Gewitternächte

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Gemeinsam saßen sie auf dem flachen Gesteinsbrocken und sahen in die Ferne. Der kräftige weißhaarige Hexer hielt sein Stahlschwert auf dem Schoss, strich gedankenverloren mit den Fingern über die scharfe Klinge. Es klebte noch immer das Blut seiner Feinde daran.

Der schmächtige Barde neben ihm hatte ein Bein angewinkelt. Die Laute lehnte neben ihm und sein rotes Gewand war staubbedeckt. Die Schlacht war gewonnen.

Jaskier strich sich die verstrubbelten braunen Haare aus der Stirn und brach das erschöpfte Schweigen.

„Was werdet Ihr jetzt tun, Geralt? Schließt Ihr Euch Ciri an, zieht weiter umher und jagt Monster?", fragte er neugierig.

Der Hexer schüttelte langsam den Kopf.

„Ich habe Cirilla alles beigebracht, was ich weiß. Und sie ist als Hexerin noch sehr viel begabter als ich es je gewesen bin. Nein, ich denke ich werde mich zur Ruhe setzen. Ich bin das Töten leid", antwortete er und verblüffte Rittersporn damit. Die Monsterjagd war Geralts Lebensaufgabe gewesen solange die beiden sich kannten und schien ihm auch immer Freude zu bereiten. Doch die letzte Zeit und all das was passiert war hatten seine Meinung diesbezüglich offenbar geändert.

„Ihr wollt also den Rest Eures Lebens in Eurem Anwesen in Toussaint verbringen? Und Weinhändler werden?"

Rittersporns Stimme klang ungläubig. Der Barde sah zu seinem Begleiter hinüber, versuchte in seinem Gesicht irgendwelche Emotionen zu erhaschen.

„Ich mag Wein."


Eine Weile schwiegen sie wieder, doch irgendwann hielt Jaskier die Stille nicht mehr aus. Zu viele Fragen brannten ihm auf der Zunge, zu viele Ideen und Gedanken kreisten durch seinen Geist.

„Ihr werdet dort sehr einsam sein. Ohne Yennefer, ohne Triss. Und Ciri seht Ihr nur alle paar Monate, wenn sie euch besuchen kommt."

Geralts Gesicht blieb ausdruckslos, er starrte in den Abgrund der Klippe vor ihnen, wo die ersten Strahlen der Sonne über den Horizont kletterten. Es dauerte eine Weile bis er antwortete.

„Ich war mein Leben lang allein, Rittersporn. Ich bin daran gewöhnt. Es wird schön sein, ein wenig Stille um mich herum zu haben."

Jaskier ignorierte den kleinen Seitenhieb gegen ihn und sein loses Mundwerk. Der Gedanke an einen einsamen Geralt, der niemanden um sich hatte, machte ihn traurig.

„Aber... Ich finde Ihr solltet Gesellschaft haben. Das Allein sein bekommt Euch nicht. Ihr werdet noch mürrischer, wenn niemand da ist um Euch aufzumuntern und Euch aus Eurer Melanchollie zu reißen. Vielleicht sollte ich mit Euch kommen", formulierte er die Idee, über die er schon seit geraumer Zeit nachdachte.

„Beauclair ist weniger als einen Tag entfernt, ich könnte dort bei jeglichen Feierlichkeiten auftreten. Und ansonsten reise ich vielleicht ein wenig in Toussaint herum, spiele auf Hochzeiten und Erntefesten. Was meint Ihr?"

Begeistert sprang er auf die Füße und wartete gespannt auf eine Reaktion des Hexers. Dem schien sich die Genialität dieses Gedanken nicht wirklich zu erschließen.

„Wozu den langen Weg auf sich nehmen. Ihr könntet auch im Schloss der Herzogin wohnen", meinte er und sah den Barden dabei immer noch nicht an. Seine gelben Katzenaugen blickten stur an ihm vorbei. Das dämpfte Rittersporns Enthusiasmus ein wenig und das freudige Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.

„Nein... Sie und ich kommen im Moment nicht gut miteinander aus."

Es war ihm beinahe peinlich, es zugeben zu müssen, doch Anna Henrietta, die Herzogin von Toussaint, und er hatten eine langjährige Beziehung, die immer wieder unterbrochen wurde, wenn sie ihn aus dem Schloss warf. Mittlerweile war Jaskier sich sicher, dass ihre Verbindung niemals zu etwas führen würde, weshalb er es seit einiger Zeit aufgegeben hatte, in ihre Nähe zu kommen. Wenn er ehrlich zu sich war, wollte er sie auch gar nicht mehr sehen. Ihm war klar geworden, dass Anna Henrietta von Anfang nur eine Ablenkung davon gewesen war, dass er das, was er am meisten wollte, niemals bekommen würde.

Geralt wusste davon jedoch nichts.

„Gewiss. Doch wie ich Euch kenne, könntet Ihr sie im Handumdrehen wieder um Euren Finger wickeln. Es wird keine zwei Wochen dauern, bis sie Euch vergibt und Euch wieder freudig in ihren Hallen empfängt."

Damit hatte er vielleicht sogar Recht. Doch genau das wollte Jaskier eben nicht.

„Nun, ich denke, ich habe sie hinter mir gelassen. Ich würde viel lieber Euch Gesellschaft leisten. Wenn Ihr mich lasst", endete Rittersporn leise. Er sah zu Boden, hatte die Hände vor dem Bauch verschränkt und fühlte sich unendlich unwohl. Er fürchtete sich regelrecht vor der Antwort des Hexers. Der Barde hatte sich mit dieser Bitte in gefährliches, unbekanntes Terrain vorgewagt und konnte Geralts Reaktion nicht abschätzen.

Einen kleinen Moment lagen die gelben Augen auf dem Barden, dann blickte Geralt wieder dem Sonnenaufgang entgegen.

Ein leises „Mmmmhhh" war seine einzige Reaktion. Es klang zustimmend.


Viele Wochen später lag Geralt in seinem Bett auf dem Rücken und lauschte dem Donnern, das von draußen hereindrang. Ein gewaltiges Gewitter tobte dort, es stürmte und die gelben Blitze erhellten alle paar Minuten sein Schlafgemach. Der Lärmpegel hielt ihn vom Schlafen ab.

Doch offenbar war er nicht der einzige, den das Gewitter wach hielt. Vor seinem Zimmer hörte er zögerliche Schritte und schließlich öffnete sich die Tür und eine schlanke Gestalt trat ein. Der Hexer blieb ruhig liegen und hielt die Augen geschlossen. Er wusste genau, wer da zur Tür hineingekommen war.

Jaskiers Schritte und sein Geruch waren ihm so vertraut wie kaum jemand sonst. Der Barde ging vorsichtig in Richtung Bett, Geralt hörte seinen schnellen Herzschlag und roch seine Scheu. So leise wie es ihm möglich war ließ Rittersporn sich auf der anderen Bettseite nieder und rollte sich dort zusammen. Geralt konnte ihn neben sich atmen hören.

Von draußen ertönte ein lautes Donnern, welches den Barden heftig zusammenzucken ließ. Geralt spürte die Angst, die er verströmte.

„Julian?", flüsterte er leise, gerade eben laut genug, damit der andere ihn hören konnte. Jaskier war wohl davon ausgegangen, dass der Hexer schlief, denn er wirkte überrascht und ein wenig verlegen als er fragte: „Ja?"

„Komm her", meinte Geralt, drehte sich zu dem Barden um und streckte eine Hand nach ihm aus. Ehe Jaskier protestieren konnte hatte er ihn schon zu sich herangezogen und die Arme um ihn geschlungen. Nach einem kurzen Moment der Verwunderung entspannte sich der junge Mann und ließ den Kopf auf den Oberarm des Hexers sinken.

Geralt lauschte, wie Rittersporns Atem langsam ruhiger wurde und er schließlich in seinem Arm einschlief.

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