4. Die Fremde im Zug

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Salomé

Heute wurde ich ein Opfer einer leidigen Kettenreaktionen,.... zuerst kam eine neue Lieferung Glasröhren zu spät,.... eine gefühlte Ewigkeit in der ich zur Untätigkeit gezwungen war, später wurden sie dann zwar doch noch endlich geliefert, aber es kam wie nicht anders zu erwarten,  prompt die falschen!!!
Als dann endlich die richtigen eintrafen ...hing ich mit der Produktion der einzusetzenden Körper weit hinterher...und da ich bis morgen zum ausliefern bereit sein musste, hieß das,.... Zeit hintendran hängen.
Und somit verschob sich mein Feierabend um fast zwei Stunden nach hinten....na wunderbar.!
Aber Hey, dafür war mein Zug nicht annähernd so voll wie ich das sonst gewohnt war.
Erfreut über das überraschende Platzangebot, steuerte ich zielsicher den erstbesten Vierersitz an, ließ mich in die Polster fallen und streckte behaglich seufzend, meine langen Beine von mir.
Anderer Zug, andere Gesichter....grinste ich nachdem sich mein Puls wieder beruhigt hatte,....und der Arbeitsärger geriet langsam in Vergessenheit, während ich mich neugierig umsah...
Eine Reihe vor mir saß ein älterer Herr der mich stark an einen der alten Griesgrame aus der Muppet-Show erinnerte, fehlte nur noch sein Kompagnon, damit sie sich über die anderen Fahrgäste lustig machen konnten. In mich hineinlächelnd rückte ich meine  Brille gerade.....
Noch eine Reihe weiter hintendran saß ein junges Pärchen, das sich gegenseitig anschmachtete, sich immer näher rückte und sich vermutlich gleich küssen würde.....


12Jahre zuvor

Ciel und ich lagen auf dem flachen Dach des Anbaus und starrten in den Sternenklaren Sommernachtshimmel.
Die Dunkelheit war unser gemeinsamer Freund....
Sie ließ ihn besser sehen, und von mir sah man weniger..

Als wir zwei Jahre zuvor, im wahrsten Sinne des Wortes,  aufeinanderstiessen, fand ich seine Art zu reden und die Sonnenbrille im ersten Moment Megaaffig....
Bis ich ihn näher kennenlernte.....
Seine Sonnenbrille war keineswegs ein modisches Accessoire sondern mehr als notwendig.
"Chérie, für mich ist das Leben ein Film noir in Echtzeit und ohne Sonnenbrille bin ich tagsüber....aussie bien que..blind.!"erklärte er mir....und ich fühlte mich gleich super mies.
Eine ganze Weile hatte ich wegen meines unbeherrschten Ausbruchs zuvor, ein richtig schlechtes Gewissen, doch seine nonchalante Art ließ das nicht lange zu.
Er sah mich mit völlig anderen Augen und das im wahrsten Sinne des Wortes....
Er sah nicht meine verschieden farbige Augen oder meine verhassten roten Haare....er sah einfach nur mich und das tat mir gut.

Wir waren Aussenseiter und das schweißte uns zusammen .....
Sehr oft lagen wir in schönen Nächten hier auf dem Dach des Anbaus vor meinem Zimmerfenster und flachsten herum wer von uns beiden, wohl das größere Opfer wäre.

Ciels Vater war französischer Botschafter und mit seinem Diplomatenstatus, hätte er im Grunde seinen Sohn auf ein Eliteinternat
schicken können, oder aber einen Privatlehrer einstellen, aber das alles wollte Ciel nicht mehr...
"Chérie ich möchte am Leben teilhaben, am ganz normalen Leben,...verstehst du?"
"Naja ich weiß nicht,....ich hätte mich über die Vorzüge von Privatunterricht definitiv gefreut. Kein Versteckenmüssen mehr vor den Angelas dieser Welt und so.....das fänd ich extremst cool!"
"Ach Salomé,  ma jolie Fée....es wird bestimmt nicht für immer so sein!"
"Bist du dir da so sicher...? Ich nicht...!"
"Was ist schon sicher chérie...? Wir müssen eben das beste daraus machen...non?"
"Ja ich denke schon,....und ganz ehrlich Silly, ich bin froh das du nicht bei diesen elitären Schnösel in ihren verstaubten Schlössern hockst, sondern mit mir beim niederen Pöbel dein Dasein fristest."
"Mit niemand anderem, so gerne wie mit dir chérie."
Oh Mann manchmal trug er schon arg dick auf, ....aber es hatte auch seine Vorteile, zum Beispiel den Extra Nachtisch in der Mensa...
Die Damen an der Essensausgabe waren seinem Charme vollständig erlegen...tja sehr zu meinem Naschkatzenvorteil......was ich natürlich gnadenlos ausnutzte.

Ciel's Lebenstraum war es, Modedesigner zu werden und ich glaubte felsenfest daran, das er es trotz seines Handicaps irgendwie schaffen würde, nur wie..?

"Salomé......?"
"Hmmmm...?" träge schnippte ich ein Steinchen vom Dach
"Beschreib mir die Farbe Blau.!"
Ich setzte mich auf...
"Welches Blau....Silly?"
"Wie viele gibt es denn?"
Ich überlegte kurz...
"Naja...so gesehen....etliche..."
Ciel verschränkte die Arme unter seinem Kopf, schloß die Augen und antwortete...
"Wähle drei...chérie..!"
"Ok......hmmmm....ich fange mal hell an...also Himmelblau.....hhhmm....Himmelblau erinnert mich an Eis...wie die Eiszapfen die im Winter hier am Dach hängen, und an die Bonbons die wir Antoine immer klauen....und an Zuckerwatte...!"
"Zuckerwatte???"
"Jaaaaaa...so leicht  wie Zuckerwatte und so kühl wie der Eiszapfen...aber dennoch freundlich..!"
Er grinste.....
"Gibt es denn auch unfreundliche Farben chérie?"
"Ja sicher!"...die offensichtlichste trug ich seit 14 Jahren zur Schau....
"Aber egal.......dann gibt es noch Marineblau....deine Hose hat übrigens diese Farbe...Marine ist finde ich Majestätisch, satt, kräftig, erhaben,.....wie das Meer in deiner Heimat, an einem sonnigen Tag......!"
Er lächelte vergnügt, während er sich mit Sicherheit an die Ferientage erinnerte die er erst vor kurzem dort verbracht hatte.
"Und Nummer 3?" erinnerte er mich
"Uff du bist echt hartnäckig.......mmm lass mich überlegen.....Mitternachtsblau.....es ist so dunkel....fast schon schwarz, aber nur fast ....so wie der Himmel über uns jetzt...zig tausende Sterne glitzern darauf....es strahlt Ruhe und Eleganz aus. Oh Mann ich brabbel vielleicht einen Scheiß zusammen!" lachte ich kopfschüttelnd
"Mais au contraire.....chérie, das finde ich nicht im geringsten.  Du hast mir sehr geholfen.!"
"Aha....ok...wenn du das sagst....! Übrigens ich hab vielleicht, möglicherweise, ein Date!"
sagte ich so beiläufig wie möglich....

"Mon dieu chérie,...!" er setzte sich eilig auf und ergriff lachend meine Hände..
".... na siehst du, es wird doch alles gut!"
"Das sagst du so leicht.......was wenn sie mich küssen will! Ich weiß doch gar nicht wie das geht!!"
"Dann zeige ich es dir....chérie."
"Du Spinner, du stehst doch auf Jungs und ich auf Mädels....wie...stellst du...?"
"Tz...tz..tz....ich stehe auf Menschen,  ma jolie Fée ..." und mit einem Zwinkern fügte er noch hinzu...
"Aber sei versichert, ich werde eure Tugend wohl wahren...Mademoiselle.!"
"Du verrückter Franzose......!"

Mit einem leichten Lächeln erwachte ich aus meiner Erinnerung auf, und ließ meinen Blick nach links schweifen....schräg mir gegenüber, drei Reihen entfernt saß eine junge Frau mit braunen Haaren die in einem frechen  Pferdeschwanz zusammengefasst waren.
Ihr Outfit schrie förmlich BusinessBitch......vielleicht urteilte ich ja auch viel zu schnell....bestimmt sogar....ging das noch als Macke durch?
Ok...streichen wir die Bitch,....aber was machte der freche Pferdeschwanz im  Nadelstreifenkostüm um ihren Lebensunterhalt zu sichern?
Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, da sie die ganze Zeit zum Fenster hinausstarrte.
Aber ich sah ihr Ohr, ein hübsches Ohr in dem ein rotes Kopfhörerteil steckte.
Welche Musik hörst du..?
Klassik?
Rock?
KlassicRock?
Gregorianische Mönche?
Walgesänge?
Unter ihrem Ohrläppchen, prangte ein kleines filigranes Tatoo, welches ich aber nicht wirklich erkennen konnte....angestrengt kniff ich die Augen hinter meinen blau getönten Scheiben zusammen und ........sie wandte ihren Kopf um und pustete sich ein paar Strähnen ihres Ponys aus ihren Augen....ihren braunen Augen.............mit denen sie mich jetzt direkt ansah.!
Verdammt! Erste Regel beim Beobachten:
Sei nie so offensichtlich!
Fuck....!
Sie grinste mir auch noch zu...!
Na prima...ich rutschte tiefer in meinen Sitz,....als wenn das helfen würde....und zog mir mein Beanie weiter über meine heiße Stirn. Am liebsten wäre ich ja ganz darin verschwunden.
Verstohlen schielte ich nochmals in ihre Richtung,....sie sah wieder zum Fenster hinaus aber sie lächelte dieses mal.
Ein wunderschönes Lächeln.

Die Fremde im Zug  BAND 9Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt