Notizbücher und Kürbistörtchen

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Die Tür schwang von dem Läuten der kleinen Glocke begleitet auf und ließ einen Schwall herbstlich kühler Luft herein. Es roch nach frisch gebrühtem Kaffee und den Kürbistörtchen, die es kurz vor Halloween überall gab, die jedoch nirgendwo so gut schmeckten wie in dem kleinen Café in dem er seit letztem Monat arbeitete. Zusammen mit dem Windstoß war ein Mädchen durch die Tür gekommen, einen dicken Schal um die Schultern geschlungen und mit von der kalten Luft ganz roten Backen. Aus ihrer Stofftasche lugte ein ledernes Notizbuch hervor und hinter ihrem Ohr, halb versteckt von den braunen Locken, konnte er einen Stift stecken sehen. 

Sie war noch nie hier gewesen, da war er sich ganz sicher. Sie wäre ihm nämlich bestimmt im Gedächtnis geblieben, wie sie sich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen nach einem leeren Platz umschaute, die Träger ihrer Tasche auf ihrer Schulter zurechtrückte und dann mit ihrem wippenden Gang, der ihre Locken hüpfen ließ, auf einen Tisch direkt am Fenster zusteuerte. Sie ließ sich auf das knallbunte Kissen fallen und legte ihr Notizbuch vor sich auf das dunkle Holz, gefolgt von einem bereits von den Jahren gezeichneten Walkman und dem hinter ihrem Ohr steckenden Kugelschreiber. 

Sein Herz machte einen nervösen Sprung, als er sich neben ihren Tisch stellte, um ihre Bestellung aufzunehmen. Als sie ihn erblickte, legte sich ein strahlendes Lächeln auf ihr Gesicht und er bemerkte die bereits in der Herbstsonne verblassenden Sommersprossen auf ihrer Nase. Schüchtern lächelte er zurück und musste sich kurz räuspern um das enge Gefühl in seinem Hals zu vertreiben. „Weißt...Weißt du schon, was du trinken möchtest?" Er hoffte, dass sie nicht sah, wie der Block in seiner Hand leicht zitterte und wie unsicher seine Stimme klang. „Eine heiße Schokolade mit Schlag und Marshmallows, bitte", ihre Augen funkelten, „Und eines dieser Kürbistörtchen, die so unglaublich gut aussehen!" „Es sind die besten der ganzen Stadt" , kommentierte er ihre Bestellung schüchtern, froh darüber, dass ihm etwas eingefallen war, das er sagen konnte. Doch schon im nächsten Moment war er beunruhigt, ob das nicht zu eingebildet und nach einer dieser Standardfloskeln klang. Aber ihre Grübchen schienen sich nur für einen Augenblick noch weiter zu vertiefen, dann wandte sie sich wieder ihrem Notizbuch zu. 

Die gewellten Seiten waren mit scheinbar weltverändernden Wörtern beschrieben. Sie blickte nicht auf, als er ihre Bestellung vorsichtig auf das zierliche Tischchen stellte, darauf bedacht sie nicht aus ihrer Versunkenheit zu reißen. Er versuchte einen Blick auf das Geschriebene zu erhaschen, auf ihre schöne, schnörkelige Schrift, doch ihre Haare hingen wie ein Vorhang in seiner Sicht, schützten vor ungewollten Beobachtern. 

Die Zeit verstrich und nur noch wenige Gäste saßen in dem kleinen Café. Er lehnte an der Theke und beobachtete das Mädchen, wie es tief versunken in einer anderen Welt aus Buchstaben und schönen Wörtern Zeile für Zeile ihr Notizbuch füllte, die Kopfhörer ihres Walkmans in den Ohren. Er hätte sich stundenlang in diesem Anblick verlieren können. Doch er traute sich nicht sie anzusprechen aus Angst sie aus ihrer eigenen Welt zur reißen und sie damit zu verärgern. Er hätte nur zu gern gewusst, was sie in ihr Büchlein schrieb, welche Gedanken sie verfolgte. Nur kurz hatte sie einmal den Stift sinken gelassen um sich noch ein Kürbistörtchen zu bestellen, welches sie mit einem ihrer strahlenden Lächeln und ein paar netten Worten lobte. Doch er hatte nicht weiter mit ihr gesprochen, da er merkte, dass sie ganz und gar in ihrer Traumwelt versunken war und dadurch seine Worte gar nicht wirklich hören würde. 

Nun wartete er auf den berühmten richtigen Augenblick, der im Leben nie zu kommen schien. Er versuchte sich im Kopf ein Gespräch zurecht zu legen, Sätze zu formulieren, die klug und sympathisch klangen. Aber er verwarf seine Überlegungen immer wieder wie begonnene Briefe, die zusammengeknüllt nacheinander im Papierkorb landeten. Mittlerweile war sie die letzte Besucherin, und eigentlich hätte er das Café schon vor wenigen Minuten schließen sollen. Die Straßenlaternen zogen helle Streifen über die feuchten Straßen und der Wind wirbelte die Blätter durch die Luft, als würden sie miteinander tanzen. Ein verträumter Blick stahl sich auf sein Gesicht, als er sich vorstellte, wie er mit dem Mädchen tanzen gehen würde. Auf einer dieser 60er Jahre Veranstaltungen, die in dem kleinen Lokal eine Straße weiter jede zweite Woche stattfanden und die er schon immer einmal besuchen wollte. Ob sie wohl mit ihm gehen würde?

Das Schaben eines Stuhls über Holz ließ ihn von seinem Tagtraum aufschrecken. Sie steckte sich gerade den Kugelschreiber hinters Ohr, ihr ledernes Notizbuch und der Walkman waren bereits in dem Stoffbeutel verschwunden. Sie kam auf ihn zu, ein kleines Säcken, in dem man die Münzen klimpern hörte, in der Hand. „Das ist wirklich ein wunderbares kleines Café", ihre Augen leuchteten, als sie sich noch einmal kurz umschaute, doch er konnte auch die Müdigkeit sehen, die sich langsam aber sicher vom stundenlangem Schreiben in ihre Gesichtszüge stahl. „Was schulde ich dir für die besten Kürbistörtchen der Stadt?", sie zwinkerte ihm verschmitzt zu. „Die gehen aufs Haus!" innerlich klopfte er sich auf die Schulter für diesen spontanen Einfall. Nun kam es ihm vor, als hätten sie eine Verabredung gehabt, natürlich keine richtige, aber eine winzig kleine irgendwie. Sie schaute kurz verdutzt, als würde sie sich wundern weshalb er sie einlud, als wäre ihr nicht bewusst, wie sehr sie ihn beeindruckt hatte. Doch dann strahlte sie wieder eines ihrer wunderbaren Lächeln, bedankte sich überschwänglich, drehte sich um und steuerte auf die Tür zu. „Jetzt oder nie", murmelte er sich zu, doch da war sie bereits in die kühle Nacht hinausgetreten, aus seinem sicheren Umfeld heraus. 

Enttäuschung drückte ihm gegen die Brust und er hätte sich für seine Unsicherheit ohrfeigen können. Mit hängenden Schultern wandte er sich dem Tisch zu, an dem sie vor kurzem noch gesessen hatte, um das Geschirr abzuräumen. Er war sich schon gar nicht mehr sicher, ob er sich das Mädchen vielleicht auch nur eingebildet hatte, ein Wunschtraum im nebeligen Alltag. Er nahm gerade die blau gepunktete Tasse in die Hand als er ihn sah: auf dem Tisch lag ein leicht gewellter, fein säuberlich aus einem ledernen Notizbuch getrennter Zettel, mit schöner, schnörkeliger Handschrift verziert.

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