Kapitel 2

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Mittwochmorgen, 7:00 Uhr, Ortszeit Windhoek. Sie brauchte einen kurzen Moment, um sich zurechtzufinden in dem Zimmer, von dem sie gestern Abend vor lauter Müdigkeit nicht mehr viel gesehen hatte. Sie stellte ihren Radiowecker aus. Der machte sowieso nur komische Geräusche. Kein Wunder, er war ja auch noch nicht auf das Radio in Namibia eingestellt. Verzweifelt versuchte er, NDR 1 zu empfangen. Sie zog die Vorhänge auf, kniff die Augen zusammen, weil ihr die Sonne direkt ins Gesicht schien. In Richtung Osten ist das Fenster also ausgerichtet. Dann sah sie die unendliche Weite der Wüste. Was für ein Kulissenwechsel. Als sie gestern Morgen aufstand, blickte sie auf ein Parkhaus im Osten Hannovers.

Um 8:00 Uhr begann der Unterricht, sie musste also um 7:45 Uhr in der Schule sein, um sich bei der Person, die für sie zuständig sein sollte, vorzustellen. Noch 45 Minuten Zeit. Schnell duschen, Zähne putzen, eine Kleinigkeit frühstücken. Dann loslaufen, sie brauchte ja immerhin noch 8 Minuten vom Campus, auf dem die Angestellten wohnten, zur Schule, sagte der Chauffeur gestern Abend. Wo habe ich denn das Shampoo gestern Morgen nach dem Duschen vor der Abfahrt zum Bahnhof hingetan?, fragte sie sich. In den großen Koffer? Nein. Ins Handgepäck? Nein. Etwa in die Jackentasche? Nein. Shit. Dann musste sie eben so duschen, hoffen, dass ihre Haare danach auch ohne Shampoo nicht mehr fettig aussehen, und dann kauft sie sich heute Nachmittag nach der Schule frisches. Aber immerhin die Zahnbürste und Zahnpasta hatte sie eingepackt. Dann stinkt sie wenigstens nicht aus dem Mund wie ein Iltis. Was ist eigentlich ein Iltis?, fragte sie sich. Sie googelte. Die sehen ja aus wie Marder. Interessant. Und schon 4 Minuten vergeudet und nichts gemacht. Sie packte ihre Zahnbürste und die Zahnpasta, einen neuen BH und eine frische Unterhose und sprintete ins Bad. Sie warf die schmutzigen Klamotten in die Ecke hinter der Toilette. Sie hatte in den Kleidern, die sie gestern beim Flug anhatte, geschlafen. Nicht mal dafür, sich umzuziehen, hatte sie noch Muße. Sie machte die Glastür zur Dusche auf. Man konnte sagen, was man mochte, aber das Zimmer war toll ausgestattet, sogar mit Flat-TV und Glasdusche. Zuhause in Hannover hatten sie nur einen Duschvorhang in einem so hässlichen braun, dass sie sich nicht sicher war, ob ihre Eltern den so gekauft haben, vor 19 Jahren, als sie geboren wurde, oder ob er einfach nur ungewaschen war.

Sie genoss, wie das warme Wasser ihren Rücken herunterlief, und sie fuhr sich mit den Händen durch die Haare. Ihr war kalt, obwohl es draußen schon 23 Grad warm war. Sie stand mit dem Rücken zum Duschkopf - wie in der Shampoo-Werbung. Nur ohne Shampoo. Durch das nasse Glas der Dusche sah sie, wie der Spiegel über dem Waschbecken langsam beschlug. Sie merkte, dass sie schon eine ganze Weile duschte. Sie wurde hektisch, drehte sich zum Duschkopf, rieb sich wenigstens ein bisschen Wasser unter die Achseln und über ihre Brüste. Dann hatte sie zumindest kurzzeitig das Gefühl, sauber zu sein. Sie machte die Duschtür auf, stellte sich auf die Fliesen vor der Dusche. Sie tropfte, allmählich bildete sich neben ihr eine kleine Pfütze. Mit einem kleineren Handtuch band sie sich einen Turban, damit ihre Haare ein bisschen trockneten, mit einem größeren Duschtuch trocknete sie ihren Körper ab. Erst den Rücken, dann die Brüste, den Bauch, ihre Oberschenkel, die Arme und zu guter Letzt die Unterschenkel und Füße. Ihre Fußnägel musste sie auch mal wieder schneiden, dachte sie. Ein Glück würde sie in die Schule geschlossene Schuhe anziehen. Sie schaute auf die Uhr. 7:22 Uhr. Noch 13 Minuten, bis sie losmusste. Sie hielt die Zahnbürste unter den laufenden Wasserhahn, schmierte sich eine Portion Zahnpasta auf die Borsten, so groß wie eine Kidneybohne. Ihre Mutter hatte ihr eine Sanduhr eingepackt, damit sie auch immer wusste, wann die 3 Minuten zum Zähneputzen vorbei waren. Irgendwie ganz süß. Obwohl sie doch schon 19 Jahre alt war. Sie drehte die Sanduhr um, putzte sich mehr oder weniger ordentlich über die Zähne, während sie noch nackt in die Küche lief. Die Schule hatte ihr ein kleines Willkommenspaket in die Wohnung gestellt. Ein kleiner Leib Brot, ein paar Liter Wasser, etwas Holunderblütensirup, damit sie nicht nur das Wasser trinken musste. In den Kühlschrank hatte man ihr eine Portion Butter, ein bisschen Wurst und Marmelade gestellt. Und ein Brief lag in dem kleinen Präsentkorb.

Liebe ...,

wir freuen uns sehr, dass du dich entschieden hast, ein FSJ an der German Middle School in Windhoek zu machen!

Wir sind eine der renommiertesten Schulen in ganz Namibia. Ich nehme an, du weißt, wo du hier gelandet bist, aber ich stelle unsere Schule kurz in zwei, drei Sätzen vor.

Im Jahr 1992 wurde unsere Middle School schon unter dem heutigen Namen vom Deutschen Prof. Wilhelm J. Albrecht gegründet. Prof. Albrecht war Professor an der Universität Dresden, wo er Sprach- und Kulturwissenschaften lehrte. Mit einer Gruppe von Studenten seiner Universität startete er im Jahr 1991 ein Projekt, indem es darum ging, eine Schule in Namibia, das früher im Bereich der deutschen Kolonie lag, zu errichten. Im Mai 1992, nach vierzehn Monaten, begann der Bau der Schule, der durch staatliche Förderung der Bundesrepublik Deutschland mitfinanziert wurde, und wurde im November fertiggestellt.

Prof. Albrecht wirst du im kommenden Jahr bestimmt noch kennenlernen; für gewöhnlich kommt er zwei Mal jährlich hierher, um sich anzuschauen, wie alles läuft.

Weil wir eine deutsche Schule sind, sprechen alle unsere Schüler deutsch. Die jungen Schüler (wir beginnen bei Klasse 5, dort sind die Schüler zwischen zehn und elf Jahre alt) sprechen es meistens noch nicht fließend, die älteren schon.

Wie du weißt, darauf hast du dich ja auch beworben, wird es deine Hauptaufgabe an unserer Schule sein, mit den Kindern am Nachmittag zu spielen und mit ihnen Hausaufgaben zu machen. Erkläre ihnen gerne auch, was für dich die deutsche Kultur ausmacht, damit sie Deutschland ein wenig besser kennenlernen und nicht nur stumpf die Sprache lernen.

Wir haben mehrere junge Menschen hier, die ein FSJ bei uns machen. Sie leben alle auf demselben Campus, auf dem sich auch dein Zimmer befindet. Du wirst sie nach und nach kennenlernen. Marius, ein FSJler aus Heidelberg wird dir den Campus heute Nachmittag zeigen. Ihr seid um 17:00 Uhr am großen Brunnen am Eingang des Campus verabredet.

Alle FSJler sind auf die Klassen unserer Schule verteilt. Du wirst die Klasse 6c betreuen. Sie werden im Löwenzimmer unterrichtet.

Die Kinder freuen sich bestimmt schon sehr, dich kennenzulernen!

Mich triffst du am Lehrerzimmer, gleich nach dem Haupteingang der Schule rechts. Wie du zur Schule findest, hat dir Giorgio gestern Abend auf dem Weg vom Flughafen zum Campus hoffentlich erklärt.

Ich freue mich darauf, das nächste Jahr mit dir zusammenzuarbeiten!

Liebe Grüße,

Marina Schäfer-Jung

Schulsozialarbeiterin an der German Middle School Windhoek

Nein, Giorgio, der war wohl ihr Chauffeur, hatte ihr am Abend zuvor nicht erklärt, wie sie zur Schule findet. Na toll, jetzt hatte sie nach dem Lesen nur noch 9 Minuten Zeit, bis sie loslaufen musste. Sie ging ins Bad, die Sanduhr war bereits abgelaufen. Sie spuckte die Zahnpasta aus ihrem Mund, die sich inzwischen zu einem Schaum gebildet hatte, ins Waschbecken, spülte mit den Händen das Becken ein bisschen sauber. Sie musste sich noch kurz ihre Klamotten überstreifen. BH, Unterhose, eine dunkelblaue Dreiviertelhose und eine weiße Bluse. 7:31 Uhr. Sie schmierte sich noch schnell ein Brot mit Butter, legte noch eine Scheibe der Salami aus dem Kühlschrank, die seltsam rosa war, aufs Brot, schnappte sich ihr Nokia Handy mit den großen Tasten, das Portemonnaie und den Schlüssel, der ihr von Giorgio ausgehändigt worden war. Sie machte die Tür auf, ging hinaus. Mal schauen, wie sie jetzt zur Schule kommen würde. 7:34 Uhr. Noch 11 Minuten.

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