35 - Miriam

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Ich fühlte mich wie eine Mischung aus einem neuen Duracell-Häschen und einem klapprigen Laptop, dem man den Strom ausgeschaltet hatte. Wie das möglich war?
Die Zeit hatte sich meiner Wenigkeit erbarmt und wir waren endlich am Ende der Woche angekommen. Es war früher Freitagnachmittag und Valerie plante, seit sie von ihren Kursen gekommen war eine Party, die heute bei uns steigen würde. Eine Tatsache, die mich an jedem anderen Tag nerven würde, aber ausgerechnet heute konnte mir das nicht egaler sein. Ich glühte förmlich vor Energie und schwebte wie auf Wolken durch das Appartement mit einem dämlichen Dauergrinsen auf den Lippen.
Vor einer guten Stunde hatte mich Nolan angerufen und mir außer Atem mitgeteilt, dass er wieder da war und mich anschließend gefragt, ob ich heute Abend mit ihm auf ein Date gehen wollte. Nach einer kurzen Debatte hatten wir uns auf das klassische Kino geeinigt, trotzdem konnte ich kaum mehr aus dem Häuschen sein.
Ich war bester Laune, ungewöhnlich aktiv und fühlte mich quicklebendig.

Als ich ins Wohnzimmer ging, blätterte sich Jamie gerade durch ihren Kalender und blickte genervt auf, als sie mich hereinkommen hörte.
„Kannst du nicht endlich aufhören, wie ein aufgezogenes Spielzeug hin- und herzugehen?"
„Könnte ich", erwiderte ich lächelnd. „Aber das will ich nicht, dafür bin ich viel zu hibbelig."
Ein Klappern ertönte in der Küche und ich vermutete, dass Valerie dabei war, alle wertvollen Gegenstände bereits für den Abend zu verstecken.
„Sieh es ein Jamie, du dringst genauso wenig zu ihr durch wie vorige Woche, nur macht sie nicht mehr den Eindruck eines sterbenden Schwans!"
Entrüstet stemmte ich die Hände in die Hüften, was meine Freundin natürlich nicht sehen konnte. „So schlimm war ich nun wirklich nicht!"
„Nein", meinte Jamie trocken. „Du warst schlimmer. Du warst lustlos, hast uns nie zugehört und dich aufgeführt, als hättest du Schwangerschaftsstimmungsschwankungen."
Bei ihrem Vergleich wirbelte ich zu ihr herum und starrte sie schockiert an. Selten hatte sie solch beleidigende Worte ausgesprochen, von denen ich nicht einmal wusste, ob diese als Beleidigung gemeint waren. Jedenfalls sah sie mich nur unbeeindruckt an.
„Ihr übertreibt", gab ich schließlich von mir und schüttelte den Kopf.
Mein Kommentar ließ Jamies eine Augenbraue nach oben wandern. „Ach tun wir das? Oder warst du es, die übertrieben hat, bloß weil dein Engel eine Woche lang weg war? Wie bist du dein bisheriges Leben ohne ihn ausgekommen?"
„Damals wusste ich noch nicht, dass er existiert", verteidigte ich mich.
„Gott bewahre uns, wenn sie das gewusst hätte", fiel mir Valerie von der Küche aus in den Rücken und ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, wie sie vor sich hinlächelte.

„Vielleicht habe ich ein wenig Theater gemacht", räumte ich ein mit dem Versuch, versöhnlich zu klingen. Doch leider fiel Jamie nicht so leicht auf meine Tricks herein und musterte mich weiterhin äußerst kritisch.
„Ein wenig ist gut", meinte sie schnaubend.
„Ein wenig viel", schob ich kleinlaut hinterher und drehte mich mit einem Seufzer um meine eigene Achse. „Ich kann nichts dafür. Nolan macht mich einfach zu einem anderen Menschen. Ich liebe ihn!"
„Das wissen wir." Autsch.
Schmollend warf ich ihr einen Blick zu, aber sie hatte sich bereits wieder in ihren Kalender vertieft und entließ mich damit aus ihrer Aufmerksamkeit. Da ich keine weitere Diskussion mit Jamie vom Zaun brechen wollte, aber auch nicht wirklich stillhalten konnte, verzog ich mich stattdessen in die Küche in der Hoffnung, dass mich Valerie gut verstand. Sie führte im Vergleich zu Jamie und Daemon die hemmungslosere und offensichtlichere Beziehung mit Ethan, möglicherweise würde sie mein Benehmen nachvollziehen können. Also trat ich leise den Rückzug an und trollte mich in die Küche, wo ich Val am Boden vor offenen Regalen hockend vorfand.
Sie hob den Kopf, als ich näherkam und grinste mich vielversprechend an.
„Da hat es aber wen getroffen", kommentierte sie amüsiert und schlichtete eine unserer Ziervasen in den Schrank ein. Ich stellte mich hinter sie und lehnte mich am Herd an, während ich ihr dabei zusah.
Unsicher nahm ich eine der Haarsträhnen, die sich aus meinem Dutt gelöst hatten und zwirbelte sie zwischen meinen Fingern. Dass sie sich dabei verknotete entfiel mir.
„Wie du damals mit Ethan?", fragte ich scheu und wartete auf ihren Zuspruch. Doch der kam nicht sofort und Valerie lehnte sich seufzend nach hinten. Dann drehte sie ihren Kopf und sah lächelnd zu mir auf.
„Das, was du mit Nolan hast, kann man nicht vergleichen", sagte sie ungewöhnlich sanft. In ihren blauen Augen schimmerte eine Weisheit, die ich viel zu selten sah, weil sie die meiste Zeit herumquatschte. „Er ist ein Engel und eure Liebe ist im wahrsten Sinne des Wortes magisch. Natürlich war ich hin und weg von Ethan, auch wenn du es viel zu spät bemerkt hast."
Ihre Erinnerung an meinen Fauxpas ließ mich zusammenzucken, aber sie meinte es nicht böse und fuhr fort. „Euch beide verbindet mehr als nur Liebe, euch verbindet das Schicksal. Vielleicht benimmst du dich deswegen manchmal wie eine Verrückte."
„Ist das denn eine gute Rechtfertigung?", wollte ich hoffnungsvoll wissen. Wie es schien war Valerie nicht ansatzweise so nachtragend wie Jamie.
Nun grinste sie mich wieder schelmisch an. „Die beste", bestätigte sie mir und rechte den Daumen hoch.

Protect Him (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt