Jaskier (the bard named after a flower)

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Jaskier bedeutet Butterblume. Vertraut war die kleine, hartnäckige Pflanze, die an Wegrändern und auf Wiesen zu finden war. Wie herausgeputzt, strahlte sie zwischen den blassen Gänseblümchen oder den mickrigen Gräsern in einem strahlenden Gelb.
Vor dem jungen Barden, der ihm aus einer Taverne heraus bis zum Ende der Welt folgte und eben diesen Namen trug, hatte Geralt ihnen keine Beachtung geschenkt.

Es hatte seine Zeit gedauert bis Geralt sich zum ersten Mal gefragt hatte, warum sein Gefährte diesen Namen als den seinen gewählt hatte. Einen einzelnen Stiel hatte er mit abgezupft, da er verwachsen war mit dem Wolfsbann. Weit geöffnet war der Kelch, anmutig geformt aus gelb geschwungenen Blättern, die in der Sonne schimmerten, während Geralt sie in den Händen drehte. Als die Blume aus seinen Fingern glitt, langsam zu Boden segelte verschwand auch die Frage wieder aus seinem Geist.

Erst in einer Nacht, die sich über ihren Köpfen spannte wie ein schwarzes, mit abertausenden Perlen verziertes Tuch hatte der Hexer es geschafft die Frage über die Lippen zu bringen.

Für den Bruchteil einer Sekunde entglitten Jaskiers Gesichtszüge, doch einen Wimpernschlag später lächelte er. Ein trauriges Lächeln, das eher einer Grimasse glich und seine kornblumenblauen Augen nicht erreichte.

"Die Leute merken es sich besser.", hatte er schlicht behauptet, "Kurz und einprägsam. Niemand schätzt Musiker mit einem langen Namen."

Es waren locker dahin gesagte Worte. Jeder hätte sich mit dieser Antwort zufriedengegeben. Das kurze Zucken in Jaskiers Händen, die Art und Weise wie seine Finger ruhelos über den breiten Ring an seiner linken Hand fuhren, verrieten Geralt dass mehr dahintersteckte.

"Aber warum Jaskier?", hakte er noch einmal nach, spürte den heftigen Herzschlag neben ihm unter dem Sternenhimmel, berauscht und voller Unsicherheit.

Eine Antwort erhielt der Hexer nicht. Stattdessen griff Jaskier nur nach der angebrochenen Flasche Wein, dessen süß sauren Geschmack sie noch auf der Zunge hatten und der ihre Sinne in Watte hüllte.

"Noch Wein, Geralt?"


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Oft dachte Geralt an jenen Abend zurück.
Meist an ihr Gespräch davor, an die Scherze, an das Lächeln, welches Jaskier ihm geschenkt hatte und ihn selbst in den schwärzesten Stunden der Nacht in Tageslicht hüllte.
Erst nach seiner Frage war es verblasst, als hätten sich dunkle Wolken vor das Funkeln in seiner Iris geschoben. Es war ihm nicht gelungen diese Schatten in jener Nacht beiseitezuschieben. Erst am nächsten Morgen, als die Sonne am Horizont schläfrig emporkletterte, blinzelte auch Jaskier zwischen seinen langen braunen Wimpern hervor.

Ihr Frühstück hatte aus Resten vom Abendessen und Blaubeeren bestanden, deren süßer Saft den ebenso schönen Tag willkommen geheißen hatte wie das aufkommende Zwitschern der Vögel. Als hätte er die seltsam gespannte Stimmung in der Nacht geträumt, war Jaskier wach und aufmerksam. Munter und laut wie immer, trotz des Alkohols.

Geralt konnte sich nicht an jedes Detail erinnern, doch wusste er, dass er den traurigen Gesichtsausdruck von Jaskier nicht wiedersehen wollte, die Art wie seine Schultern sich unter der Last beugten wie die Blätter einer Blume die drohte an ihrer Last zu zerbrechen.

Es gab jedoch Dinge die Geralt nicht verhindern konnte.
Jede Blume verblühte irgendwann einmal. Schleichend raubte ihnen die Zeit die Farbe ihrer Blüten, ließen sie welk werden und irgendwann würde sie vom Wind fortgetragen werden ins Nichts. Vergessen und das nach nur allzu kurzer Zeit.

Jaskier würde es nicht anders ergehen. In ihrer gemeinsamen Zeit hatte Geralt erkannt, dass der menschliche Körper zerbrechlich wie Glas schien. Eine einfache Erkältung, ein falscher Schritt, eine Wunde konnte ihn splittern lassen und die Scherben würden sich tief in Geralts Herz bohren. In sein viel zu weich gewordenes Herz, welches in Jaskiers zerbrechlichen und sterblichen Händen lag. Verzweiflung zerfraß ihn über die Wochen, je näher Jaskier ihm kam. Bis er keinen anderen Weg mehr wusste.

An jenem Tag auf dem Berg, entfernt von der Zivilisation, zwischen Felsen und leise flüsterndem Gras hatte Jaskier erneut ausgesehen wie die Blume, deren Name er trug. Wie eine Blume, über die zu oft getreten war, die zu viel erdulden musste und welche irgendwann geknickt und mit zerrissenen Blüten dem matschigen Boden glich.

Jede Farbe war aus Jaskiers Gesicht gewichen als Geralts Worte ihn trafen wie Tritte. Das Leuchten in seinen Augen erlosch, während Tränen darin aufstiegen. Mit einem Gefühl als hätte sich ein Seil um seine Brust gezogen erinnerte sich Geralt an den Klang von Jaskiers letzten Worten, die er dumpf flüsterte, ehe er sich abwandte. Selbst sein liebstes Instrument hatte der Hexer ihm geraubt.

Dafür nahm Jaskier an jenem Tag das Herz Geralts endgültig mit sich. Hatte er geglaubt, dass er den Schmerz nicht ertragen müsste, wenn der Barde aus seinem Leben verschwand, so hatte Geralt sich geirrt.

Leer und ausgebrannt fühlte er sich. Wie eine Kohle deren Energie verflogen war, übernahm die Kälte ihn. Unvollständig war er, wo er ging und stand. Seine Gedanken hingen bei dem Barden, mit dem Namen einer Blume, während Geralt seine tägliche Pflicht erledigte, ohne dass jemand nach der Jagd auf ihn wartete oder mit ihm das Bett teilte. Jaskiers Geruch, eine Mischung aus Kiefernholz und Honig und etwas ganz eigenem das ganz und gar zu ihm gehörte, verflog von von seinen Habseligkeiten, wurde weggeweht, so sehr der Hexer sich auch bemühte ihn zu verwahren. 

Mit jedem Morgen den Geralt allein aufwachte und feststellte, dass es für den Rest seiner Tage so weitergehen würde, wollte er schreien und brachte doch keinen Ton heraus, da er glaubte zu ertrinken in der Kälte der Einsamkeit die sich wie Staub auf alles legte.

Bis zu jenem Tag wo ihre Wege sich erneut kreuzten.

Unspektakulär, unerwartet als wollte das listige Schicksal Geralt an jenem Abend einen Streich spielen.

Wie der Hauch eines Windes an einem warmen Sommertag empfing ihn die vertraute Stimme als er die Tür zu der Taverne aufstieß und Jaskier erblickte.

Er lachte, er sang. Er würdigte Geralt all die qualvollen Stunden nicht eines Blickes, während die blauen Augen durch den Raum blitzten und dem Klatschen und Tanzen der Menge folgten. Einzig sein Puls verriet dem Hexer, dass seine Anwesenheit nicht unbemerkt gewesen war. Unterdessen ruhte sein Blick auf Jaskier, erfasste gierig jedes Detail, als könne der Barde sich in jeden Moment in Luft auflösen und für immer verschwinden.

Gleichzeitig kochte der Scham in Geralt. Für all die hässlichen Worte die auf seiner Brust ruhten und ihm die Luft abdrückten wie ein hässliches Tier. Schuld lastete auf ihn und die Frage, ob Jaskier nicht ohne ihn besser dran war, mehr Freude an einem richtigen Leben ohne Mutanten hatte, nagte an seinen Eingeweiden.

Doch stärker brannte das Verlangen unter seiner Haut. Die Sehnsucht nach dem Barden, nach seinen belanglosem Berührungen die Schmetterlinge in seiner Magengegend zum Leben erweckten. Der Wunsch ihn zu küssen spreizte in seinem Herzen die Flügel, verdrängte alles und erfüllte ihn mit Leichtigkeit. Nichts wünschte er sich mehr, als mit seinen kribbelnden Fingerspitzen durch das dunkelbraune weiche Haar zu fahren, in die blauen Augen zu blicken, die intensiver waren als Geralt in Erinnerung hatte und ihn mehr denn je an heruntergefallene Stücke des Himmels erinnerten.

Er wollte Jaskier, an seiner Seite, so lange wie das Schicksal ihnen gab und wenn er ihn gehen lassen musste, wollte er bis zu jenem Augenblick seine Hand halten, mit dem Wissen, dass nie wieder eine Blume seinen Blick auf sich ziehen würde wie Jaskier.

All dies war stärker als Geralts Feigheit. So folgten seine zittrigen Beine dem Jüngeren , der seine Vorstellung beendet hatte und den hinteren Ausgang ansteuerte wie von selbst, bis sie plötzlich einander gegenüberstanden.

Der Stoff des blauem Wams glitzerte im tanzenden Kerzenlicht als Jaskier den Kopf hob und die Schultern straffte, als bereite er sich auf einen tosenden Sturm vor dem ihm jeden Moment entgegenschlagen würde.

"Jaskier..-", begann Geralt, mit rauer Stimme.

"Was ist, Geralt?", erwiderte Jaskier heftig und verschränkte die Arme vor der Brust. Damit konnte er nicht das Zittern seiner Finger verbergen.

"Ich..-", brachte Geralt hervor, unschlüssig wie er das, was er fühlte aussprechen könnte. Wie leid es ihm tat war kaum in Worte aufzuwiegen, ebenso wenig wie er empfand.

Beschämt senkte er den Kopf, fixierte die abgetretenen Dielen auf denen sich verschiedene Fußabdrücke abzeichneten.

"Weißt du warum Jaskier so gut zu mir passt?", fragte der Barde aus heiterem Himmel. Abrupt sah Geralt auf und als ihre Blicke sich trafen, warf das Feuer weiche Schatten auf das Gesicht des Jüngeren. Seine Augen sprachen von Schmerz und schimmerten feucht als er fortfuhr.

"Butterblumen sind nutzlos.", sagte er, spuckte die Worte beinah schon aus, "Du kannst sie herausreißen so oft du willst, trotzdem wachsen sie immer dort nach wo du sie nicht brauchen kannst."

Die erste Träne bahnte sich ihren Weg über seine Wange, spiegelte geheimnisvoll das Licht, ehe Jaskier sie verärgert fortwischte.

"Meine Eltern hatten Recht, oder? Es passt.", sprach er voller Bitterkeit, wollte sich zum Gehen wenden. Ohne zu zögern, griff Geralt nach seinem Arm, hielt ihn fest.

Erschrocken sah Jaskier ihn an. Weitere Tränen rollten, hingen an seinen Wimpern, als er nach unten sah, unfähig in die Augen zu blicken die ihn an Splitter von Bernstein erinnerten.

"Das stimmt nicht.", krächzte Geralt. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, "Ich brauche dich."

Zweifel und Schock zeichneten sich auf Jaskiers Gesicht ab. Kurz biss er sich auf die Lippen, da lag Geralts Hand schon in seinem Nacken.

Eine Gänsehaut rieselte über seine Haut als er vorsichtig mit den Fingern durch das widerspenstige Haar fuhr.

"Butterblumen leuchten noch in der Abenddämmerung.", flüsterte Geralt, "Sie sind giftig und werden deswegen selten gefressen.", fuhr er fort, mit jedem Wort kamen sie einander näher.

"Sie verdrängen nicht, sie wuchern nicht, sie schützten wenn sie nah bei anderen Pflanzen stehen."

Mit dem Daumen wischte Geralt die letzte Träne fort, so zaghaft als könnte Jaskier unter der Berührung zerbrechen.

"Sie sind selbst in den finstereren Sümpfen zu finden.", sagte Geralt, während sie Stirn an Stirn gelehnt da standen. Am ganzen Körper bebte Jaskier, seine Finger krallten sich in Geralts Hemd. Ihm wurde schwindlig von der Nähe und dem Duft der ihn einhüllte. Mit tiefen Zügen atmete er ein.

"Sie spenden Licht und Hoffnung.", wisperte er. Warmer, hektischer Atem streifte seinen Hals. Für eine Sekunde versank er in Jaskiers Augen dem tief schimmernden Blau, welches ihn alles vergessen ließ.

"Und sie sind wunderschön."

Mit diesen Worten beugte er sich vor, die Hand noch immer an der Wange des Barden und versiegelte ihre Lippen zu einem Kuss.

Er schmeckte salzige Tränen und heiße Glut, die Überraschung und alle Farben dieser Welt und jede Faser in seinem Körper erzitterte. Vorsichtig atmeten sie durch die Nase, ehe Jaskier ihn zu sich heranzog.

Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, dem ersten seit einer langen Zeit, während sich in ihm eine Wärme ausbreitete, als hätte ihn jemand in heißes Wasser getaucht.

Er wagte erst zu atmen als sie sich zaghaft voneinander lösten, mit hämmernden Herzen, betrunken vor Glück. Als Jaskier ihn anlächelte, voller Verlegenheit und einem Glitzern in den Augen wusste Geralt, dass der Frühling in sein Leben zurückgekehrt war. Doch was interessierten ihn die anderen Blumen?

Er hatte seine gefunden. 




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Danke fürs Lesen dieses Oneshots <3 Weitere werden folgen! 

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