neue Bekanntschaft

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Der Schwarze erhob sich und wollte gerade seine Hufe auf mich herab stampfen, da sah ich eine Hand nach seinen Zügeln greifen. Wie sie ihn aus meiner Richtung zerrten. Der Schwarze stampfte nach unten und spritzte dabei Schlamm umher. Ich konnte eine verschwommene Gestalt erkennen. Die Gestalt sagte etwas, aber ich hörte nichts, außer den Regen, der auf mich nieder strömte. Ich versuchte ein Gesicht zu erkennen, aber meine Sicht war zu verschwommen. Ich sah nur, wie er den Schwarzen unter Kontrolle brachte. Und ich weiß mittlerweile, dass es ein Junge war. Mit strohblondem Haar, blau-grauen Augen, Sommersprossen, die auf seiner Nase wie frisch gefallener Schnee lagen, damals wie ich vierzehn -kurz vor seinem fünfzehnten Geburtstag- und einem Lächeln, das wie von der Sonne persönlich geformt wurde. Aber damals ... Damals wusste ich es nicht, konnte nur versuchen aufzustehen. Er hatte den Schwarzen mittlerweile unter Kontrolle gebracht. Beim aufstehen blieb ich auf dem langen Saum des Kleides stehen und fiel zurück in den Matsch. Eine Hand wurde mir hingehalten. Ich wäre dankbar gewesen, aber als ich hoch sah, konnte ich trotz des Regens ein Lächeln erkennen. Er trug einen Hut, seine Sicht musste daher deutlich besser sein als meine, da ihm nicht die ganze Zeit Regen in seine Augen lief. Die mir hin gehaltene Hand schlug ich daher weg. Warum sollte ich auf die Hilfe von jemanden angewiesen sein, der mich auslachte? Das dachte ich damals. Ein schrecklicher Gedanke. Heute würde ich es wohl nicht anders machen. Ich war schon immer ein Hitzkopf. Ich zog den Saum hoch und sorgte dabei dafür, dass ein großer Riss entstand. Dieser reichte bis zu meinen Knien. Jedem Weiblichen Wesen wäre es wohl peinlich gewesen, nur mir nicht. Ich war zu aufgebracht. Heute muss ich immer lachen, wenn ich daran zurück denke. Ich riss ihm die Zügel aus der Hand und lief mit erhobenen Haupt davon. Ich konnte ein Lachen hören. Mir wurde außerdem etwas hinterher gerufen, aber ich verstand immer noch nichts. Ich hätte gerne gewusst, was er gesagt hatte, aber ich wollte mich nicht wieder umdrehen und fragen. Das wäre für mich nicht in Frage gekommen. Das wäre ja, als würde ich etwas von ihm wollen. Ein dummer Gedanke, ich weiß. Aber damals war nach etwas zu fragen, wie nach Hilfe zu betteln. Ich wollte alles alleine schaffen, ohne fremde Hilfe. Man kann das nicht vergleichen, das muss ich zugeben. Aber in diesem Alter denkt man erstmal nicht, man handelt nur. Voller Matsch und ganz nass. Nach diesem Moment hat mir meine Wut, die ich gegen dieses Lächeln hatte, so den Körper gewärmt, dass ich nicht mehr zitterte. Wobei, ein bisschen musste ich wohl vor Wut zittern. Ich lief den ganzen Weg zurück. Der Schwarze war ganz ruhig und lief entspannt neben mir her. Als ich dann am Anwesen ankam, war es schon dunkel und der Regen hatte aufgehört. Ich konnte Licht in den Fenstern erkennen. Ich wollte den Schwarzen zu erst in den Stall bringen, aber dann wurde die Eingangstür aufgerissen und die Hausfrau kam mit Kind im Arm und einigen meiner Schwestern nach draußen gestürmt. Der Rest meiner Schwestern sah aus der Tür raus. Alle mit Neugier im Blick. "Ach Mädchen, wie siehst du denn aus?", fing die Haushälterin mich mit zusammen gezogenen Augenbrauen ab. Sorge lag in ihrer Stimme. Sie war für alle wie eine Mutter. Besonders für mich. Sie nahm meine Haare und hielt sie hoch, ließ sie wieder fallen und lief um mich. Sie packte mich an einer Schulter. "Du hast heute noch gar nichts gegessen. Du bist doch eh so mager, du solltest die Mahlzeiten nicht vergehen lassen. Komm mit rein, überlass das Pferd Mister-"
"Keine Sorge, ich kann ihn selber in den Stall bringen." Mit diesen Worten ging ich los. Keiner sagte noch etwas, aber ich sah Charlotte, wie sie mir unauffällig in den Stall folgte, damit es niemand sah. Als ich dabei war den Schwarzen von seinem Sattel zu befreien, fing sie auch schon an zu fragen, nachdem sie die Tür hinter ihrem Rücken schloss und sich dagegen drückte. "Und? Was ist passiert? Geht es dir gut? Ich habe mir so schreckliche Sorgen um dich gemacht."
"Ich bin ausgeritten, es hat angefangen zu stürmen, ich bin vom Pferd gefallen, ich-"
"Du bist was?", fragte Charlotte ganz aufgebracht. Sie drückte sich von der Tür weg und lief auf mich zu. Sie sah mich von allen Seiten an und hob meine Arme hoch, nachdem ich den Sattel an seinen Ursprünglichen Platz legte. Ihre grünen Augen funkelten. "Tut dir was weh? Geht es dir gut?"
"Mach dir keine Sorgen, mir geht es prächtig." Ich schloss meine Augen und seufzte. Ich stellte mir die Frage, ob ich ihr von dieser neuen Bekanntschaft erzählen sollte. Aber wie bereits erwähnt, war sie meine einzige und beste Freundin. "Da war noch jemand." Ihre Augen wurden größer und ihr Mund öffnete sich. Dann fragte sie verwundert: "Wie noch jemand? Was meinst du? Bist du heimlich verlobt?" Heimliche Verlobung? Das ist bestimmt gerade eine groß geschriebene Frage. Warum sollte man sich denn heimlich verloben? Aber warum sollte man es nicht ist wohl die bessere Frage. Heimliche Verlobungen sind gar nicht so unüblich bei uns. Wenn einem der Zukünftige Partner von den Eltern -oder wohl eher vom Vater- ausgesucht wird, man aber selber entscheiden will, kommt es zu diesen Verlobungen. Das ist einer der Gründe, warum man die Töchter so früh wie möglich mit jemandem verheiraten oder zumindest verloben möchte. Meistens wird schon bei der Geburt der Mädchen nach guten Partien gesucht. Mutter hat einmal drei Mädchen auf einmal bekommen, da gab es Probleme für alle jemanden zu finden. Etwas leichter war es dafür bei den Zwillingen.
"Nein! Bist du verrückt? Quatsch mit Soße. Warum sollte ich?" Ich war ganz aufgebracht. Ich wollte nicht heiraten. Ich wusste wie Vater war. Ich wusste wie seine Freunde waren. Ich kannte ein paar Männer aus der Stadt. Bei dem Gedanken an einen Mann, dem ich dazu auch noch untergeordnet war und mit mir machen durfte, was er wollte, wurde mir schlecht. Nein, heiraten kam für mich überhaupt nicht in Frage. Besonders nicht, wenn ich an Mutter denke und wie Vater bei ihr reagiert hat. Dabei krampfte sich mir der Magen immer wieder aufs neue zusammen.
"Stimmt schon. Du magst ja keine Männer." Dass ich sie nicht mochte war eine Untertreibung. Ich hasste sie regelrecht. Warum sollten Frauen unter Männern stehen? Das war total unfair. Ich war für Gleichberechtigung. Aber als Mädchen und auch als Frau hatte man nun mal nichts zu sagen. "Du drückst das viel zu freundlich aus. Aber stimmt schon." Ich wandte mich an den Schwarzen, streichte ihm seinen Kopf und sagte: "Du bist ganz schmutzig, aber das kann ich dir erst morgen raus bürsten, besonders, weil der Matsch noch nicht richtige getrocknet ist." Ich küsste ihn noch mal auf die verstaubte Stirn und verabschiedete mich dann von ihm. Ich lief raus und Charlotte kam mir hinterher gerannt. Wir waren gerade auf dem Weg zur Hintertür. Es war eine Sternenklare Nacht. Der Mond war nicht zu sehen. Das fand ich traurig. Ich mochte den Mond. Er hatte so was verlassenes an sich, genau wie ich. Von vielen Sternen umgeben, aber doch so einzigartig und allein. Wenn man stirb, dann kommt man angeblich in den Himmel. Was wenn ich sterbe? Komme ich dann vielleicht zum Mond? Ob wir dann gemeinsam einsam sein können?
"Kanntest du ihn denn?", unterbrach mich Charlotte; riss sie mich aus meinen Gedanken. "Nein. Ich glaube nicht. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Es hatte zu stark geregnet." Als ich das sagte, fiel mir plötzlich wieder dieses Lächeln ein. Eine innere Wut machte sich wieder bei mir breit. Mein Gesicht verfinsterte sich Augenblicklich. "Nur dieses verdammte Grinsen in seinem Gesicht.", sagte ich Zähne knirschend. Das schien Charlotte aber ganz anders zu verstehen. "Er hat dich angegrinst? Oh wie romantisch." -Hände an ihren Kopf geschmiegt, verträumter Blick, leichtes hin und her schwingen- "Ist er jetzt dein Heimlicherverehrer?" -anfangendes Stottern, Geste ändert sich in erklärende Handzeichen und ich die nur ganze Zeit ihre Augen verrollte und sie nachäffte. Sie lief hinter mir und konnte es daher nicht sehen- "Also nicht für dich heimlich ... Also ich meine ja wegen Vater, aber ... Also für dich ja auch irgendwie, du hast ihn ja schließlich nicht erkannt. Ich meine natürlich, du hast etwas von ihm erkannt, aber nur sein Lächeln. Also nicht ganz so heimlich. Du würdest ihn sicher an seinem Lächeln erkennen. Das wäre zumindest möglich ... Oder? Also-" Ich hielt ihr meinen Finger vor ihren Mund und sie hielt abrupt inne, während sie meinen Finger anstarrte. "Shhh. Wir sollten darüber nicht reden, wenn Vater, unsere Schwestern oder irgendwer sonst in der Nähe ist." Charlotte merkte, dass wir schon an der Hintertür angekommen waren. Ein Ausdruck der Sorge erschien auf ihrem Gesicht und sie ließ ihre Schultern hängen. "Vater war nach dem Frühstück ziemlich aufgebracht. Er hat uns alle raus geschickt ... Wir konnten ihn trotzdem schreien hören. Es war schrecklich. Der kleine Prinz musste sogar anfangen zu weinen." Wir nannten unseren Bruder den kleinen Prinz, weil wir fanden, dass er wie ein kleiner Prinz war. Heute macht mich die Erinnerung an ihn traurig. Ich hatte nicht lange Zeit mit ihm, was es noch trauriger machte, aber zu dem Grund kommen wir später. "Dann hat er ja wegen mir weinen müssen. Auch wegen Vater, aber ich habe ihn so wütend gemacht, wobei er mich ja zuerst wütend gemacht hat." Ich sprach schon mehr zu mir selbst, als zu Charlotte. "Eve, bitte mach dir deswegen nicht so große Gedanken, du wirst dir jetzt mehr Gedanken um dich selber machen müssen. Vater ist stinksauer auf dich. Und seine Wut ist bestimmt nicht kleiner geworden. Maria versucht ihn bestimmt schon zu beruhigen. Besonders nach deinem jetzigen Auftauchen." Sie sah mich von oben bis unten an, sah die Schmutzigen Stellen besonders an. Maria, wie eine Mutter. Besonders für mich. Ich nannte sie trotzdem nur die Hausfrau. Es würde zu sehr weh tun, wenn ich weg müsste. "Dann hoffen wir mal, dass sie ihn beruhigen konnte. Du weißt doch, er hört nicht gerne auf Frauen."
"Ja, aber auf Maria. Auf sie hat er doch bis jetzt immer gehört. Zumindest ein bisschen." Ich nickte ein paar mal, wobei ich meinen Kopf immer mehr zur Seite legte und verzog dabei meine Lippen. "Wir hoffen einfach mal, dass es so ist", sagte ich und drehte mich gerade zur Tür. Doch ich schaffte es nicht ganz, da spürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz an meiner Wange. Ich taumelte etwas zurück und fasste an die schmerzende Stelle. Charlotte hatte derweil schon erschrocken ihre Hände vor den Mund gehalten und sah dem Schauspiel schockiert zu. Ich wurde mir langsam bewusst, was in diesem Augenblick geschehen war. Ich drehte meinen Kopf zum Übeltäter und sagte nur Fassungslos: "Vater ..."
"Ich habe es so satt mit dir. Immer bringst du mir nur Ärger. Ich hätte dich schon viel früher härter rann nehmen müssen. Dann würdest du mir jetzt nicht so auf der Nase herum tanzen. Johanna wird bald heiraten und für dich habe ich noch nicht einmal im Ansatz jemanden gefunden! Kein Mann will eine Frau, die ihm auf der Nase herum tanzt und nicht auf seine Befehle und Worte hört", sagte Vater zornig. Eine Ader auf seiner Stirn pulsierte und sein Kopf war so rot, dass die Mädchen ihn schon eher für eine reife Tomate halten mussten. Dann fuhr er etwas ruhiger fort: "Du musst dabei jemanden heiraten. So schnell wie möglich. Noch vor deiner Volljährigkeit. Das ist bei dir besonders wichtig."
"Warum ist das denn bei mir besonders wichtig? Die anderen müssen doch erst zur Volljährigkeit heiraten!"
Vater, der bis eben noch nachdenklich zur Seite schaute, drehte sich abrupt zu mir um.
"Warum das bei dir so wichtig ist? Das geht dich gar nichts an!"
"Natürlich geht es mich was an! Es ist schließlich mein Leben! Es geht hier um mich und sonst niemanden!", sagte ich und flüssterte noch zerknirscht: "Außer vielleicht noch den Kerl, der mich heiraten soll." Dann sprach ich wieder lauter weiter: "Und außerdem will ich gar nicht heiraten! Und wenn, dann nur, wenn ich es mir aussuchen darf, wen ich heirate."
"Das hast du ja wohl nicht zu entscheiden.", lachte Vater.
"Ja aber warum denn nicht? Es geht hier ja schließlich nicht um dich, sondern um mich. Ich will selber über mein Leben entscheiden dürfen. Warum soll jemand anderes das für mich über nehmen, wenn ich selber entscheiden will?" Verzweiflung stand in meinem Gesicht. Ich versuchte es mit Handgestiken auszudrücken, indem ich mit meinen nach innen gerichteten Armen und Händen gegen meine Brust klopfte. Aber er lachte nur weiter.
"Du bist ein Mädchen, ein weibliches Geschlecht. Du hast weder Rechte zu entscheiden noch irgendwas anderes. Ich bin der Mann im Haus. Ich habe zu entscheiden. Frauen sind zum Kinder gebären da und nichts weiter. Ihr könnt keine Stellungen haben. Wir Männer haben das alles über euch Weibsbilder zu entscheiden. Ich sage dir, wen du heiratest, wann du heiratest und wie du heiratest. Ich entscheide deine Bildung und ob du über haupt eine bekommst. Du bist ein Mädchen, später eine Frau. Ihr braucht das eigentlich gar nicht. Frauen sind bekanntlich ja eh nicht so intelligent wie Männer. Frauen haben zu machen was ihre Männer ihnen sagen und Töchter das, was ihre Väter ihnen sagen. So wird auch später dein Mann über dich bestimmen, wenn ich dich in seine Obhut über gebe."
"Aber warum ist das denn so?", fragte ich betont. "Ich will selbst entscheiden dürfen. Warum sollen Männer so viele; all diese Rechte haben und Frauen nicht? Das ist komplett ungerecht! Ich soll nicht über mein eigenes Leben entscheiden dürfen, aber ein Mann schon? Warum ist das denn bitte so? Ich will das nicht!"
"Es kommt nicht darauf an, was du willst, sondern darauf, was ich sage. Männer verstehen nun mal mehr von der Welt als Frauen. Wir sehen auch hinter die Berge nicht nur davor. Das wirst du wohl aber leider nie verstehen. Du bist ja kein Mann."
"Was soll das denn nur heißen!?"
"Wie gesagt, du bist kein Mann, du verstehst nicht viel."
"Da hast du recht. Ich bin kein Mann. Deswegen verstehe ich eure dumme Art zu denken nicht! Ihr seid doch alle nur idiotische Schweine!", brüllte ich ihn an. Da fing ich auch schon die nächste Ohrfeige. Diesmal eine noch stärkere. Die Haut riss leicht auf und die Wange schwoll dick an. Er funkelte mich wütend an. Seine schwarzen Haare sahen nun noch dunkler aus. Er stampfte auf den grauen Kies unter seinen Füßen. Die Umrisse seines Körpers waren von dem Licht des Hauses gut beschienen. Er schnäuzte seinen Bart und befahl dann: "Ihr geht jetzt beide auf euer Zimmer. Und das ich ja nie wieder solche unerhörten Worte und Widersprüche aus deinem Mund kommen höre!" Er drehte sich um. All seine anderen Töchter standen schweigend an und in dem Türrahmen. Maria, die Hausfrau hielt sich eine Hand vor den Mund und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. Leise Schluchzer entflohem meiner Kehle. Ihr Gesicht voller Falten, dadurch, dass die ihre Augen so sehr zusammen kniff, sogar noch stärker als normalerweise. Vater sagte in strengem Ton: "Und ihr geht jetzt gefälligst auch alle auf eure Zimmer."

Wo die Zeit beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt