Kapitel 60

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Kralle's Sicht

Carina schläft noch, sie hat heute Spätschicht, und ich sitze gelangweilt in der Küche und trinken meinen Kaffee. Man, warum bin ich nur schon aufgestanden, ich hätte noch schön etwas schlafen können, wenn ich schon ein paar Tage frei habe. Gelangweilt schaue ich auf die Glut meiner Zigarette und meine Gedanken schweifen auf die vergangenen Monate. In erster Linie geistert mir das Thema, mit dem Kinder kriegen durch den Kopf. Als Carina und ich anfingen über das Thema zu sprechen, war sie Feuer und Flamme, sie wollte die Pille sofort absetzten und am besten direkt schwanger werden. Auch ich war begeistert und bereit dafür, aber ihr anfänglicher Enthusiasmus hielt nicht lange und es gingen die Diskussionen los. Sie hat die Pille dann doch wieder genommen und war sich nicht mehr sicher. Ständig kamen Argumente wie „Wir haben dann keine Freizeit mehr“, oder „Was wird mit dem Geld, reicht das überhaupt“. So ging das die letzten Wochen und Monate. Immer wieder sagte sie mir, dass sie ein Kind will und dennoch kamen sofort Aber-Argumente und das in einer Tour. Inzwischen denke ich, dass sie gar kein Kind will, beziehungsweise nicht bereit dafür ist. Damit nicht genug, denn auch das Thema Sex kam vermehrt auf den Tisch. Wie oft ich ihr sich schon gesagt habe, dass sie mehr aus sich rauskommen soll, lauter und lustvoller agieren soll, dass sie die Initiative ergreifen soll und sich mal was überlegen soll. Nein, absolut keine Veränderung. Ich mag es zwar, wenn sie tut, was ich will, sofort parat ist, wenn ich Lust habe, aber ich merke wenig davon, dass es ihr auch gefällt. Es liegt nicht an ihrem Körper, denn der ist heiß und erregt mich, es ist ihre Art wie sie dabei ist. Ständig will sie schmusen, kuscheln, streicheln, am Vorspiel hat sich seit unserem Kennenlernen nichts geändert, sie ist stumm wie ein Fisch und ich muss ihr quasi vorsagen, was ich will. Fast jeden Abend Versuche ich ihr mitzuteilen was ich darüber denke, jeden Abend ist es dasselbe und jedem Abend endet es in einem Monolog. Ja, sie schläft ein, wenn ich versuche unsere Probleme anzusprechen und zu lösen. Unser Sexleben besteht aus Lustbeseitigung durch Blasen und Quickies auf der Couch, einzig damit ich meinen Druck loswerde. Ich will nicht wissen, wie oft sie im Schlafzimmer sitzt und es sich selbst besorgt, weil sie sonst nicht kommt.
Auch Pia ist immer mal wieder Thema bei uns. Carina allerdings lässt absolut kein gutes Haar an ihr und das, obwohl Pia sie gut leiden kann. Wie fett Pia doch ist, wie faul und wie ekelhaft. Pias Stil ist scheiße und sie wird nie einen tollen Mann finden, all das und noch mehr lässt Carina über sie los. Ich glaube sie vergisst gerne mal, dass Pia meine beste Freundin ist und sie auch nicht immer die dünnste war. Auch andere Freunde von mir werden mit Schmackes durch den Dreck gezogen und es wird gnadenlos gelästert. Wenn die wüssten, was Carina hier von sich gibt, dann wäre so manche Freundschaft zerbrochen. Auch über Anna, welche Carina so ziemlich gar nicht kennt und ich eben aus Pias Erzählungen, lästert sie bereits ab. Dinge wie, dass sich ja zwei faule gefunden haben und jetzt gemeinsam den Kühlschrank leer fressen können und sowas kommen da. Es ist schon mehr als unverschämt, aber egal wie sehr ich gegensteuere, all diese Menschen werden durch den Dreck gezogen und schlecht gemacht. Ich weiß ja, dass wir sehr viel erreicht haben, in vielen Dingen den Leuten voraus sind und mehr Geld haben und und und, aber sie deswegen so niederzumachen ist auch nicht fair.
Ich hoffe sehr, dass sich vieles ändern wird, wenn wir endlich nach Tente gezogen sind. Wir haben endlich die sichere Zusage für die Wohnung und dürfen schon im September einziehen. Die Wohnung ist viel größer, hat einen Garten, einen großen Keller, eine Garage und noch einige andere Vorzüge. Ich hoffe das Carina dann entspannter wird und mehr aus sich rauskommt, mehr aus sich macht und auch mal wieder für mich die sexy Partnerin ist. Ich setzte viel Hoffnung in diesen Umzug, vielleicht rettet er unsere Beziehung. Immer wieder Spiele ich mit dem Gedanken diese zu beenden, aber sieben Jahre einfach wegzuwerfen, ohne zu kämpfen, nein, das tue ich nicht. Ich habe auch schon mal überlegt, ob ich mir nicht eine Affäre Suche, einfach um mal was anderes zu haben, mal aufregenden Sex zu haben, aber auch da habe ich mir selbst nein gesagt, da ich viel Wert auf Treue und Ehrlichkeit lege. Eine offene Beziehung kommt auch nicht infrage, denn das hatte ich Carina mal vorgeschlagen und sie brach sofort in Tränen aus. Also ertrage ich diese Flaute und hoffe einfach, dass es sich bald ändert. Ich weiß auch, dass ich viel über Sexualität nachdenke und ihr einen hohen Stellenwert gebe, das liegt aber daran, dass ich viele emotionale Dinge über körperliche Kontakte aktiviere und es für mich die innigste Form der Liebe ist. Guter Sex macht glücklich und das spiegelt sich auch in vielen anderen Situation wider. Naja, ich warte mal ab, was auf mich zu kommt und vielleicht wird es besser, außerdem habe ich noch meine Hände und meine Fantasie, in der ich immer noch mit Vorliebe Anna ausziehe.
Apropos Anna, heute Nachmittag werde ich sie kennenlernen, denn Pia hat mich gefragt, ob wir uns nicht treffen wollen und einen Energy trinken wollen. Sie hätte sich auch gefreut, wenn Carina mal wieder dabei gewesen wäre, da sie aber arbeiten muss, geht das nicht. Aber hey, ich lerne Anna kennen und vielleicht ist sie wirklich so toll, wie ich es mir vorstelle.
„Moin … Noch Kaffee da?“ Carina steht in der Tür mit einer langen schlabbrigen Jacke von mir und einem ziemlich verpeilten Gesichtsausdruck.
„Ja, da ist noch genug. Ich mach dir eine Zigarette. Hast aber lange geschlafen heute.“ Ich greife nach dem Stopftablett, um zwei Zigaretten zu machen.
„Ich war Hundemüde, war eine anstrengende Schicht gestern und dann waren wir noch so lange wach. Musst du immer so spät noch anfangen was zu besprechen?“ Der Satz von ihr macht mich etwas sauer, aber ich schlucke meine Wut runter und atme tief ein.
„Naja, wenn du mir ab und zu mal besser zuhören würdest, dann müsste ich weniger reden und, du glaubst es kaum, wenn du das umsetzten würdest, was ich sage, dann müsste ich sogar gar nicht mehr reden und wir könnten es genießen.“ Ich habe einfach immer wieder das Gefühl, dass sie meine Worte nicht ernst nimmt und es ihr egal ist, auch das habe ich bereits mehrfach erwähnt, aber keine Reaktion erhalten.
„Ich höre dir immer zu. Und jetzt muss ich erstmal pisspiss“, damit dreht sie sich um, stellt ihre Tasse hin, ohne einen schluck getrunken zu haben, und geht Richtung Bad. Da es uns beim Pinkeln egal ist, ob der andere zuhört oder zusieht, bekomme ich deutlich mit wie sie den halben Rhein ins Klo laufen lässt. Allerdings geht das an mir vorbei, denn mein Kopf sagt mir: 'Die hört nicht zu, ich frag sie mal was ich gestern gesagt habe…'. Die Spülung geht und Carina kommt wieder in die Küche. Sie greift nach einer Zigarette und setzt sich mir gegenüber hin.
„Und was habe ich denn gestern Abend gesagt“, will ich natürlich sofort wissen.
„Irgendwas mit wilder sein und unsere Beziehung leidet bald darunter und sowas. Maaaaaannnnn, ich bin noch total müde und hab noch nicht mal am Kaffee genippt, da kannst du mir doch nicht solche Fragen stellen.“ Gespielt genervt verdreht sie die Augen. Das entgeht mir nicht und ich weiß, dass sie den Ernst der Sache vollkommen außer Acht lässt.
„Trink du mal deinen Kaffee, vielleicht kommt es dann wieder“, brumme ich sie an und mach mir meine Zigarette an, „und wenn nicht, dann habe ich dir alles nochmal in diesem kleinen Brief geschrieben. Du wolltest, dass ich dir schreibe und da habe ich gestern Nachmittag noch was geschrieben. Ich habe zwar gehofft, dass wir darüber reden können, aber naja.“ Damit reiche ich ihr einen mehrseitigen Brief, in dem ich versucht habe, alle Probleme mal aufzuschreiben. Ich hoffe, sie denkt dann darüber nach, ist allerdings auch nicht der erste Brief.
„Gib her. Wolltest du dich heute nicht mit Pia und dieser komischen Anna treffen? Was habt ihr geplant, Pizza essen, also beiden eine Familienpizza und du einen Salat?“ Ihr gehässiger Gesichtsausdruck dabei sagt schon alles.
„Nö, wir gehen ein Booster trinken und dann ein wenig spazieren und quatschen.“ 
„Spazieren? Die Fette und spazieren? Na weit kommt ihr da aber nicht, außer du rolltst sie“, Carina muss lachen, „und ihre komische Freundin kannst du gleich hinterher kullern.“
Mir ist nicht wirklich zum Lachen, denn unsere Probleme machen mir Sorge, deswegen entscheide ich mich spontan für einen fiesen Konter.
„Was ist, wenn Anna eine super heiße Frau ist und mit mir allein sein will? Hm, was wenn sie Pia nach Hause schickt und mit mir in die Büsche will? Was dann?“
„Als ob…“, grölt Carina, „das soll sie mal versuchen, dann hau ich der auf die Fresse!“
Carinas Gelächter sagt mir nur, dass sie absolut keinen Respekt vor Pia hat und auch nicht vor Anna, obwohl sie sie nicht mal kennt. Aber so war es schon immer, jeder wurde durch den Dreck gezogen und in keiner Frau hat sie je eine wirkliche Bedrohung gesehen. Sie hatte immer nur Angst, dass ich sie verlasse, wenn ich mal lauter wurde und geschimpft habe, aber andere Frauen? Keine Gefahr. Ich bin auch eigentlich kein Mensch dafür, aber wenn es so weiter geht, dann gibt es nicht viele Optionen.
Nach zwei weiteren Tassen Kaffee ist es auch schon Zeit, dass Carina sich fertig macht. Ein wenig froh bin ich schon, dass sie gleich weg ist, denn obwohl ich versucht habe das Thema erneut anzuschneiden, hat sie hauptsächlich gelästert und dummes Zeug geredet und davon habe ich jetzt echt mal genug.
„So noch Schuhe an und dann muss ich auch schon los. Holst du mich später ab?“ Ach wie lieb sie doch fragen kann.
„Ja, kann ich machen. Ich bestell Pia mal schöne Grüße von dir, vielleicht kommst du ja beim nächsten Mal mit.“
„Mach das. Bis später.“ Mit einem flüchtigen Kuss verabschieden wir uns und ich schließe die Wohnungstür. Puh, endlich Ruhe. Gegen 16 Uhr will ich mich mit Pia und Anna treffen, da ist noch genug Zeit zum zocken. Ich fahre den PC im Wohnzimmer hoch, hole mir einen Kaffee und das Stopftablett rüber und mache es mir bequem. Der blöde Rechner braucht mal wieder ewig bis er alles geladen hat, dämlicher Kasten, und somit ist meine Tasse schon halb leer als ich endlich etwas am Monitor machen kann. Instinktiv mache ich mir Musik an und gehe auf Jappy, vielleicht hat ja wer geschrieben. Beim Durchschauen der Seite bleibe ich auf Annas Bild hängen und starre in ihre blauen Augen. Während die Musik mir in die Ohren dudelt, versinken meine Gedanken in ihren Augen und ich verliere mich in einem Tagtraum mit Anna an meiner Seite.

Wann hört es auf? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt