Wir versuchen es jetzt offiziell

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Nachdem ich mit Pamela ein Taxi teilte und in ihre Wohnung fuhr,  fiel mir auf, dass, obwohl ich kaum an dem Abend getrunken hatte, mir leicht schwindlig war. Womöglich lag es auch an der holprigen Taxifahrt und meinem vorherigen kleinen Nervenzusammenbruch. Ich war einfach froh, gleich in ein warmes Bett zu steigen und einen mehr oder weniger gelungenen Abend mit meiner besten Freundin von der To-do-Liste zu streichen. Dann hatte ich zumindest für eine Weile wieder meine Ruhe.

Pamela schloss leise ihre Tür auf, da sie ihren Verlobten nicht aufwecken wollte. Er musste früh raus und wollte nicht gestört werden, wenn wir wieder zurückkommen. Dass ich bei ihr und ihrem Verlobten Keith übernachte, war selbstverständlich nicht meine Idee, sondern die von Pam. Angeblich solle mich das wieder unter Menschen bringen. Doch ich empfand es eher als lästig und fühlte mich dadurch nur aufdringlich gegenüber den beiden Turteltäubchen. Mit einem leisen Stöhnen öffnete sie die schneeweiße Tür aus Holz und nahm meine Hand, um mich vorsichtig hineinzubitten. Ich folgte ihr stillschweigend und blickte durch ihre dunkle Wohnung. Es waren bereits alle Lichter erloschen und nur der Mond schenkte uns Einblick in die Räumlichkeit. Meine Wohnung sah seit Monaten, nein, Jahren schon nicht mehr betretbar für Gäste aus. Ich ließ meine Wohnung genauso gehen, wie mich selbst. Die Hausspinnen waren seit geraumer Zeit meine engsten Freunde geworden und der Staub hatte irgendwie auch etwas Sympathisches. Zum Glück konnte sich Pamela noch nicht dazu durchdringen, meine Wohnung zu besichtigen. Womöglich wäre sie sofort kollabiert und hätte alles auf den Kopf gestellt, aber das wollte ich einfach nicht. Es sollte so bleiben, wie es ist. Manchmal bildete ich mir dadurch ein, seinen Geruch noch so zu bewahren und das gab mir eine gewisse Kraft, weiterzumachen.

Das grelle Licht der Kühlschranktür ließ mich aus meinen Gedanken fliehen und ich sah, wie Pamela einen Erdbeerjoghurt stahl. Sie fragte mich nicht einmal und gab mir einen mit Brombeersorte. Um die Löffel sollte ich mich, ihrem Blick nach, selbst kümmern und versetzte mich in Bewegung. Es war alles noch wie früher. Alles lag am gewohnten Platz, dachte ich mir, als ich das Küchenschubfach öffnete und zwei kleine Löffel herausholte. Sie riss kurzerhand beide Deckel ab und schmiss sie in den Mülleimer, der direkt neben dem Kühlschrank stand. Ich sah normalerweise nicht gerne zu ihm, da Pamela diese Angewohnheit hatte, alte Fotos von Freunden und Familie draufzulegen. Doch diesmal konnte ich mich nicht davon abhalten. Ich lief direkt drauf zu und versuchte in der Dunkelheit die Gestalten auf den Polaroids zu entziffern. Einige, der Menschen, kannte ich selbst auch. Die, die ich nicht kannte, wirkten aber auch sympathisch und verrieten mit ihren Gesichtern viel von ihrer Persönlichkeit. Und plötzlich sah ich dieses eine Foto, welches ich bereits gehofft hatte, zu vergessen. Es war ein Gruppenbild von Keith, Pamela, mir und... Mein starrer Blick fiel langsam runter zu Boden und ich drehte mich von der Fotografie weg. Am liebsten hätte ich das Bild weggeschmissen oder zumindest verdeckt, aber das war Pamelas Haus und ihre Regeln. "Ich finde es wunderschön", flüsterte sie lieblich und kam näher. Ihr Löffel hing, wie ihre Zigarette vorhin quer in ihrem Mund und hinterließ ein Klimpern durch ihre Zähne. Nach Antworten war mir nicht, also blieb ich still und schaute nur auf meinen Joghurt, den ich noch immer nicht angerührt hatte. Seufzend steckte ich den Löffel in die helllila Pampe und aß den Inhalt, um einfach damit fertig zu werden. Nachdem wir beide aufgegessen hatten, gähnte Pamela lautlos und winkte mich zu sich. "Komm mit. Ich zeig dir, wo du schläfst." wisperte sie und führte mich erneut mit ihrer Hand durch die düstere Wohnung. Ich beäugte derweil ihre Wohnung, um zu überprüfen, ob wirklich alles beim Alten geblieben ist. Die beiden waren einfach Gewohnheitstiere. Als wir in einem Zimmer mit einem Bett standen, sah ich Pam verwirrt an. "Das war vorher noch nicht hier. Also das Zimmer. Seit wann habt ihr das, Pam?" Nun musste sie still lächeln. Das verwirrte mich nur noch mehr, sodass ich ihr einen fragenden Blick zuwarf. Normalerweise ließ Pam nie auf eine Antwort warten. Sie war absolut extrovertiert und ein totales Plappermaul, welches kaum abwarten konnte, Geheimnisse oder Tratsch auszuplaudern. Als ich gerade nochmal nachhaken möchte, unterbricht sie mich und sagt:  "Wir versuchen es jetzt offiziell."  Mein Atem stockte und ich wurde kreidebleich. Es war, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Sie wollten es versuchen? War die Zeit so schnell vergangen? Wie konnte ihre beste Freundin schon ans Kinderkriegen denken? So kannte ich sie doch gar nicht. Ungläubig blickte ich zu ihr und wurde von ihrem Gesicht nochmal bestätigt. Ein leises "Glückwunsch." konnte ich noch hervorbringen, bevor ich sie schnell in den Arm nahm, um nicht in Tränen auszubrechen.

Bis WeihnachtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt