Ich bin der festen Überzeugung dass egal wie genau man eine Sache plant, der letztendliche Ablauf und die Folgerungen dieses Geschehens, nicht einmal ansatzweise mit den persönlichen Vorstellungen übereinstimmen. Meistens zumindest. Ich habe mir eines Tages versucht einzureden dass es das Beste wäre, wenn ich einfach alles auf mich zukommen lassen würde, die Dinge so hinnehme wie sie sind. Ein findender Realist an Stelle eines suchenden Optimisten mit den heimlichen Neigungen eines Pessimisten. Wenn ich ehrlich bin, habe ich dieses Ziel nie erreicht. Bis jetzt zumindest. Vielleicht ist es besser so, vielleicht aber auch nicht — für beide Optionen gibt es sicherlich eine valide Schlussfolgerung. Eine sinnvolle Erklärung.
Die gibt es nämlich für fast alles.
Meine Mutter hat an jenem Tag vor 19 Jahren, an welchem sie mich auf die Welt gesetzt hat, wahrscheinlich nicht damit gerechnet dass sie nicht das kerngesunde Baby bekommt, auf welches sie sich ganze neun Monate gefreut hat.Ich Blicke herab auf den Innenhof der zwei riesigen gegenüberliegenden Gebäude. Wenn ich mir einen Lieblings-Platz aussuchen müsste, zumindest in den Tagen, Wochen und Monaten die ich hier verbringe, würde ich mich ohne groß nachzudenken für die große Fensterbank in meinem Zimmer entscheiden. Wenn gerade nichts besonderes ansteht, verbringe ich die meiste meiner Zeit damit, auf dieser zu sitzen und nach draußen zu schauen. Die vielen Leute die jeden Tag hierher kommen oder diesen Ort verlassen. Pärchen, Kinder, ältere Damen und Herren, die Vögel die manchmal alleine oder in Schwärmen vorbeifliegen. Das leise Summen meines tragbaren Beatmungsgerätes welches über beide meine Ohren gestülpt zu meiner Nase führt, ist das einzige was neben meinen schweren und regelmäßigen Atemzügen zu hören ist. 50% der Zeit kann ich eigentlich tun, was andere in meinem Alter auch tun: zur Schule gehen, Freunde treffen, Dinge unternehmen. An diesen Tagen könnte man manchmal fast meinen, dass mir überhaupt nichts fehlt. Die anderen 50% bestehen jedoch aus regelmäßigen Krankenhaus-Besuchen die sich eigentlich nur um allgemeine Kontrollen und darum, mich mit Antibiotika vollzupumpen, drehen. Therapie über Therapie, unzählige Tabletten und Pillen am Tag, inhalieren, am Leben bleiben.
Mehr als die Medikamente ist es wahrscheinlich mein großer Wille ein paar meiner Ziele zu erreichen, der mich noch hier behält. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Mukoviszidose-Patienten ist in den letzten Jahren zwar gestiegen, jedoch möchte ich mich an diesen Zahlen nicht festmachen. Ich stehe schon seit längerem auf der Warteliste für neue Lungen. Eine Lungentransplantation würde meine Lebenserwartung um ungefähr fünf Jahre erhöhen, was zugegeben eine lange Zeit ist. Für Leute wie mich zumindest. Der Gedanke daran, dass jeden Moment ein Anruf kommen könnte macht mir ehrlich gesagt große Angst. Denn genauso gut wie diese Operation mir helfen könnte, wäre sie auch in der Lage das komplette Gegenteil bewirken.
Ein stockendes Seufzen entweicht meinen Lippen als ich meine Augen durch den Raum schweifen lasse. Mein Blick bleibt an dem rosafarbenen Zettel, welcher mit Stecknadeln an die kleine braune Tafel an meiner Wand befestigt ist, hängen. Mit zwölf Jahren entschied ich mich dazu alle meine Träume, Wünsche und Ziele auf einem Stück Papier wie eine Art To-do List festzuhalten. Seitdem hake ich jeden Punkt ab den ich bis jetzt schon erreicht habe. Manchmal fällt es mir schwer nicht die Hoffnung zu verlieren, irgendwann mal mit dieser Liste durch zu sein denn wenn man es grob betrachtet, ist der Anbruch des morgigen Tages nie versprochen.„Na Liebes? Zwar hast du ziemlich spät gefrühstückt aber jetzt wo alles schon bereit steht dachte ich mir, dass ich dir dein Mittagessen schonmal vorbeibringe." Die große, braunäugige Frau, dessen schwarzen Haare in einen lockeren Zopf gebunden sind stolziert mit einem Tablett herein. Ich schenke ihr ein warmes Lächeln und sehe ihr dabei zu, wie sie alles auf dem Tisch neben meinem Bett, auf welchem meine kleine Medikamenten-Sammlung steht abstellt. Ohne sie wäre ich in diesem Gebäude wahrscheinlich schon tausende male umgekommen. Es ist wie als würde die Sonne aufgehen sobald sie anfängt zu sprechen, ihre positive Aura ist nahezu ansteckend. Fast schon komisch wenn man bedenkt sie mir beim aufwachsen zugesehen hat und mir bis heute zur Seite gestanden ist und es immer noch tut. Die Beziehung von Patienten meiner Art und Krankenschwestern ist eine sehr besondere. Yuna kennt mich nun seitdem ich als Kind meine ersten Nächte im Krankenhaus verbringen musste. Natürlich ist es, vor allem als Kind, nicht einfach an Orten wie diesen zu sein, während die eigenen Freunde ihre Zeit gemeinsam verbringen. Viele Male trieb ich sie an ihre Grenzen, vor allem an den Nächten, in welchen ich sie wegen meines starken Heimwehs förmlich terrorisiert habe. Zum Glück nahm sie mir das nie übel und würde es, wenn es drauf ankommt auch jetzt nicht tun.
„Ich habe im Moment keinen Hunger, danke. Die Pillen werde ich aber trotzdem nehmen." kichere ich während ich zu dem Tisch hüpfe und nach der kleinen, pinkfarbenen Dose greife in welcher sich meine Tabletten für den Mittag befinden.
„Mit Joghurt?"
Ich drehe mich zu Yuna, welche schon den kleinen Fruchtzwerge Becher bereit hält und lege meinen Kopf schief: „Mittlerweile solltest du die Antwort kennen." Schon seitdem ich klein bin mische ich meine Medikamente unter Fruchtjoghurt oder Pudding und nehme sie so zu mir. Damit schmecke ich sie nicht nur nicht, sondern fühle ich mich dabei auch nicht als wäre ich auf etwas angewiesen um durch den Tag zu kommen. "Es gab leider kein Erdbeer-Geschmack mehr, heute musst du dich mit Banane zurechtfinden." sie schmollt zunächst ironisch wonach sie jedoch auflacht als sie sieht, dass ich meine Miene ebenfalls verziehe.
Während ich schon bald damit beschäftigt bin den Joghurt in mich hineinzulöffeln, bereitet Yuna die Vibrations-Weste vor, welche es mir ermöglicht meine Atemwege zumindest ein bisschen mehr zu befreien und den festgesetzten Schleim zu lösen. Zwar zählt diese Therapie zu einer meiner persönlichen no-go's jedoch bin ich mir bewusst dass ich ohne sie, wie auch ohne jede andere von ihnen im Grunde genommen aufgeschmissen wäre.Mein Tagesablauf ist an diesem Ort eher weniger Abwechslungsreich. Das bedeutet aber nicht, dass die Zeit die ich hier verbringe weniger wert und verschwendete Zeit ist. Im Gegenteil: ich versuche so gut es geht das Beste aus jedem Moment zu schöpfen. Und seitdem ich mir vor drei Jahren dessen endlich bewusst geworden bin, ist Punkt zwei auf meiner Liste mit einem grünen Häkchen versehen: „Schätze was du hast, solange du kannst."
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Punkt vierzehn (chanlix)
FanficFelix hat nicht viele Erwartungen im Leben aber dennoch klare Ziele vor Augen: Auf seiner To-do List gibt es noch einige Punkte abzuarbeiten. Als Mukoviszidose-Patient ist es oftmals nicht einfach eine positive Einstellung beizubehalten. Auch wenn...