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Kapitel 2: Erbsen

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Kapitel 2: Erbsen

Nachdem ich Hope zudeckte, ihr eine gute Nacht wünschte und an ihrer Bettkante saß, bis sie eingeschlafen war, lief ich aus dem Zimmer, hielt im Flur jedoch inne. Was sollte ich jetzt tun? Normalerweise würde ich mich jetzt auf die Couch legen und schlafen, das kam mir nun, wo ein mir wildfremder Typ aufgetaucht war, doch etwas merkwürdig vor. Wäre es angebracht, nach Hause zu gehen? Schließlich war Hopes Bruder nun da. Oder verletzte das meine Aufsichtspflicht als Babysitterin?

Unbewusst hatte ich einen Fuß vor den anderen gesetzt und war ins Wohnzimmer gelaufen. Denn Damian riss mich aus meinen Gedanken: „Das könntest du vielleicht gebrauchen." Verwirrt sah ich auf die Tüte in Damians Händen hinab, die ich erst bemerkte, als er selbst darauf blickte.

„Erbsen?", fragte ich konfus und runzelte die Stirn. Mein Blick wechselte von der Erbsentüte zu Damian hin und her, bis er in leises Gelächter ausbrach.

Mit einem Grinsen auf den Lippen und einer schnellen Bewegung legte er den Arm um mich und platzierte das Gemüse an meinem Hinterkopf. Er streifte mich dabei nicht einmal, dennoch reagierte mein Körper automatisch, indem er beinahe unbemerkt etwas zurückwich. Zwar hatten die Erbsen eine kühlende Wirkung auf meinen pochenden Kopfschmerz, jedoch schien ich nun auch im Gesicht zu glühen. Als ich realisierte, wie nah er mir eigentlich war, hob ich die Hand an meinen Hinterkopf und erwartete, dass er losließ und sich etwas entfernte.

„Tiefkühlgemüse. Du hast dir vorhin ziemlich hart den Kopf gestoßen, als du gefallen bist", erklärte Damian auf meinen auffordernden Blick, ohne zu verstehen, was ich eigentlich meinte. Aus Nervosität traute ich mich nicht, noch was dazu zu sagen. Vielleicht war das etwas so Unbedeutendes, dass es komisch wäre, die Packung selbst halten zu wollen. Daher ließ ich den Arm wieder fallen.

Ich wollte nicht, dass er dachte, ich sei merkwürdig. Obwohl er das bestimmt schon tat, wenn man bedachte, dass ich direkt in Ohnmacht gefallen war, noch bevor er durch die Tür gekommen war. Und er hatte mich vom Boden aufheben und ins Wohnzimmer tragen müssen. Wenn das überhaupt ging, lief ich noch roter an als ohnehin schon. Mein Blick wanderte zu seinen Armen. Zwar war er etwas muskulös, dennoch war ich bestimmt viel zu schwer gewesen. Peinlich berührt senkte ich den Kopf.

„Äh, danke." Man sah und hörte mir vermutlich an, dass es mir deutlich unangenehm war. Daraufhin schien Damian wohl der Geistesblitz zu kommen, denn er löste die Erbsen von meinem Kopf und hielt mir die Tüte hin. Erleichtert lächelte ich und nahm ihm das Gemüse entgegen, mit dem ich meine Schwellung wieder kühlte.

„Sorry", murmelte Damian und ging einen Schritt zurück. Dabei sah er sich einmal um und ließ den Blick neugierig von der offenen Küche über den Esstisch und das Wohnzimmer schweifen, bis seine Augen wieder bei mir landeten. Kurz schwieg er, richtete sich auf, indem er die Schultern zurückrollte, und räusperte sich: „Du bist also Hopes Babysitterin?"

Ich nickte nur und fühlte mich irgendwie etwas eingeschüchtert vom Klang seiner Stimme, die plötzlich etwas tiefer als davor war. Um mein Selbstbewusstsein wieder auf- und meine Gefühle wieder abzubauen, stellte auch ich mich gerade hin, lächelte selbstsicher und antwortete simpel: „Emma." Dazu hielt ich ihm meine freie Hand hin.

Damian schien erst etwas verwirrt, schüttelte dann jedoch meine Hand und erwiderte mein Lächeln. „Damian." Aus dieser Nähe erkannte ich leichte Bartstoppeln, die hell und fein erschienen. Ein Schweigen entstand, in dem wir unsere Hände hielten und uns bloß ansahen. Bevor die Stille unangenehm werden konnte, musste ich sie brechen.

Ohne groß darüber nachzudenken, entschloss ich mich dazu, einfach zu sagen, was ich dachte: „Warum kenne ich dich nicht? Wie kommt es, dass du mitten in der Nacht aufkreuzt und mir niemand etwas davon gesagt hat?" Ich klang etwas skeptisch und zog meine Hand aus seiner.

„Ich dachte, wir hätten geklärt, dass ich kein Einbrecher bin." Damian grinste und legte seine Hand an seinen Hinterkopf. Leicht schmunzelte ich, legte jedoch den Kopf schief und hob die Augenbrauen, worauf er dann doch ernst antwortete: „Ich war ein Jahr im Ausland, und in dem Zeitraum ist meine Mom mit Hope hierhergezogen. Davor war ich auf der Bradshaw Mountain High School und gehe ab Montag erst auf die Mayer High School. Ich nehme an, deswegen kennst du mich nicht."

„Macht Sinn." Ich nickte und zuckte mit den Schultern. „Aber warum sagt mir niemand Bescheid? Du hast ja sogar einen Schlüssel, warum warnt Sally mich nicht?"

„Oh, für morgen war ein Unwetter angekündigt, also dachte ich mir, dass ich mir einfach einen früheren Flug nehme und meine Mom überrasche. Aber dann treffe ich plötzlich auf ein wildfremdes Mädchen, das am Boden unseres Flures liegt und schläft."

Auf Damians Grinsen antwortete ich lachend: „Ich habe nicht geschlafen, ich war nur... bewusstlos."

„Das ist praktisch dasselbe. Wenn Hope schläft, trage ich sie ins Bett. Und wenn du bewusstlos bist, trage ich dich auf die Couch, so einfach ist es eben." Lässig lehnte Damian sich zurück gegen den Küchentresen. Er verschränkte die Arme vor der Brust, was die Muskeln unter seinem Shirt betonte.

Nervös lachte ich auf und verlor einen Teil meines Selbstbewusstseins, als er aufbrachte, dass er mich tragen musste. Ich vergaß, dass ich mir die Erbsen immer noch an den Kopf hielt, weshalb sie auf den Boden fielen, als ich diese Hand nutzte, um mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr zu klemmen.

Während mir das Blut ins Gesicht schoss, kniete Damian sich auf den Boden, hob die Tüte auf und hielt sie mir von unten hin. „Du hast da etwas Püree verloren."

„Danke." Mit hochrotem Kopf lächelte ich ihn bloß peinlich berührt an, nahm ihm das Gemüse aus der Hand und legte es auf den Esstisch, von dem ich mein Handy und meinen Schlüssel nahm. Das war mein Zeichen, den Abflug zu machen. „Wäre es okay für dich, die restliche Nacht auf Hope aufzupassen? Ich würde morgen wiederkommen und sie zum Kindergarten bringen."

„Oh, klar. Aber willst du wirklich so spät noch nach Hause laufen? Mayer ist nicht gerade bekannt für seine Sicherheit. Und ich nehme einfach mal an, dass du dich bei einem Überfall nicht wirklich... du weißt schon, angesichts der Tatsachen, wehren könntest", formulierte Damian vorsichtig seinen Standpunkt. „Ich könnte dich begleiten."

„Nein, schon gut, ich schaffe den kurzen Weg, danke." Ich wollte einfach nur raus hier, bevor ich noch etwas Peinlicheres tat. Mit einem leicht gequälten Lächeln drehte ich mich um und lief in den Flur, um meine Schuhe anzuziehen.

Als ich die Tür öffnete, bemerkte ich, dass Damian hinter mir stand und seine Jacke anzog. „Sicher ist sicher, man weiß ja nie", erklärte er sein Handeln und holte sein Handy heraus. „Es ist ein Uhr nachts."

„Schon gut, wirklich." Ich suchte nach Ausreden, damit ich einfach nur gehen konnte, als mir Hope einfiel. „Du willst deine kleine Schwester doch nicht alleine lassen. Weißt du, wie viel Angst sie bekommt, wenn sie aufwacht und ganz allein ist?"

Das schien Damian überzeugt zu haben, da er innehielt und mich zwiespältig ansah. Nach einigen Sekunden gab er nach und murmelte ein leises: „Sei nur vorsichtig."

Ich zog die Tür hinter mir zu und ging die Treppen hoch, bis ich vor meiner Wohnungstüre landete. Warum hatte ich nicht einfach gesagt, dass ich nur 16 Stufen entfernt wohnte? Während ich den Kopf über mich selbst schüttelte, schloss ich im dunklen Treppenhaus die Türe auf und schaltete das Licht im Flur an.

Mein Spiegelbild verriet mir, dass die Röte meiner Wangen etwas abgelassen hatte. Sie kehrte jedoch zurück, als ich realisierte, dass ich einen mit Mickey Mouse bedruckten Pyjama anhatte. Beschämt legte ich mich ins Bett, schloss mein Handy ans Ladekabel und starrte die Decke an. Ich ging den kompletten Abend durch und schämte mich für mein Verhalten.

Was Damian wohl von mir dachte? Das sollte mich nicht kümmern. Mir sollte egal sein, was irgendjemand von mir dachte, ich musste niemandem gefallen. Leider kooperierten mein Verstand und meine Gefühle nur nicht miteinander. Also musste ich wohl oder übel weiterhin die Emma spielen, die man von mir erwartete. Die humorvolle, schlaue und selbstbewusste Emma. Nicht die Emma, die keine der drei Charaktereigenschaften wirklich erfüllte, die ich eigentlich wirklich war.

EmmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt