Perfectly Imperfect

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Be with someone
who loves you harder
on the days you can't
love yourself at all.
                -faraway

„Pfffffff!", mit einem leisen Stöhnen blicke ich meinem Spiegelbild entgegen, das sich mir ungeschönt, wie ein Häufchen Elend in dem überdimensional großen Badspiegel präsentiert. Langsam und wie in Trance fasse ich mir ins Gesicht, fahre mit den Fingern über die Schatten unter meinen Augen, über die Furchen, die das Kissen auf meiner Haut hinterlassen hat und die roten Flecken, die ich auf meinen verrückt spielenden Hormonhaushalt zurückführe. Meine Haare stehen zu allen Seiten ab, Luca's - mir viel zu großes - Shirt hängt schlaff von meinem Körper und wird zu allem Überfluss auch noch von einem großen Fleck kurz unter meinem Schlüsselbein geziert.
Gott, bin das wirklich ich?
Kurz schließe ich meine verschlafenen Augen noch einmal und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Heute ist einer dieser Tage, an denen ich mich einfach nur schlecht und unwohl fühle und ich hasse es so zu empfinden. Es ist als würde in einer Art Kommandozentrale in meinem Körper ein Schalter umgelegt werden, der dafür sorgt, dass alles in mir auf einmal unschön ist. Von meinem Gefühlsleben bis hin zu meinem äußeren Erscheinungsbild.
Mit einem Blick auf das Display der Waage unter mir, verzeichne ich auch noch 2 Kilo mehr, während aus dem kleinen Radio auf dem Badewannenrand leise James Blunts „You're Beautiful" ertönt und es erscheint mir wie der pure Hohn. Na klar, welches Lied sollte auch sonst gespielt werden? Legt ruhig noch den Finger in die Wunde, RTLRadio.
„Ach halt deine Klappe!", stoße ich deshalb etwas lauter als gewollt aus, drücke auf den Off-Schalter und verpasse der Waage einen leichten Tritt. Mieser Verräter!
Mein kleiner Ausraster scheint aber etwas mehr Lärm verursacht zu haben als ich wollte, denn durch die Tür dringt ein besorgtes „Alles okay, Schatz?" von Luca.
„Ja, alles gut. Ich bin gleich bei dir.", rufe ich ihm zurück, wobei ich darauf achte so unaufgebracht wie möglich zu klingen.
So sehr ich ihn auch liebe, muss er mich in diesem Zustand wirklich nicht zu Gesicht bekommen.
„Okay, Christina: Konzentration!", rüge ich mich selbst. Zu retten ist mein Zustand nicht wirklich, aber eine Schadensbegrenzung ist auf jeden Fall noch drin, also schäle ich mich langsam aus meiner spärlichen Bekleidung und steige in meine große Regendusche.
15 Minuten später sind meine Haare zwar kein Vogelnest mehr - eher eine Packung schlaffe Spaghetti - die Schatten unter meinen Augen nur noch zu erahnen und die Kissenabdrücke verschwunden, aber besser fühle ich mich immer noch nicht.
Selbst die frischen Klamotten, eine Schicht getönte Tagescreme und mein geliebter personalisierter Schmuck können mein Äußeres und definitiv nicht meine Laune verbessern. Gut, dass wir heute außer einem Besuch bei meinen Eltern eh nichts vorhaben und die haben mich, weiß Gott, schon in schlimmeren Zuständen gesehen.
Einmal atme ich noch tief durch, dann greife ich nach dem kalten Metall der Türklinke und drücke diese bestimmt herunter. Auf Zehenspitzen schleiche ich in die Küche, wo ein gut gelaunter Luca schon mit einem halben Croissant im Mund mit der Kaffeemaschine herumhantiert. Er sieht in seinem weißen T-Shirt und seiner dunklen Bluejeans schon wieder unverschämt gut aus und ich fühle mich augenblicklich noch ein bisschen unwohler. Ihm werden die zwei Extrakilos wahrscheinlich gar nicht auffallen und auch meine gerötete Haut wird er mit Sicherheit auf die heiße Dusche zurückführen, dennoch kann ich die bösen Gedanken einfach nicht abstellen. Die Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüstert: „Du entsprichst nicht seinen Wünschen." „Du verdienst ihn nicht." „Du..."
„Guten Morgen, mein Schatz.", flüstert mir Luca liebevoll ins Ohr und unterbricht mein Gedankenkarussell damit genau zur richtigen Zeit. Seine Arme schlingt er von hinten um mich, platziert seine Hände auf meinem Bauch und verschränkt diese miteinander, während er mich noch näher zu sich zieht.
„Morgen.", murmele ich zurück - schön ist er schließlich für mich ganz und gar nicht.
Luca scheint meine knappe Antwort wohl als ein Zeichen von Müdigkeit zu deuten und will diese offensichtlich bekämpfen, indem er federleichte Küsse auf meiner Wange verteilt.
Mit geschlossenen Augen atme ich einfach nur seinen Duft ein, gebe mich seinen zärtlichen Berührungen hin und vergesse für einen kurzen Augenblick meine schlechte Laune. Eine Hand auf seine verschränkten Finger gelegt, mit der anderen seinen Nacken graulend, lehne ich mich ein Stück weiter nach hinten, um ihm noch näher zu sein. Seine Bartstoppeln, die meine Haut leicht kitzeln, die Wärme, die er ausstrahlt, seine weichen Lippen, die mein Gesicht sanft streifen und die Gefühle, die er in mir auslöst, lassen mich ganz ruhig werden.
Ich atme hörbar aus.
„Alles okay?", wispert Luca und lehnt seine Stirn an meine Schläfe.
„Hmmm.", krächze ich unmerklich nickend und bin froh, dass er mein Gesicht dabei nicht sehen kann. Er würde darin sofort lesen können, dass genau das Gegenteil der Fall ist.
„Ich hab im Bad was knallen gehört, hast du dir weh getan?" Die Besorgnis in seiner Stimme bringt mich unweigerlich zum Schmunzeln. Wie kann man nur so aufmerksam sein?
„Nein, alles gut. Ich hab nur meine Shampooflasche fallen lassen.", behaupte ich. Meine Notlügen kamen zwar auch schon mal überzeugender rüber, aber Luca scheint meinen Worten trotzdem Glauben zu schenken. Mit einem gehauchten „Gott sei Dank." drückt er mir noch einen schmatzenden Kuss auf die Wange, um kurz darauf von mir abzulassen und sich wieder der Küche zu widmen.
„Frühstück ist fertig, der Tisch ist gedeckt und dein Kaffee läuft schon durch. Du musst dich also nur noch hinsetzen und genießen."
„Hmmm.", nicke ich halbherzig und setze mich tatsächlich an den großen Holztisch, jedoch ohne jegliche Intention auch nur einen Happen zu mir zu nehmen. Die Extrakilos werden schließlich nicht von selbst wieder verschwinden.
5 Minuten später gesellt sich auch ein strahlender Luca zu mir, nachdem er ein Frühstücksbuffet aufgetischt hat, das wohl selbst ein Sternerestaurant nicht besser hinbekommen hätte. Pfannkuchen mit heißen Blaubeeren und Crème fraiche, frische Brötchen, Rührei, aufgeschnittene Avocado, Lachs, sämtliche Aufstriche und Marmeladen und unzählige Wurst- und Käsevariationen.
„Ähm...erwartest du noch Besuch oder wer soll das alles essen?", frage ich leicht irritiert von der Menge an Essen, die ich selbst Luca nicht zutraue.
„Na wir! Ich dachte wir feiern heute einfach mal grundlos mit einem tollen Frühstück, dass wir uns haben und uns die kommenden Wochen nicht wieder für ne gewisse Zeit trennen müssen. Einfach nur du und ich bis Weihnachten und danach sehen wir weiter."
„Das ist ja wirklich unglaublich süß von dir, aber ich esse nichts, Schatz.", entgegne ich mit hochgezogener Augenbraue und einem gequälten Lächeln.
„Was?", entfährt es besagtem Schatz sichtlich schockiert.
„Ich krieg echt nichts runter, außerdem wollte ich heute mit meinem Intervallfasten anfangen und wir fahren ja auch schon um 14 Uhr wieder zu meinen Eltern, wo es bestimmt direkt Mittagessen gibt."
Sehr gut, Christina. Das klingt logisch.
„Ab...Aber...", setzt Luca verwirrt an.
„Kein Aber. Du kannst soviel essen wie du magst, ich schau dir dabei sehr gerne zu, meinen Kaffee werde ich auch trinken, aber bei deinem Frühstücksbuffet hier...", ich gestikuliere wild mit meinen Armen und zeige auf all die Schüssel und Teller, auf denen Luca stapelweise Essbares gehäuft hat, „werd ich dir nicht helfen."
„Aber du musst doch was essen...", haucht Luca fassungslos.
„Ich muss gar nichts! Außerdem schadet es mir nicht, wenn ich mal einen Gang runterschalte, was Essen anbelangt. Früher oder später kann man mich sonst nämlich über die Tanzfläche rollen und das wollen wir ja nicht, ne?", entgegne ich ihm und füge ein "Schon gar nicht in Katja's kurzen Kleidern." in Gedanken hinzu.
Luca scheint nun allerdings vollends verwirrt und schenkt mir nur ein inbrünstiges „Häh?", bevor er sich zu mir gesellt und sich mit einem „Naja wie du meinst..." über den reich gedeckten Tisch hermacht. Meinen Gedanken nachhängend, erkenne ich aus dem Augenwinkel wie er mit jedem Bissen etwas zufriedener wird und mich mit einem verliebten Grinsen aufmunternd anschaut.
Ich dagegen, blicke aus dem bodentiefen Fenster in meiner Küche und beobachte wie sich die Sonne immer wieder durch die vorbeiziehenden Wolken kämpft. Mich überkommt ein Gefühl von Müdigkeit und Erschöpfung während diese kleine fiese Stimme in meinem Kopf immer noch nicht davon ablässt mir Gemeinheiten zuzuflüstern, die sich leider stärker in mein Gehirn brennen als ich es zugeben möchte.
„Es ist schon 12:50 Uhr, ich glaub wir sollten uns so langsam fertig machen.", reißt mich Lucas Stimme zum zweiten Mal am heutigen Tag aus meiner Trance.
„Ich bin fertig.", antworte ich knapp und stehe hastig auf, um meine Aussage noch etwas zu untermauern.
„Willst du dir nicht noch was anderes anziehen?", fragt er fast schüchtern, ganz als ob er Angst hätte, mir mit dieser Aussage zu nahe zu treten.
Normalerweise würde ich nicht eine Sekunde zögern und ihm mit einem kecken Spruch zu verstehen geben, dass ich bei meinen Eltern auch im Adamskostüm ankommen könnte und es okay wäre. Heute treffen mich seine Worte jedoch genau so hart wie er es mit Sicherheit nicht beabsichtigt hat. „Er findet du solltest mehr aus dir machen.", meldet sich die Stimme in meinem Kopf zum wiederholten Male und ich kann nicht anders als ihr zuzustimmen.
Traurig schaue ich Luca an, der wie ein kleines verängstigtes Kind vor mir steht, flüstere ein heiseres „Na vielen Dank auch!" und verschwinde wutentbrannt im Schlafzimmer, dessen Tür ich mit einem lauten Knall zuschlagen lasse.
„Nein Schatz, ich meinte doch nicht...Christina!", will mich Luca noch zurückhalten, aber ich höre es schon nur noch gedämpft durch die geschlossene Zimmertür.
Genervt lasse ich mich auf mein großes Bett fallen und gebe ein paar undefinierbare Laute von mir, die meinem Ärger Ausdruck verleihen sollen.
Wieso bin ich heute so dünnhäutig, so selbstkritisch, so so... unausstehlich?
Einmal atme ich noch tief ein und aus, dann schwinge ich mich aus dem Bett und blicke an mir herunter. Gut, mein Outfit ist jetzt nicht gerade schick, aber das aufeinander abgestimmte Sportset im winterlichen Design ist ansehnlich und vor allem bequem. Hab ich schon mal besser ausgesehen? Auf jeden Fall! Gab es aber auch schon schlimmere Tage? Ohja!
Trotzdem ist meine Grundstimmung heute definitiv nicht die Beste.
Ein leises Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken und nur wenige Sekunden später streckt ein ziemlich geknickter Luca den Kopf durch den geöffneten Spalt.
„Alles okay?", haucht er kaum merklich und traut sich nun auch den Rest seines Köpers über die Türschwelle zu befördern.
„Es tut mir leid. Meine Wortwahl war vielleicht etwas missverständlich, ich wollte dir doch um Gottes Willen nicht zu verstehen geben, dass du es nötig hättest, was anderes anzuziehen."
Ich nicke leicht und schaue ihn aus trostlosen Augen an. Ich fühle mich einfach unglaublich kraft- und antriebslos und kann mich selbst nicht leiden.
„Schon gut!", ist deshalb das Einzige, was ich sage, bevor ich mich an ihm vorbei schiebe und zur Garderobe laufe, wo ich mir meine Jacke schnappe.
„Können wir dann?", frage ich Luca eigentlich nur rhetorisch, werfe ihm die Schlüssel meines Mini Coopers zu und öffne die Wohnungstür. Eins steht fest, Auto fahren möchte ich in meinem desolaten Zustand ganz sicher nicht.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 19, 2021 ⏰

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