Wilde Mähne

Kapitel 3

„Was soll das denn heißen? ‚Zumindest nicht körperlich'?" hakte Sophie nach.

„Ach, du weißt schon. Sein enormes Ego könnte eventuell gekränkt sein. Er ist doch immer nur unter Gestaltwandlern unterwegs, deshalb ist er eine andere Reaktion auf sein Knurren gewöhnt." Führte Marly munter weiter aus, während sie eine braune Papiertüte hervorkramte und an Sophie weiterreichte.

„Hier, der Apotheker hat gesagt, dass das hier mit deinem Hals helfen wird."

„Danke... äh... was für eine Reaktion wäre denn unter Gestaltwandlern normal? Verwandelt ihr euch und geht einander an die Kehle, wenn jemand euch anknurrt?" stammelte Sophie verwirrt. Langsam überwog doch wieder die Neugier. Hätte Mikey sich in einen Löwen verwandelt, wenn sie sich nicht vor ihm erschrocken hätte?

„Das kommt ganz auf die Art des Knurrens an, Liebes. Bei dem was du gerade gehört hast sind mehrere Reaktionen möglich. Entweder du gehst ihm an die Kehle, weil du keine Lust auf ihn hast, oder... nun... oder du hast eben doch Lust." Erklärte Marly schulterzuckend. Sophie verstand zunächst nicht, was die Löwin ihr sagen wollte, doch als sie sich räusperte und hinzufügte „Ich glaube ihr Vollmenschen redet nicht so offen über sowas, oder? Ich weiß gar nicht, wie ich es richtig erklären kann, ohne dich endgültig zu verschrecken", fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Oh... ich, äh... Oh. Ach so." stammelte Sophie und lief rot an. Sie war also gerade offiziell von einem Raubtier angeflirtet worden. Interessant.

„Keine Sorge, er wird das nicht noch einmal tun, wenn du ihm keine eindeutigen Signale gibst. Wenn Löwenmännchen eines fürchten, dann die Rache eines genervten Weibchens." Erklärte Marly amüsiert und Sophie schnaubte ungläubig.

„Dir ist allerdings schon bewusst, dass ich kein Raubtierweibchen bin, sondern ein stinknormaler, schwacher Mensch, den Mikey ohne große Anstrengung fertig machen könnte? Ich glaube nicht, dass er mich fürchtet."

„Machst du Witze, Liebes? Dein Körper mag ihm unterlegen sein, aber deine geistige Stärke ist nicht zu verachten. Wie viele Menschen gibt es, die einen verletzten Gestaltwandler klaglos durchs halbe Land karren und sich danach mit einer Horde Bären anlegen? Und besagte Bären eiskalt in den Tod schicken? Wenn ich Mikey wäre, ich hätte eine Heiden Angst, dass du mich einfach verschwinden lässt, wenn ich dir auf die Nerven gehe."

Sophie lachte ungläubig auf. Marlys Aufzählung ließ es klingen, als sei sie die härteste Gangsterbraut diesseits des Pazifiks. Sie schüttelte amüsiert den Kopf.

„So schlimm bin ich nicht. Wirklich. Ich tue nur was ich muss, um zu überleben. Und die Sache mit den Bären hat durchaus ihre Spuren hinterlassen." Mit einem schiefen Lächeln deutete sie auf ihren Hals und die, mittlerweile großflächig violett angelaufenen, Oberarme. Marly hielt einen Augenblick inne und ließ die Cornflakes Packungen, die sie gerade aus den Einkaufstaschen geräumt hatte, auf der Anrichte stehen, um zu Sophie zu gehen und ihr die Papiertüte mit ihrer Salbe, die sie weiterhin sinnlos in der Hand gehalten hatte, ab zu nehmen.

„Apropos." Murmelte die Löwin, nahm die Tube heraus und schraubte den Deckel ab, um etwas von der Salbe auf Sophies Hals zu verteilen. „Da sind blaue Flecken an Stellen, die du mit keinem Spiegel der Welt sehen kannst. Diese verfluchten Grizzlys sind solche Mistkerle." Schimpfte sie kopfschüttelnd, während sie noch ein wenig mehr Salbe auftrug.

„Solche Verletzungen sind sogar für Gestaltwandler keine Kleinigkeit. Und du stehst hier einfach und erträgst sie stumm, obwohl deine schwache DNA ewig brauchen wird, um das Ganze wieder zu richten. Also, ich persönlich halte dich für stark." Erklärte sie schmunzelnd und Sophie zuckte schlicht mit den Schultern.

„Trotzdem glaube ich nicht, dass Mikey sich vor mir fürchtet, oder in Acht nimmt. Er wollte wohl einfach wegen der ganzen Lebensretter Nummer nicht unhöflich oder aufdringlich sein." Erklärte sie der Löwin, die gerade dabei war die Salbentube wieder zu verschließen.