Kapitel 66

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Kralles Sicht

„Ihr könnt die Wohnung haben, der Peter hat zu Ende September gekündigt“, sagt mein Vater. Eigentlich hatte ich ihn nur angerufen, um mal zu hören wie es meinen Eltern so geht. Mit so einer guten Nachricht habe ich nicht gerechnet.
„Wenn das für euch ok ist, machen wir den Mietvertrag zum 1.11., aber ihr könnt ab Mitte Oktober schon anfangen zu renovieren.“ „Super, das ist doch mal eine gute Nachricht“, ich freue mich echt. Die Wohnung ist deutlich größer, hat einen riesigen Garten, eine Doppelgarage, einen großen Keller mit Partyraum und einen weiteren Raum auf dem Dachboden für uns. Freudig verabschiede ich mich von meinem Vater und lege auf.
„Ey, hast du gehört“, wende ich mich Carina zu, „ab Oktober können wir endlich in Tente anfangen zu renovieren. Jetzt heißt es Sachen kaufen und hier packen.“
„Es sind noch fast drei Monate, willst du die ganze Zeit zwischen Kartons wohnen?“ Ja will ich, denke ich mir. Ich freue mich schon die ganze Zeit auf den Umzug, denn ich habe diese Wohnung hier satt. Sie ist zwar ganz schön, aber die Fahrerei wegen der Motorräder und die Probleme mit dem Parkplatz sind für mich schon ein großer Dorn im Auge. Außerdem haben wir dann mehr Platz und können im Sommer im Garten grillen und so.
„Ach ist doch egal, ob hier überall Kartons stehen. Ich bin froh, wenn wir hier raus sind und uns in der anderen Wohnung breit machen können.“ Insgeheim hoffe ich natürlich sehr, dass sich unsere Beziehung verbessert und es endlich wieder Berg aufgeht.
„Mach uns noch zwei Zigaretten und dann machen wir uns fertig, wir wollten heute Mal in den Erotik-Shop in Wuppertal fahren. Vielleicht finden wir was Tolles zum Spielen und du was Nettes zum Anziehen. Später habe ich dann noch eine kleine Überraschung für dich und wenn wir was finden, dann könnte es sogar eine große Überraschung werden“, erinnere ich Carina und gehe im Kopf schnell nochmal meine Planung für heute Abend durch. Mal sehen, ob ihr gefällt, was ich mir da überlegt habe. Der einzige Nachteil ist, dass wir keine Tür im Wohnzimmer haben, nur einen Vorhang, und ich muss aufpassen, dass sie nicht heimlich guckt. Das wird richtig romantisch und gemütlich heute.
„Ich bin gespannt, was du dir ausgedacht hast. Es ist ja doch schon etwas her, dass du etwas vorbereitet hast“, Carina reicht mir die Zigarette und macht sich ihre an, „und im Shop finden wir bestimmt etwas Tolles. Vielleicht können wir nochmal Bilder machen, so wie letztens, wir ein ich was zum Anziehen finde.“ Wir überlegen und quatschen die ganze Zeit darüber, was man im Shop alles holen kann und vergessen die Zeit.
Nach der jetzt dritten Zigarette schaue ich auf die Uhr: „Ach du scheiße, schon halb fünf, schaffen wir das überhaupt noch? Wann macht der Laden zu, weißt du das noch?“
„Warte, das haben wir aufgeschrieben“, Carina kramt zwischen unseren Zetteln, „hier, die machen um neunzehn Uhr zu. Scheiße, das schaffen wir niemals, außer wir würden nur kurz gucken, aber dann kann man nichts Tolles finden.“
„Na toll“, frustriert stöhne ich auf, „dann gibt es nichts Neues. Naja, dann muss ich mit dem, was wir haben eben etwas zaubern.“
„Wir brauchen ja auch nicht unbedingt einen Vibrator oder Dildo, ich hab doch deinen Schniedel“, lächelt Carina mich an.
„Vielleicht hätte ich aber gerne mal eine Peitsche oder so an dir ausprobiert. Wir hätten Sachen in Richtung SM ausprobieren können. Es klingt schon recht interessant, wenn wir das im Fernsehen sehen, oder nicht?“ Ein gewisses Interesse habe ich an dem ganzen Sadomaso Gedöns schon, auch wenn es im Fernsehen ziemlich komisch aussieht, aber man muss es ausprobieren.
„Du willst mich hauen? Mit einer Peitsche? Mit fesseln und Lack und Leder? Ne, das ist doch bescheuert. Sowas machen nur perverse und Leute die kein schönes Sexleben haben“, lacht Carina. Bei den Sendungen hat sie schon immer recht abfällige Bemerkungen gemacht, aber etwas Hoffnung hatte ich gehabt, dass man davon etwas nutzen kann, um unser Sexleben bunter zu gestalten, schön ist nämlich was anderes.
„Mh, dann schauen wir mal was wir nachher so machen. Wir können uns vorher einen Film ansehen und heute mal was eher essen als sonst“, so wirklich passt es mir nicht, dass wir nicht in den Erotik-Shop fahren und auch nicht, dass wieder mal nichts Neues passieren wird. Mit meiner Idee, einen Film zu schauen, überspiele ich meinen Ärger und hoffe, dass wir da zumindest etwas Schönes schauen können. Es nützt ja auch nichts jetzt Stress zu machen und meine Lust auf einen heißen Abend hat sich auch ein wenig verabschiedet.
Somit trinken wir uns noch zwei Tassen Kaffee und reden über Dieses und jenes, bevor wir uns auf den Weg zur Videothek machen. Bisher haben wir dort immer tolle Filme gefunden und auch diesmal werden wir fündig. Ein Jugenddrama spricht uns direkt an. Auf der Rückseite steht, dass es um Gewalt, Drogen, Liebe und sowas geht. Bei solchen Filmen komme ich immer ans träumen.
Wieder zu Hause machen wir uns Salamibaguettes im Backofen und schaffen eine gemütliche Atmosphäre im Wohnzimmer mit ein paar Kerzen, zumindest etwas.
Der Film ist spannend, aber leider viel zu schnell zu Ende.
„Ich bin satt und müde“, gähnt Carina, „ich mach mich fertig fürs Bett.“
„Jetzt schon? Ich dachte wir schauen noch etwas so Fernsehen.“ Ich bin zwar auch müde, aber wirklich Lust zu schlafen habe ich noch nicht.
„Ne, keinen Bock. Kommst du auch gleich ins Bett?“ Mit der Frage steht Carina auch schon auf und geht ins Bad, um sich fertig zu machen. Naja, dann geht es heute mal was eher ins Bett, denke ich mal.
Nachdem wir uns fertig gemacht haben, ich auf Toilette war und das Licht aus ist, beginnen meine Gedanken zu Kreisen und, wie so oft nach eben solchen Filmen, träume ich von einem verrückten Leben.
Noch lange bevor ich einschlafe, treffe ich in meinen Gedanken ein wildes Mädchen, mit bunten Haaren, Piercings und Tattoos und sie nimmt mich an die Hand. Niemand ist mit unserer Beziehung einverstanden, aber das ist uns egal. Auf meinem Motorrad erkunden wir die Welt, ich bin ihr Held und sie meine verrückte Prinzessin. Wilde Küsse, heißer Sex und lauter spannende Abenteuer gehen durch meine Gedanken. Kurz vor dem Schlaf, blicke ich ihr ins Gesicht, in ihre blauen Augen und Anna lächelt mich an.

Mir geht Anna Gesicht durch den Kopf und die wilden Gedanken und Träume vom gestrigen Abend, als ich aufstehe. Der vertraute Duft von Kaffee steigt mir in die Nase und ich tapse in die Küche, wo Carina gerade Zigaretten macht.
„Oh Kaffee“, lächle ich sie an und setzte mich auf meinen Platz. Was will ich schon mit Anna? Sie steht sowieso nicht auf Typen, wie mich und außerdem habe ich eine funktionierende Beziehung. Anna arbeitet nicht und ist bestimmt so faul wie Pia, da hat Carina sicher nicht unrecht und so wie sie sagt, ist Anna eh zu rund, also gar nicht mein Typ. Carina ist schlank und das genaue Gegenteil von Anna, zumindest körperlich, ruhig sind sie beide ja. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, aber ich denke nicht, dass ich auf etwas rundere Frauen stehe, auch wenn Carina mal pummeliger war, aber seit sie abgenommen hat, sieht sie echt toll aus. Carina macht auch echt viel im Bett mit, was ich mir inzwischen bei Anna weniger vorstellen kann. Wie Carina vermutet, wird sie ein Brett unter dem Kerl sein, weil sie keinen Bock hat sich zu bewegen. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich Carina doch in so einigen Punkten zustimmen, zumindest theoretisch. Carina ist zwar selbst nicht die wildeste im Bett, aber was nicht ist, kann ja noch werden.
„So einmal Kaffee für dich“, reißt Carina mich aus meinen Gedanken, „worüber denkst du wieder nach?“
„Über Pia und Anna und das worüber wir letztens gesprochen haben, das die beiden zu faul für diese Welt sind und so.“
„Ja das stimmt wohl“, lacht Carina, „echt, ich bin ja wenig eifersüchtig und bei den beiden, da würde ich mir niemals Gedanken machen, dass du was von denen willst. Nicht so wie deine Mutter mal behauptet hat.“ Meine Mutter hatte mir vor einigen Jahren mal unterstellt, dass ich Carina mit Pia betrügen würde, weil sie oft zu Besuch war, aber Pia ist und war meine beste Freundin und da wird nie was sein, definitiv nicht.
„Ne, also, ne, wie kommst du darauf, dass ich mit denen was anfangen könnte oder überhaupt dich betrügen, ne. Ich kann Pia gut leiden und Anna kenne ich kaum, außerdem sind die beiden echt nicht mein Fall.“ Ich nehme mir eine Zigarette und einen Schluck Kaffee, während Carina wieder fröhlich über Pia, Anna und einige andere herzieht. Irgendwie ist es traurig, dass Carina nur so schlecht über andere redet und sich selbst für so toll hält. Klar, habe ich viele Zweifel, ob ich je eine Chance bei Anna hätte und auch Carinas geläster beeinflusst meine Gedanken und das immer mehr, ist zumindest mein Gefühl. Eigentlich ist Anna eine wirklich Süße und in meiner Fantasie und meinen Träumen hat sie immer noch die Hauptrolle, aber Carina redet sie schlecht, wie sie es mit jeder, egal welcher, Frau immer tut. Es muss nur eine etwas hübschere Frau an uns vorbeigehen und sie findet sofort etwas, was in ihren Augen hässlich oder dumm ist und belabert mich damit. Ich habe viele schöne Frauen gesehen und, ja, ich schaue auch gerne mal dem ein oder anderen Hintern nach und hau da in Gedanken mal kräftig drauf, aber dennoch wird jede Frau nieder geredet. Auf Pia und Anna hat sie es besonders abgesehen, vielleicht weil die beiden mir sehr nahe stehen und direkte Konkurrenz sein könnten, was bei Anna, zumindest in meinem Kopf, durchaus möglich wäre. Wer weiß schon was die Zukunft bringt, ob meine Träume wahr werden, ob ich vielleicht eine andere kennenlerne, ob ich Carina wegen ihrem geläster rauswerfe, ob ich wirklich was mit Anna haben werde, wer weiß das schon?
Ich hoffe im Moment nur, dass die neue Wohnung auch positive Veränderung mit sich bringt und unsere Beziehung wieder etwas besser, etwas intimer und etwas romantischer wird.

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