Hörst Du nicht...

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57. Jir'Gran 2145 n.n.O


Mit dem schwindenden Licht des Tages wurden auch die Schatten an den Wänden der kleinen Junggesellenwohnung blasser. Nicht, dass Tribald sonderlich auf die heraufziehende Nacht achtete – trotz der jahrelangen Ermahnungen seiner Eltern.

Stattdessen lächelte er zufrieden, als seine letzte Spielkarte zwischen die leeren Bierflaschen auf den Tisch segelte. Der junge Mann hatte genau mitgezählt. Es war der letzte Trumpf im Spiel und keiner seiner drei Gegner hatte dem etwas entgegenzusetzen.

„Gebt es schon zu", feixte er mit breitem Grinsen und beobachtete wie die letzten Karten auf seinem Trumpf landeten und mit ihnen die letzten zu zählenden Punkte des Spiels in seinen Besitz gingen. „Ich hab euch aus-ge-zo-gen."

„Deine Betonung macht mir Sorgen, Tresenjunge." Doban verdrehte theatralisch die Augen – soweit, dass seine graue Iris nahezu komplett verschwand. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals wieder mit dir allein sein will."

Tribald verbot es sich bei diesem Anblick eine Miene zu verziehen, dennoch wollte er es nicht unkommentiert lassen: „Woah – das ist immer wieder abartig, das weißt du, oder?"

Doban und Daban prusteten los. Selbst Rhegis fiel in das Lachen der Zwillinge ein.

„Ich mein ja nur, dass du nicht gleich zum Monster werden musst, nur weil du mal verloren hast", murrte Tribald verschnupft. Zugegeben: der Konter war nicht so originell, wie der junge Mann es sich wünschen würde - aber das war immer noch besser als verlegen an den Ärmeln seines grünkarierten Arbeitshemdes zu zuppeln und den Spott einfach hinzunehmen.

Er zuppelte trotzdem.

Ärgerlich zwang er seine Hände zur Ruhe und begann stattdessen, die auf der dunklen Tischplatte verteilten Karten seiner Siegerrunde wieder einzusammeln. So entging ihm, wer von den beiden Zwillingen auf der anderen Seite des Tisches antwortete, denn nicht nur ihr Aussehen, sondern auch ihre Stimmen waren nahezu identisch. „Du meinst: Nur weil wir dich gewinnen lassen haben. Dein Gejammer die letzten Wochen war nicht mehr auszuhalten..."

Tribalds Lächeln verrutsche nur minimal. Zum einen, weil er natürlich nichts auf Dobans Gerede gab (oder war es doch Daban gewesen?). Zum anderen, weil er auf gar keinen Fall zeigen wollte, wie sehr ihn die bloße Andeutung dieser Möglichkeit tatsächlich traf. Seine Pechsträhne war zuletzt wirklich lang gewesen.

Vorsichtshalber wollte Tribald dieses Thema dennoch nicht vertiefen. Also formte er die Karten weiter zu einem säuberlichen Stapel und schob diesen demonstrativ an den Bierflaschen vorbei in die Mitte des Tisches. „Nun - Ich würd' euch drei Pennern gern noch weiter zeigen, wie wahres Können aussieht, aber dieser Tresenjunge hier muss los." Er lächelte ironisch als er den Spitznamen verwendete, den die Zwillinge oft für ihn benutzten. Doch da sie nicht nur Freunde, sondern auch ein zuverlässiger Teil seiner Stammkundschaft waren, war das wohl in Ordnung. „Morgen kommt eine Lieferung Bier aus den Flusslanden. Da muss ich früh auf der Matte stehen oder ihr Suffis steht demnächst auf dem Trockenen", verabschiedete er sich – liebenswürdig wie immer.

Alle lachten.

Und alle Blicke glitten durch die blank polierten Fensterscheiben hinaus, wo das Licht des Tages sich allmählich davonstahl und der Nacht Platz machte.

„Sicher, dass du nicht bleiben willst, Alter?", fragte Rhegis in die plötzlich aufkommende Stille. „Ist 'n Stück bis zu dir nach Haus. Das kannst du auch morgen früh noch gehen."

Tribald zögerte, während er gedanklich den Heimweg durchging. Bis er zu Hause war, würde es dunkel sein, selbst wenn er den ganzen Weg rennen würde. Einen Moment lang war er versucht, Rhegis' Angebot anzunehmen. Doch dann dachte er an sein eigenes, gemütliches Bett, während ihn hier nur die wohlbekannte Gästematratze erwartete, die bei Bedarf lieblos auf dem harten Holzboden ausgerollt wurde. Das gab den Ausschlag - Irrlichter hin oder her. Sie waren schon seit acht Zyklen nicht mehr gesehen worden. Warum sollten sie dann ausgerechnet heute auftauchen? Ausgerechnet bei ihm? Schließlich hatte er sein ganzes Leben lang nicht ein einziges Glitzern von ihnen gesehen. „Ach Du kennst mich - ich bin Heimschläfer. Und ich werd schon nicht die Senga machen."

Für diese Worte erntete Tribald einen ernsten Blick von seinem Freund. „Sag so was nicht", tadelte Rhegis ihn sanft. „Irrlichtgesänge zu hören ist-."

„Ich weiß, ich weiß", seufzte der junge Mann reumütig. Er wollte auch wirklich nicht in ihrer Haut stecken – obwohl sie nach allem was man so hörte noch Glück gehabt hatte, dass ihr Vater sie vor dem Schlimmsten hatte bewahren können. Irrlichter waren schon fiese Biester, denn sie stahlen die Zeit anderer Wesen bis von deren Körpern fast nichts mehr übrig war.

Schaudernd dachte der junge Mann an die Überreste ihrer Opfer, die er einmal gesehen hatte: nur Staub und ein paar Knochen, die noch in den Kleidern steckten, die der fremde Wanderer getragen hatte.

Trotzdem: Was hatte er schon groß mit dem Mädchen zu schaffen?

Rhegis' Blick war indes wieder zum Fenster gewandert. „Mir wär' es lieber, du würdest das Glücksspiel lassen und hier bleiben", versuchte er noch einmal, Tribald zu überzeugen.

Doch der junge Mann schnaubte nur belustigt. „Ach Du olle Glucke...", witzelte er leise, klopfte dann mit beiden Händen zweimal auf den Tisch und stand endlich vom Stuhl auf. Es wurde wirklich Zeit. Auf dem Weg zum Flur folgten ihm die drei anderen in unzufriedenem Schweigen. Tribald überhörte es geflissentlich und griff nach seiner dicken Jacke und den warmen Schuhen. Denn trotz des herannahenden Frühlings war es noch immer kalt draußen. „Es wird wirklich Zeit, dass es wieder wärmer wird - findet ihr nicht?", versuchte Tribald das Thema zu wechseln und den missbilligenden Blicken seiner Freunde auszuweichen.

„Dass Du aber auch nie hören kannst...", grummelte Daban und schüttelte resigniert den Kopf.

LichtgeflüsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt