... das Licht ...

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Behalt' die Sterne im Blick, Tresenjunge!"

Das hatten sie ihm zum Abschied gesagt und Tribald hatte die Augen verdreht. Doch als er auf dem schmalen, ausgetretenen Pfad zwischen einem unbestellten Kartoffelacker und dem hiesigen Wald ging, kamen ihm die Sorgen seiner Freunde gar nicht mehr so dumm vor. Vor allem, weil nun auch das letzte Tageslicht verschwunden war und die Dunkelheit sich wie eine dicke, samtene Decke um ihn herum gelegt hatte.

Eine Decke, die keine Luft mehr durchließ und unter der es langsam stickig wurde.

Unruhig warf der junge Mann einen Blick hinauf zu den Sternen über dem kahlen Feld. Kalt und klar hingen sie dort am schwarzen Zelt der Nacht. Erleichtert atmete Tribald auf, , wobei sein Atem kleine Wölkchen in die Luft malte. Immerhin hieß es doch, man sei sicher vor Irrlichtern, solange man nur die Sterne unverstellt sah. Und die Tatsache, dass er das konnte, beruhigte ihn mehr als er jemals zugeben würde.

Um sich endlich von den beunruhigenden Irrlichtüberlegungen abzulenken, ging der junge Mann im Kopf noch mal die Bestelldetails der morgigen Lieferung durch. Bei dem Gedanken an seine Arbeit in der ortsansässigen Kneipe seufzte er leise. Es war nicht mal so, dass Tribald es nicht gerne tat. Er stand gern abends hinter dem Tresen, gab Getränke aus, scherzte mit den Gästen oder lieh ihnen ein Ohr. Was er nicht mochte, war das Ganze drumherum: Getränkebestellungen, Monatsabrechnungen, Lieferdetails. All das Zeug eben, für das ein Kneipeninhaber zuständig war. Doch da Tribalds Vorgesetzter sich kaum kümmerte, blieb das alles an ihm hängen. Der junge Mann kniff frustriert die Lippen aufeinander und schwor sich, irgendwann genug Geld zu haben, um seine eigene kleine Spelunke zu eröffnen. Denn wenn er den ganzen Scheiß eh schon machen musste, könnte er ebenso gut sein eigener Herr sein. Aber noch reichte das Geld nicht und er musste für andere schuften. Das Leben war schon fies.

Wieder seufzte er leise und sog dabei die kalte Luft so tief ein, dass es ihm am ganzen Körper fröstelte. Aber immerhin war sie genauso klar wie der Himmel über ihm. Ganz automatisch lief Tribald etwas langsamer und wandte sich gedanklich wieder schöneren Dingen zu. Zum Beispiel seine Siegerrunde diesen Abend. Er hatte die Jungs heute platt gemacht und den Punkterückstand in der „ewigen Liste", die sie seit Anfang des Jahres führten, ordentlich aufgeholt.

Abermals sah er zu den leuchtenden Sternen hinauf. Trotz der Kälte war es eine schöne Nacht. Es war schon albern gewesen, dass er sich vorhin solche Sorgen gemacht hatte. Gedankenverloren begann der junge Mann eine Melodie zu summen, von der er nicht wusste, woher er sie kannte. Zufrieden ging er weiter, langsamer diesmal, um den Heimweg und die Nacht doch noch ein wenig zu genießen.

Nach wenigen Schritten blieb er wieder stehen.

Die Musik, die er im Kopf hatte, ließ ihn nicht mehr los und zog immer größere Kreise durch seine Gedanken. Noch immer summend blickte er abermals zu den Bäumen am Wegesrand. Selbst im schwachen Licht der Sterne konnte er schon die ersten Knospen schimmern sehen. Der Frühling nahte und mit ihm wieder die längeren Tage. Dann könnte Tribald endlich wieder etwas länger im Wald spazieren gehen. Wann war er eigentlich das letzte Mal im Wald spazieren gewesen? Das musste schon ewig her sein.

Eine sehr leise, sehr rationale Stimme in seinem Kopf erinnerte Tribald daran, dass er noch nie sonderlich viel von ziellosen Spaziergängen gehalten hatte. Doch der junge Mann achtete nicht auf diesen Einwand. Stattdessen glitt sein Blick weiter weg, hinter die Bäume am Wegesrand, hinein in den Wald.

Warum nicht jetzt einen kleinen Umweg machen? Ein bisschen spazieren gehen, um die Nacht zu genießen. Nur bis zu dem kleinen See, wo in ein paar Zyklen der Frühlingsanfang mit dem alljährlichen Erstbaden gefeiert werden würde. Es war ja gar nicht weit von hier und der See musste wunderschön im Sternenlicht aussehen. Noch immer summend setzte er seine Schritte vom Weg weg, in die Schatten der ersten Bäume hinein und...

,Behalt' die Sterne im Blick, Tresenjunge!', hallten die Stimmen seiner Freunde mahnend aus den Erinnerungen des jungen Mannes.

Wie angewurzelt blieb Tribald stehen und verstummte. Die plötzlich herabfallende Stille um ihn herum war so schwer wie einer dieser Kartoffelsäcke, die er als Erntehelfer so oft hatte schleppen müssen, ehe er die Arbeit in der Spilunke angenommen hatte. Unsicher drehte er sich um. Er war schon gut fünfzig Schritte in den Wald hineingegangen und in der Dunkelheit konnte er kaum noch Schatten von Baumstämmen unterscheiden. Oder das weite Feld sehen, das er hinter sich zurückgelassen hatte. Unruhe stieg in ihm auf. Was tat er hier? Er sollte nach Hause. Morgen musste er früh raus und es war sowieso nicht ratsam, im Dunkeln durch diese Wälder zu streunen.


Der Weg zurück war viel schwerer. Das Unterholz schien sich an seinen Schuhen festzukrallen und ihn aufhalten zu wollen. Schon nach wenigen Schritten blieb Tribald wieder stehen und holte tief Luft. Hier zwischen den Bäumen schien sie ihm noch kälter als auf dem Weg, stach ihm regelrecht in den Lungen. Warum war er überhaupt hier? Ohne diesen dämlichen „Abstecher" wäre er jetzt schon fast zu Hause. Entnervt setzte er einen weiteren Schritt, als sanfte Töne zu ihm herüber schwebten. Die gleichen Töne, die er gerade noch gesummt hatte.

Mit wachsender Angst drehte Tribald den Kopf in die Richtung aus der die Melodie kam. Und als er dort zwischen den Bäumen ein kleines, sanft leuchtendes Licht sah, schlich sich die Erkenntnis in seinen Kopf, warum er hier nachts allein zwischen den Bäumen stand. Der Blick des jungen Mannes flackerte nach oben, hinauf in das dichte Geäst der Baumkronen.

Er sah die Sterne nicht.

LichtgeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt