Sky spielte nachdenklich mit der seltsamen Kopfbehaarung des Außerirdischen. Dass es keine echten Haare waren, hatte sie am Vortag bemerkt. Er war verletzt ins Raumschiff zurückgekehrt und hatte aus einem dieser pechschwarzen Stränge geblutet. Sie hatte ihn sprachlos angestarrt, weil sein Blut neongrün und dicker als das von Menschen war.
Die Kreatur knurrte kurz warnend, als sie unbedacht an den gummiähnlichen langen Gebilden zog. Sie wuchsen seitlich an seinem Schädel, waren schulterlang und mit goldenen Ringen verziert.
Die Haare und das Blut waren nicht das Einzige, das anders war. Abgesehen davon, dass er wie Menschen auf zwei Beinen lief und einen ähnlichen, wenn auch breiteren und muskulöseren Körperbau hatte, ähnelte er in vielem Reptilien oder Dinosauriern. Sein Schädel war riesig und es sah für das Mädchen so aus, als ob man den Nackenschild eines Triceratops, ihres Lieblingsdinos, als Schädelplatte benutzt hatte. Nur die Hörner fehlten. Sie fragte sich, ob die Gebilde den Tasthaaren von Katzen ähnlich waren. Immerhin schnurrte er wie ein überdimensionaler Kater. Seine Brust vibrierte dabei. Meist setzte er es ein, um Sky zu beruhigen oder zu trösten, obwohl es ebenfalls Zufriedenheit ausdrückte. So wie jetzt, als sie eng an ihn gekuschelt auf einem seiner durchtrainierten Oberschenkel saß und mit beiden Händen seine schuppenähnliche graugrüne Haut nachfuhr. So fühlten sich Schlangen oder die Bäuche von Krokodilen an, mutmaßte sie. Mit seinen schwarzen Krallen strich er sanft über ihren Rücken. Wie so oft, seit dem Tod ihrer Familie vor einigen Tagen.
Sie erinnerte sich daran, dass sie verletzt worden war. Doch ihre Wunde, ein tiefes Loch an ihrem Bauch, war magischerweise verheilt. Sonst hatte selbst ein aufgeschlagenes Knie ein paar Tage gebraucht, bis der Schorf abgefallen war. Sie verstand die Ereignisse von Heiligabend nicht, gleich wie lange sie darüber nachdachte. Nichts ergab Sinn. Warum waren die bösen Männer gekommen? Was hatten sie von ihren Eltern gewollt? Wieso hatten sie Damon und Emma getötet? Wie kam es, dass sie überlebt hatte?
Der Große gab ihr darauf keine Antworten. Zwar schien er ihre Fragen zu verstehen, doch sprach er selbst nicht. Nur Geräusche kamen über seine nicht vorhandenen Lippen. Sein Mund sah ihrer Meinung nach aus, wie der von Krebsen oder Insekten. Die besaßen ebenfalls seltsame Mundwerkzeuge. Emma hatte mal davon gesprochen, wie so etwas hieß, aber das Mädchen erinnerte sich nicht. In ihrem Kopf herrschte eine große Leere. Seit Heiligabend hatte sie so oft geweint, dass sie Kopfschmerzen bekommen hatte. Der Tod ihrer Familie und ihre überraschenderweise graugrüne Haut nach dem Aufwachen am ersten Weihnachtstag hatten sie verstört. Sie schaute auf ihre Hände. Mittlerweile sahen sie wieder normal aus. Nicht mehr wie die Membran des Außerirdischen, an dessen Brust sie lehnte.
Sie hatte keine Ahnung, warum sie nicht schreiend vor ihm davongelaufen war. Vor allem, als er zum ersten Mal seine Maske abgenommen hatte. Doch hatte er ihr Leben gerettet und sich ihr gegenüber nur freundlich gezeigt. Dabei hatte sie gesehen, wie er die fremden Männer mühelos getötet hatte. Dennoch empfand sie keine Angst. Sie vermisste ihn, wenn er irgendwo in der Stadt unterwegs war. In San Francisco. Dem Ort, in dem sie geboren worden war. Warum sie hierhergekommen waren, war ihr ein Rätsel. Welches nächste Ziel er einplante, war ihr unbekannt. Ihr kleines Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn sie in Erwägung zog, dass er sie womöglich zurückließ, sowie seine Arbeit beendet war. Denn sie verstand seine Sprache nicht, konnte daher kaum mit ihm kommunizieren. Außerdem, wozu brauchte er ein sechsjähriges Menschenkind? Sie gehörte nicht in seine Welt, das erkannte sie trotz ihres jungen Alters. Gleichzeitig hatte sie sich nie so geborgen gefühlt, wie in seinen Armen. Selbst bei Damon war es anders gewesen.
„Scar? Darf ich dich so überhaupt nennen oder hast du etwas dagegen? Deinen richtigen Namen kenne ich ja nicht. Und Scar finde ich passend für dich", brabbelte sie, um ihre Nervosität zu überspielen. Sie zeigte auf einige seiner Narben. Die vom Heiligabend fuhr sie andächtig mit dem Zeigefinger nach. Er schnurrte zustimmend.
„Scar, nimmst du mich mit ins Weltall oder zu deinem Planeten?" Das Mädchen heftete ihre braunen Augen sehnsüchtig auf den sanften Riesen. Dieser schüttelte den Kopf. Sie schluchzte kurz auf, unterdrückte aber die aufkommenden Tränen. Was hatte sie anderes erwartet? Doch wer würde sich dann um sie kümmern? Ihre Familie war tot und sie hatte momentan nur den Außerirdischen.
Er hob Sky von seinem Schoß und stellte sie auf den Boden. Dann stand er selbst auf und holte eine kurze dünngliedrige Metallkette aus seiner Gürteltasche. Zu zart, um ihm zu gehören. Seine bernsteinfarbenen Augen beobachteten jede ihrer Bewegungen, als er ihr die Kette umlegte. Mit einer Kralle tippte er auf den Anhänger, dann zeigte er auf seinen Helm, der auf dem Boden neben ihnen lag. Sie betrachtete sowohl das eine als auch das andere und fuhr das Symbol, das beide schmückte auf ihrem Kettenanhänger nach.
„Damit ich dich nicht vergesse?", fragte sie ihn vorsichtig. Er nickte wiederum. Fieberhaft überlegte sie, was sie ihm als Andenken geben konnte. Dann lief sie zum Schlafbereich, holte den Engel, den sie wie durch ein Wunder im Raumschiff entdeckt hatte. Mit glänzenden Augen hielt sie ihm die Figur entgegen.
„Damit du mich nicht vergisst." Eine Träne rollte über ihre Wange. Ein Abschied bedeutete, dass sie die ihr im Moment einzig vertraute Person verlor, die ihr geblieben war. Ehrfürchtig nahm er ihr den Engel ab und stellte ihn auf den Tisch. Sanft hob er Sky hoch und drückte sie an seine Brust, aus der ein tiefes Schnurren drang. Sie gähnte nach einer Weile erschöpft und akzeptierte es still, dass er sie zum Bett brachte und sie hinlegte. Einige Zeit saß er neben ihr, bis ihre Augen zufielen.
Der Yautja hörte, wie die Atmung des Welpen tiefer und regelmäßiger wurde. Er öffnete sein MediKit und zog die kleine Spritze und das Betäubungsmittel hervor, die er beide tags zuvor aus einer Arztpraxis entwendet hatte. Während seiner Streifzüge durch die Stadt hatte er ein Haus entdeckt, in dem viele Welpen mit nur zwei großen Ooman lebten. Dort würde er Sky hinbringen, damit sie unter ihresgleichen war. Sie wuchs ihm immer mehr ans Herz und ihm war bewusst, dass er sich schnell von ihr trennen musste. Seine Spezies war Ooman nicht freundlich gesonnen. Es war auf seinem Planeten zu gefährlich für das Kind und auf dem Raumschiff konnte das Lou ebenfalls nicht durchgängig bleiben. So hatte er den Entschluss gefasst, sie zu diesem Haus zu bringen, während sie schlief. Es war die beste Lösung für sie.
Er zog etwas Betäubungsmittel auf die Spritze und setzte sie an ihrem schmalen Arm an. Zögernd spritzte er das Schlafmittel in die Vene. Er hatte die Verantwortung für die Kleine übernommen, indem er sie mitgenommen hatte. Sie wegzuschicken bereitete ihm Kopfschmerzen. Dabei war es für Yautja normal, Schwache zurück und damit sich selbst zu überlassen. Doch bei einem hilfsbedürftigen Welpen war es falsch und es kratzte an seiner Ehre. Seinen Anführern von ihr zu berichten, wäre töricht. Vor allem, weil er ihr etwas von seinem Blut gegeben hatte. Mit Schrecken hatte er zugesehen, wie sich ihre dünne Haut graugrün gefärbt hatte. Als sie ihre normale Farbe wieder annahm, hatte er erleichtert aufgeatmet. Yautja-Blut verlängerte Menschenleben und hatte heilende Eigenschaften. Er hoffte nur, dass es keine anderen Nebenwirkungen besaß. Ihre Sicherheit stand sonst auf dem Spiel. Menschen wie die von der Weyland-Corporation steckten sie gewiss in einen Käfig, um sie zu untersuchen, wies sie entgegen seiner Erwartung Besonderheiten auf.
Er schüttelte den Kopf. Sie war schuld, dass er weich wurde. Es war an der Zeit, sie loszuwerden. Vorsichtig hob er den Welpen hoch und verließ mit der Kleinen auf dem Arm das Raumschiff. Draußen schaltete er seine Tarnung ein und lief durch das nächtliche San Francisco, bis er vor der Tür des Hauses mit Kindern stand. Leise huschte er hinein und legte Sky auf ein leeres Bett. Nachdenklich betrachtete er das schlafende Mädchen für einen Moment, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. So weich, so lieblich. Abrupt drehte er sich um. Es war ihm verboten, Gefühle für ein Ooman Lou zu hegen. Schnell schritt er, ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen, davon. Wenn Paya es vorsah, würde er die Kleine wiedersehen. Doch auch nur dann. Es war besser für beide, wenn sich ihre Wege nie wieder kreuzten.
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Ein ungebetener Gast
FanficHeiligabend in England. Die Kinder der Familie Bradford bereiten sich auf das Fest vor, während die Eltern auf Grund eines Notfalles auf ihrer Arbeit sind. Skylar, Emma und Damon schmücken den Weihnachtsbaum, doch etwas lauert im Wald und beobachte...