem Abzug, aber dann hatte er abgedrückt.
Wieder wanderte sein Blick auf Jakes Körper, der sich nicht rührte.
In seinem Kopf herrschte absolute Leere. Er nahm nichts mehr wahr. Weder die herannahenden eiligen Schritte der Stadtbewohner, noch deren jubelnde Rufe.
Vor ihm nur dieses eine Bild der Klapperschlange.
Erst die ruckenden nach ihm greifenden Arme von Elgin, Löffel und Bufords kräftigen Schulterklopfer holten ihn nach und nach in die Realität zurück.

Die Menge hatte sich entfernt. Gegangen in den Saloon. Nur Rango wollte seinen Sieg nicht feiern. Er verließ das Haus, ließ die Stadt hinter sich, um zu der Klapperschlange zu gehen, die immer noch still dalag.
Niemanden kümmerte es. Niemand verlor eine Träne für ihn.
Er ging zu der Schlange und blieb kurz vor ihr stehen. Tausend Gedanken schwirrten in seinem Kopf.
Er hatte das nicht gewollt. Aber er hatte es getan.
„Warum?", fragte sich der Sheriff. Seit dem Tag als er ihm begegnet war, waren so viele Dinge in seinem Leben passiert, von denen er nie dacht hätte sie zu erleben. Von dem Moment an als sich ihre Augen trafen, hatte die Klapperschlange sein Leben in eine Richtung gelenkt, was er sich nie vorgestellt hatte. Er hatte ihn verbannt. Und er hat die Stadt verlassen. Er verließ die Stadt um sich das Leben zu nehmen. Stattdessen fand er heraus wer er war. Dieselbe Frage, die er sich gestellt hatte, bevor er aus dem Auto rausgeschleudert wurde. Die Antwort war so nah gewesen. So nah. Er fand heraus wer er war. Er rettete die Stadt, weil er das war.
Mit traurigen Augen blickte er auf die Klapperschlange. Er sah jetzt so harmlos aus. Als hätte er nie etwas Böses getan.
War er das auch? Um jemanden zu töten? Aber warum ihn? Warum du?
„Ohne dich hätte ich nie herausgefunden wer ich bin."
Er streckte seine Hand aus und berührte die Haut. Er stutzte. Ein schwacher Herzschlag...

Rango sah auf die weite Landschaft der Wüste. Es wurde dämmrig und eine Kälte legte sich über das Land. Rango hatte ein Lagerfeuer angezündet. Hier in der windgeschützten Nische im Felsen würde ihn niemand vermuten. Noch immer völlig in Gedanken versunken drehte er sich um.
Doc stand nicht weit von ihm entfernt. Am Boden lag Jake. Der Schlangenkörper zitterte leicht, als Doc die Kugeln entfernte, die nur knapp das Herz der Schlange verfehlt hatten.
Tief in Gedanken sah Rango ihn an.
Er hatte einen Feind gerettet, der sein Leben zur Hölle gemacht aber auch zu einem neuen Leben verholfen hatte. Niemals hätte er es gewagt, jemanden mit einer Waffe zu bedrohen. Aber Jake hatte ihm die Chance dazu gegeben. Und er hatte gewonnen. Und erreichte sogar viel mehr.
„Ich ziehe meinen Hut vor dir. Von Legende zu Legende."
Rango senkte seinen Blick. Er konnte ihn nicht den Habichten zum Fraß vorwerfen.
Unter dem Vorwand ihn in der Wüste zu vergraben, hatte Rango mit Pekaris die Klapperschlange in die Wüste gezogen und in diese Felsen geschleppt. Niemand hatte etwas gesagt. Nur mit Mühe hatte er Doc dazu überreden können sich den Zustand der Schlange anzusehen. Heimlich. Zum ersten Mal in Rangos Leben war er froh, dass es die Schweigepflicht unter Ärzten gab.
Er hob den Kopf, als er ein leises Stöhnen hörte.
Die feurigen Augen wurden sichtbar. Genau dieselben Augen, die er zum ersten Mal gesehen hatte. Die Augenlider zitterten leicht.
Die Augen suchten die Umgebung ab, bis sie an einer bekannten Figur hängen blieben.
„Du?"
Rango verengte die Augen, seine Hand nahe seines Revolvers am Revolvergürtel. „Ja, ich."
Die Schlange schaute auf seine Hand. „Du hast den Abzug gedrückt."
„Ja, ich hab ihn gedrückt."
„Aber ich bin nicht tot."
Rango schnaubte. „Sei froh, dass ich dich nur knapp verfehlt habe, weil ich kein guter Schütze bin."
Die Schlange krampfte kurz zusammen, bevor sie ihre Lippen bewegte und sprach:
„Du hättest mir leicht einen Kopfschuss verpassen können."
Rango senkte schweigend seine Augen und hielt seine Hände auf seinem Gürtel.
Die Schlange verengte die Augen. „Warum hast du es nicht getan?"
„Warum?", wiederholte Rango Jakes Frage. Er schwieg ein paar Sekunden bevor er den Kopf hob und in die Augen der Klapperschlange blickte. „Weil ich das nicht bin."
Die Schlange sah ihn mit Fragen im Gesicht an.
„Du hast mir gesagt, ich soll zeigen wer ich wirklich bin. Erinnerst du dich?" Rango lächelte leicht spöttisch. „Ich muss dir danken. Ich habe herausgefunden wer ich bin."
„Und wer bist du?"
„Sieh mich an. Das ist das was ich bin."
Er drehte sich um. „Tu mir den Gefallen, und halte dich jetzt immer von der Stadt fern. Ich will dich nicht noch einmal umlegen."
Er lauschte in die Stille. Nur die Atmung von ihm und Jake war zu hören. Doc sagte gar nichts. Er respektierte die Stille zwischen den beiden ungleichen Reptilien.
„Das ist das, was ich dir sagen wollte", sprach Rango nach einer Weile. „Ich werde dich jetzt verlassen. Doc wird solange noch hier bleiben bis du fit genug bist wieder alleine klar zu kommen. Ich muss jetzt wieder in die Stadt."
Er machte ein paar Schritte vorwärts, um die Höhle zu verlassen.
„Sheriff?"
Er blieb stehen.
„Woher kommst du wirklich?"
„Erzähl ich dir ein andern mal, vielleicht. Ich kann nur sagen, dass ich von irgendwoher komme."
„Ein andern Mal?"
„Ich bin sicher, dass wir uns wieder begegnen werden."
„Was macht dich da so sicher?"
„Legenden laufen sich immer wieder über den Weg."
Die Klapperschlange schwieg, aber es war ein sehr nachdenkliches Schweigen.
Und Rango fühlte es. „Hab ich mal in einem Film gesehen."
Dann verließ er die Klapperschlange und kletterte auf seinen Roadrunner, der draußen gewartet hatte. Sein Blick wanderte hoch zum dunklen Himmel. Er musste sich beeilen. Der Regen wird bald kommen. Er musste die Stadt erreichen, bevor der Regen begann. Er setzte sich in Bewegung und begann seinen Ritt. Wind kam auf. Feuchtigkeit füllte die Luft und klarte seinen Verstand auf.
„Ich weiß, was ich bin und ich weiß, was ich nicht bin."

- Ende -

Weil ich das nicht binWo Geschichten leben. Entdecke jetzt