Kapitel 1

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Es regnete, als ich durch die dunklen Gassen des East Ends eilte. Ich zog die Krempe meines Hutes tiefer ins Gesicht, während ich die Kälte meines durchnässten Rocksaums and den Knöcheln spürte. So ein Mist! Dabei hatte ich das Kleid doch erst gestern gekauft. Mit einer Hand raffte ich den Rock zusammen, mit der anderen drückte ich das Kleiderbündel enger an meine Brust und beschleunigte meine Schritte. Der Regen verschwamm meine Sicht, während ich in eine weitere Gasse abbog. Ich hörte Wasserrauschen, anscheinend war ich in der Nähe der Themse. Meine Schritte hallten von den steinernen Mauern wider, während in die Richtung lief, in der ich den Fluss vermutete. Ich musste ein merkwürdiges Bild abgeben, wie ich zu einer so späten Stunde durch die finsteren Straßen Londons rannte. Nach einer gefühlten Ewigkeit erblickte ich vor mir den großen Fluss. Hektisch sah ich mich um, um sicher zu gehen, dass niemand hier war, und warf das Kleiderbündel in den Fluss. Ich wartete noch einen Moment, um sicher zu gehen, dass sie nicht mehr auftauchten, dann eilte ich weiter. Mein Haus lag in der New Oxford Street, weit entfernt vom düsteren East End. Ich bahnte mir meinen Weg entlang der Themse in Richtung des Stadtzentrums. Ich war immer noch überrascht  so weit gekommen zu sein. Man hatte es nicht leicht als Kind einer Prostituierten, aber dennoch hatte ich es geschafft mir irgendwie einen Weg in die Mittelschicht zu bahnen. Für mich war mein Leben perfekt, wenn da nicht noch meine Alkoholabhängige Mutter wäre. „Catherine ich bin deine Mutter! Du bist dazu verpflichtet mir unter die Arme zu greifen! Ich habe dich schließlich nicht umsonst neun Monate mit mir herumgetragen! Du bist so ein undankbares Kind! Hätte ich dich bloß damals in die Themse geworfen! Du bringst nur Schwierigkeiten!" All das hatte sie mir an den Kopf geworfen, worauf meistens auch Schläge folgten. Irgendwann hatte ich aufgehört die vielen blauen Flecken zu zählen, die ich ihr zu verdanken hatte. Wut stieg in mir hoch, bei dem Gedanken, an all die fürchterlichen Dinge, die sie mir angetan hat. Nein! Bleib ruhig Catherine! Diese Zeit ist vorbei, du bist 22 Jahre alt sie hat dir nichts mehr vorzuschreiben! Ich atmete tief ein und aus. Vor fünf Jahren war ich von dem Drecksloch das sich mein „Zuhause" nannte verschwunden und hatte mir ein Leben in der Mittelschicht aufgebaut. Am Anfang hatte ich in Bäckereien ausgeholfen, oder Post ausgetragen, bis ich eine Stelle in einer Schneiderei bekam, in der ich nun seid, drei Jahren arbeite. Sie gehörte einer Frau namens Adelia Evans, eine nette ältere Frau, die mich auch an den Verkäufer meines jetzigen Hauses weiterleitete. Mrs Evans hatte die Schneiderei gekauft, nachdem ihr Mann verstorben war und sie sich irgendwie über Wasser halten musste. Nun gehörte sie zu einer der besten Schneiderinnen in ganz London. Sie war sogar so bekannt, dass sie den ein oder anderen adeligen Stammkunden hatte. Folglich verdiente ich auch nicht schlecht und hatte schon einiges an Geld angehäuft. Über die Jahre verstanden Mrs Evans und ich uns immer besser und sie hatte bereits einige Male durchklingen lassen, dass sie wollte, das ich die Schneiderei eines Tages weiterführen würde, wenn sie nicht mehr wäre. Zuerst hatte ich mich sehr darüber gefreut, aber danach bekam ich ein wenig Angst. Würde man mich, die Tochter einer Prostituierten, überhaupt in der feinen Englischen Gesellschaft akzeptieren? Und wieder war Mrs Evans für mich da gewesen und hatte mich ermutigt. „Miss Nichols sie haben es schon so weit geschafft! Sie haben einen vernünftigen Job, ein Haus und sind eine meiner angesehensten Schneiderinnen. Wenn diese Schnösel von Engländern sie nicht akzeptieren, dann haben die gehörig einen an der Waffel." Hatte sie gesagt und mich warm angelächelt. Mrs Evans war die Mutter, die ich nie hatte und ich war froh, dass ich damals ihr Angebot für sie zu arbeiten angenommen hatte. So in meine Gedanken versunken lief ich beinahe an meiner Haustür vorbei, bemerke es aber noch rechtzeitig und drehte wieder um. Mit dem Fuß fegte ich ein paar rote Blätter von den Steinernen Stufen und trat vor die schwarze Holztür. Rasch zog ich den Schlüssel aus meinem Korsett und steckte ihn in das bronzene Schloss. Ich bewahrte meine Schlüssel oder andere Wertgegenstände immer dort auf, welcher Einbrecher würde schließlich im Korsett einer Frau nach Geld suchen? Meine Hände zitterten vor Kälte, als ich den Schlüssel im Schloss drehte und vorsichtig die Tür aufdrückte. Vor mir Lag der dunkle Flur. Ein Kleiderständer warf unheimliche Schatten an die Wand und der Schrank, indem ich meine Wintermäntel aufbewahrte sah aus, als stände ein Großer Mann neben der Küchentür. Rasch drehte ich eine der Gaslampen auf, die an der Wand hingen. Ich öffnete den großen Eichenschrank, nahm meinen Hut ab, zog mir die schwarzen Handschuhe aus und legte sie in den Schrank. Im ganzen Haus war es still, nichts rührte sich. Dies war aber auch kein Wunder, schließlich lebte ich allein. Ich hielt nicht viel vom Heiraten und Kinder kriegen. Ich kam gut allein zurecht und braute keinen Mann. Ich späte in den Salon, um einen Blick auf die Uhr zu werfen. Drei Uhr morgens, es war spät geworden. Ich seufzte und stieg die Treppen hinauf zu meinem Schlafzimmer. Dort zog ich mir nach einigen Minuten des herumfummeln an der Schnürung das rote Kleid aus und schälte mich aus dem viel zu engen Korsett. Was tat man nicht alles, um den Schönheitsstandards der Zeit gerecht zu werden. Ich atmete tief ein. Endlich konnte ich wieder normal atmen. Ich holte meinen Schwarzen Morgenmantel und einen lehren Kleiderbügel aus dem dunkelbraunen Kleiderschrank, der gegenüber von meinem Bett stand und hing das Kleid in selbigen. Anschließend machte ich mich auf den Weg ins Bad, wo ich ebenfalls die Lampen anzündete. Ich schloss die Tür und ließ mich gegen sie sinken. Ich war müde, der Abend war anstrengend gewesen und dann war ich auch noch den ganzen Weg von der buck's row bis nach Hause gerannt. Mühselig stand ich wieder auf und schlurfte zum Waschbecken. Müde blickte ich in den Spiegel. Eine junge Frau mit Ebenholz schwarzen Haaren, die ihr in Wellen den Rücken hinabfielen, sah mir entgegen. Ihre Augen waren grün, mit einzelnen Sprengeln die im Sonnenlicht wie Gold schimmerten. Wangen und Nase waren noch gerötet von der kalten Nachtluft. Nach längerem Betrachten, vielen mir einige dunkelrote Sprenkel auf meiner Wange auf. War ich etwa so durch halb London gelaufen? So was Dummes! Dabei hatte ich doch extra darauf geachtet alles sorgfältig zu säubern. Nächstes mal würde ich gründlicher sein. Ich drehte den Wasserhahn auf und benetzte meine Finger, um mir die Punkte vom Gesicht zu waschen. Ich beschloss das Zähne putzten heute ausfallen zu lassen, morgen war sowieso Samstag und ich konnte ausschlafen. Zurück in meinem Zimmer ließ ich mich müde ins Bett fallen. Ich gähnte und schon war ich eingeschlafen. Ich fiel in einen tiefen, traumlosen und erholsamen Schlaf. Doch leider war mir dieser nicht vergönnt. Ungefähr vier Stunden später wurde ich durch Sturmläuten an der Haustür aus dem Schlaf gerissen. Genervt schwang ich mich aus dem Bett und warf mir meinen Morgenmantel über. „Ich komme ja!", rief ich, als ich unter weiterem Geläute die Treppe hinunter sprintete. Wer zum Teufel wollte denn etwas von mir um sieben Uhr morgens? Konnte ich nicht einmal meine Ruhe haben? Schnaufend kam ich an der Tür an und öffnete sie mit einer gewissen Aggressivität. „Bitte?", fragte ich genervt, nur um zu merken, dass ich zwei Polizisten gegenüberstand. „Miss Nichols?", fragte einer der Polizisten mit hochgezogener Augenbraue. Ich nickte nur stumm. Hatte ich gerade wirklich zwei Polizisten angeschnauzt? Ich wollte vor Scham im Boden versinken. „Es tut uns wirklich leid für die Frühe Störung, allerdings müssen wir ihnen etwas bedauerliches mitteilen.", sagte nun der andere Polizist und ich konnte das Mitleid in seiner Stimme hören. Was war bloß passiert? Ich räusperte mich. „Okay, was ist denn passiert?", fragte ich zögerlich. Ging es um Mrs Evans? War ihr etwas passiert? Oder hatte meine Mutter wieder irgendeinen Unsinn angestellt? „Es wäre besser, wenn sie es sich selbst ansehen.", antwortete der Polizist mit belegter Stimme. Es musste etwas Ernstes sein, wenn sogar die Polizei so bedrückt war. Ich nickte und deutete an, dass ich mir nur schnell etwas Vernünftiges anziehen würde und verschwand wieder im Haus. Rasch zwängte ich mich in eines der Korsetts, dass mir Mrs Evans zum 20 Geburtstag geschenkt hatte und striff einen marineblauen Rock und eine weiße Bluse über. Meine schwarzen Haare steckte ich mit ein paar Klammern zurück und steckte meine Füße in ein Paar schwarze Stiefel. Zuletzt warf ich mir noch einen Mantel über, bevor ich das Haus verließ. Die Polizisten warteten neben einer schwarzen Kutsche, während ich die Tür verschloss und den Schlüssel sicher in meinem Kleid verstaute. „Wohin fahren wir?", fragte ich und sah einen der Kriminalbeamten an, der mir die Tür der Kutsche aufhielt. „Ins East End Ma'am, es geht um ihre Mutter, Miss Mary Ann Nichols." Innerlich stöhnte ich auf. Sowas konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Da wollte man einmal seinen freien Tag geniesen und schon stand die Polizei vor der Haustür. Gedankenverloren starrte ich aus dem Fenster, als wir durch die noch lehren Straßen Londons holperten. Wäre die Fahrt ins East End mit der Kutsche nicht um einiges Kürzer gewesen, als zu Fuß zu laufen, wäre ich wahrscheinlich durch das sanfte Schaukeln der Kutsche wieder eingeschlafen. Doch gerade als mir die Augen zu zufielen hielt die Kutsche an. „Wir sind da Miss Nichols.", hörte ich einen der Polizisten sagen. Etwas nervös stieg ich aus der Kutsche. Ich wollte nun doch wissen, was so Schreckliches passiert war, dass man mich in aller frühe aus dem Bett schmeißen musste. Kaum war ich ausgestiegen, eilte ein junger Mann auf mich zu. Er war von Scotland Yard, das erkannte ich an seiner Uniform, aber er schien nicht von der normalen Schutzpolizei zu sein. „Guten Morgen Miss Nichols, mein Name ist Edward Lewis, Criminal Detektive von Scotland Yard. Es tut mir wirklich leid, dass wir sie so früh stören, allerdings gibt es da etwas, dass sie sich ansehen sollten. Sie sind doch nicht Blut empfindlich?", sprudelte der Mann sofort los und reichte mir die Hand. Etwas überrumpelt nahm ich sie und schüttelte sie leicht. Auf seine Frage, ob ich Blut empfindlich sei, schüttelte ich nur den Kopf. Ich war im East End aufgewachsen, dort war es nicht wirklich unüblich Blut und Verletzungen zu sehen. Daraufhin wieß mich der Inspektor an ihm zu folgen. Edward Lewis hatte straßenköterblonde Haare, die ihm wild vom Kopf abstanden und ich fragte mich, ob das immer so wäre, oder ob er einfach vergessen hatte sich die Haare zu kämmen. Wir wahren ungefähr gleich groß, was aber wahrscheinlich auch daran lag, dass ich schon immer relativ groß gewesen war, zumal ich auch hochhackige Stiefel trug. Lewis trug elegante Kleidung, woraus ich schloss, dass er aus einer Wohlhabenden Familie kommen musste, oder man wurde sehr gut bezahlt als Detektive. Wir schritten vorbei an weiteren Beamten, die Umstehende zu befragen schienen. Was in Gottes Namen war hier vorgefallen? Schließlich blieb der Detektive vor einer kleinen Seitengasse stehen, der Eingang war mit Sicherheitsband versperrt und zwei große Polizisten standen davor, die als sie uns erblickten zu Seite wichen und das Band anhoben, sodass wir darunter durch laufen konnten. So langsam machte sich in meinem Magen ein unangenehmes Gefühl breit. Was war hier los? Wir gingen immer tiefer in die Gasse hinein, bis mir plötzlich ein ekelhafter beißender Gestank in die Nase stieg. Ich blieb kurz stehen, um den Brechreiz, der in mir hochkam zu unterdrücken. Besorgt drehte sich der Detektive zu mir um, als er bemerkte, dass ich ihm nicht mehr folgte. „Geht es ihnen gut Ma'am?", fragte er und reichte mir ein Taschentuch. „Ja es geht, vielen Dank. Aber was ist das für ein Gestank?", antwortete ich und hielt mir das Taschentuch vor Mund und Nase, um den Gestank ein wenig abzudämpfen. Lewis Blick verfinsterte sich und trat zur Seite. Ein paar Meter entfernt von uns lag ein blutiger Haufen Fleisch. Ich presste das Taschentuch stärker an meinen Mund und ging zögerlich auf das etwas zu. Mit jedem Schritt wuchs das ungute Gefühl in meinem Magen. Es brauchte eine Gefühlte Ewigkeit, bis ich bei der Blutigen Masse ankam. Ich tat mir schwer in all dem Blut überhaupt etwas zu erkennen. Das waren eindeutig die Überreste eines Menschen! Man hatte die Person vom Unterleib, bis zum Brustkorb aufgeschlitzt, sämtliche Innereien und Gedärme hatte man um den toten Körper gelegt. Nervös schossen meine Augen hin und her, bis sie schließlich an einem beinahe kaum zu erkennbarem Gesicht hängen blieben und die Realisation traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. „Mum!"



Heyyy Das war das war das 1. Kapitel! Ich hoffe es hat euch gefallen würde mich wirklich sehr über Reviews freuen! Noch einen schönen 2. Advent! 

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Midnight MurderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt