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Verwirrt zog er die Stirn in Falten und wirkte auch wie die meisten im Raum ziemlich ahnungslos. Es war doch keine Biologiestunde und auch dort hatte er nicht das Thema Blut.

Das erste Mal heute hob die Lehrerin ihren Blick und wanderte durch die Reihen, bis ihre Augen Damians fixieren und sie kaum merklich den Kopf schüttelte. Sein Unbehagen stieg. Hatte er etwas falsch gemacht?

Frau Zumsteg schluckte noch einmal und öffnete dann den Mund, um etwas zu sagen.

»Wir müssen über etwas Ernstes reden«, sagte sie dann. Ihre Stimme klang belegt und ihre Augen hatten immer noch diesen traurigen Schleier, den jeden in diesem Raum ansteckte. Die Stimmung war innerhalb von zwei Minuten von ausgelassen zu bedrückend gewechselt. Eine leise Vorahnung stieg in Damian auf. War etwa jemand aus ihrer Familie an Leukämie gestorben? Eines stand schon jetzt fest. Damian hatte am Ende des Tages endlich wieder Ideen für einen Blog, denn er konnte sich vorstellen wie sich seine Lehrerin fühlen musste, obwohl er dieses Gefühl des menschlichen Verlustes nicht kannte.

Sie hatte eine kurze Pause gemacht, ehe sie weitersprach. »Ihr wisst alle, dass Jodie 4 Tage lang nicht in der Schule war und gestern auch nur eine Stunde.« Man sah ihr an, dass sie eigentlich noch weiterreden wollte, doch sie konnte es nicht und brach ab, um sich wieder etwas zu sammeln. Und wieder schlug die Stimmung um. Erneut Getuschel und auch erschrockene Laute waren zu hören, während Damian überfordert mit der Situation war. Er verwarf seine Idee von vorher und zog eine andere in Bedacht, die ihm noch weniger gefiel. Sein Kopf war leer und er war nicht fähig, viel nachzudenken, doch eines wusste er. Er wollte, dass Frau Zumsteg weitersprach.

»Sie wurde von einem Arzt untersucht und der hat festgestellt, dass sie Leukämie hat.«

Durch die Klasse ging ein Raunen, was eigentlich kein Raunen mehr war, sondern ein Meer aus erschrockenen Lauten. Damian konnte es nicht glauben. Auch er war ausnahmsweise mal sprachlos. Jodie hatte...?

Er bemerkte, wie sich Juna zu ihm umdrehte und ihn wütend anstarrte. In dem Moment schien sein Gehirn verarbeitet zu haben, was Frau Zumsteg gesagt hatte und ein Schamgefühl machte sich in ihm breit. Er schämte sich für die ganzen Dinge, die er über Jodie gesagt hatte. Mit viel Mühe hielt er ihrem Blick stand. Eigentlich wollte er wegschauen und nicht mehr mit dem schlechten Gewissen konfrontiert werden.

Fay bekam Juna's Aufmerksamkeit. Die Rothaarige wirkte ebenfalls wütend und obwohl sie leise sprach, konnte ich verstehen was sie sagte.

»Wie lange wusstest du das schon?«, wollte Fay vorwurfsvoll wissen und ihre Augen verengten sich etwas. Damian konnte sich vorstellen, wie sich das Mädchen nun fühlen musste, es nicht von ihrer Freundin persönlich zu hören, sondern von der Lehrerin. Ihre Augen glänzten sauer. Das erste was einem auffiel, wenn man Fay ansah, waren ihre blauen Augen. Eigentlich war ihre Naturhaarfarbe braun.  In der 9. Klasse hatte sie sie sich rot gefärbt und war bis jetzt auch so geblieben.

Juna fühlte sich sichtlich unwohl, war aber selber auch etwas verwundert, als sie antwortete.

»Ich dachte, sie hätte es dir schon gesagt. Gestern hat sie es mir erzählt«, erwiderte Juna leise und sah ihre Freundin bittend an. Diese dachte gar nicht daran, etwas ruhiger zu reden. »Are you kidding me? Willst du mich verarschen?«, zischte sie nun auf Englisch und wandte sich dann sichtlich beleidigt um. Damian schmunzelte. Mädchen.

»Deshalb sollten wir uns jetzt allgemein etwas mit der Krankheit auseinandersetzen«, setzte Frau Zumsteg fort und zog den Jungen aus seinen Gedanken und Juna aus den Versuchen, ihre Freundin zu beruhigen.

Damit begann eine Stunde, in denen sich die Lehrerin auf das Pult setzte und einige Schüler desinteressiert in ihren Stühlen hingen, während andere gespannt den Fragen und Antworten der Lehrerin zuhörten. Damian für seinen Teil war ein Mittelding. Sein Interesse hielt sich in Grenzen und er hörte nur auf, wenn eine interessante Frage kam, während er seinen Block vollmalte.

Leukämie war tödlich und ein sogenannter Blutkrebs, was er aber schon vorher wusste. Die Krankheit zeigte einen Fehler der Blutbildung. Die Sache, dass viele Fälle Leukämie nicht überlebten, blieb Damian im Kopf sitzen und nistete sich wie eine Laus dort ein. Er mochte Jodie nicht besonders und machte sich auch gerne über sie lustig, trotzdem war es ihm auch nicht egal. Es hätte jeden aus der Klasse treffen können. Eine Frage hatte Damian aber noch und wie, als hätte sie seine Gedanken lesen können, hob Alena, eine Mitschülerin, die Hand und wurde von Frau Zumsteg lächelnd drangenommen.

»Wie hoch ist die Chance, dass Jodie überlebt?«

Die ganze Klasse wartete gespannt auf ihre Antwort, sogar Josh's Blick war ernst. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen und er starrte unentwegt auf seinen Tisch. Mit einem Stift malte er ein Loch aus, was sich nach den ganzen Jahren gebildet hat.

Damian beachtete ihn nicht weiter, sondern wandte seinen Blick wieder nach vorne zu seiner Lehrerin, die für einen Moment sprachlos wirkte. Sie hatte anscheinend nicht mit dieser Frage gerechnet. Aber schnell fing sie sich wieder und schaute unsicher in der Klasse umher, als würde sie sich fragen, ob sie der Klasse wirklich die Antwort sagen sollte. Vielleicht wollte sie ihnen - vor allem aber Juna und Fay - das nicht antun. Für einen kurzem Moment konnte Damian auch gut darauf verzichten, wollte aber auf der anderen Seite auch wissen, wie es um Jodie stand. Frau Zumsteg atmete nochmal tief ein und aus.

»Damals war Leukämie ein Todesurteil«, sie machte eine Pause, in der geschockte Blicke getauscht wurden. Auch Damian sah zu Josh, der aber nicht zu zuhören schien und weiter das Loch schwarz ausmalte. Der Junge kümmerte sich nicht mehr um seinen Sitznachbarn, sondern sein Blick schweifte zu Fay weiter, deren Gesicht ganz blass war und sie versteckte ihren Kopf in ihren Händen. Sie musste sich schrecklich fühlen. »Heutzutage liegen die Heilungschancen bei etwa 53%«

Er schätzte, niemand in diesem Raum war zufrieden mit ihrer Antwort, vor allem nicht das rothaarige Mädchen, was aussah, als hätte sie gleich einen Nervenzusammenbruch. 53% war eine mickrige Zahl. Es war also eine fifty-fifty Chance. Toll.

Gwen hob ihre Hand und wurde sofort aufgerufen. »Kann man davon vollständig geheilt werden? Ohne Nachfolgen?«

Frau Zumsteg's Gesicht verzog sich. Es würden wohl keine erfreulichen Antworten mehr kommen.

»Ein Krebs verschwindet nie ganz aus dem Körper. Man kann höchstens zu 99,9% geheilt werde, deshalb besteht immer die Chance, dass der Krebs zurückkommt. Die meisten Fälle werden ohne Nachfolgen weitestgehend geheilt, der andere Teil kann von bleibenden Hirnschäden leiden. Aber heute hat man gute Chancen, bei rechtzeitiger Behandlung geheilt zu werden.«

Damian und auch viele andere fragten sich nur noch eins: Ist die Hilfe für Jodie rechtzeitig gekommen?

°° Wie immer, das Gleiche!°°

JodieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt