Abends in der Bibliothek

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„Ich habe Kopfschmerzen."

„Das höre ich mir jetzt schon das fünfte Mal in ner halben Stunde an."

„Ich weiß, aber es ist eben so."

Meine beste Freundin lag mit jammerndem Gesichtsausdruck und leicht aufgeplusterten Wangen soweit auf dem Tisch der Bibliothek, wie es ihre Größe und die Höhe des Tisches es ihr erlaubten. So wie sie da auf ihren Büchern und anderen Unterlagen lag, sah es tatsächlich leidend aus. Aber das würde ich ihr nicht sagen, weil sie sich sonst in diesem Aspekt viel zu bestätigt fühlen würde und dann auch noch selbstzufrieden leiden würde. Das musste ich nicht haben.

„Musst du das nicht trotzdem noch bis zum Ende der Woche fertig machen?" Mit hochgezogenen Augenbrauen warf ich ihr einen wissenden Blick zu.

„Ja Ja Ja, ich weiß. Aber ich will nicht arbeiten und selbst mein Körper bestätigt mir, dass es auf keinen Fall eine gute Idee sein kann." Demonstrativ legte sei schmollend ihren Kopf auf die angefangene Hausarbeit vor ihr.

Ich lachte sie dafür nur ein bisschen und leise aus. Beleidigt schlug sie die Augen wieder auf, um mich mehr gespielt als echt böse anzugucken. Das sah schon echt unterhaltsam aus. Vor allem die angestrengt zusammengezogenen Augenbrauen und ihre Schmolllippe dazu. Einfach herrlich.

„Dann geh doch einfach schon mal. Du musst mir nicht aus Pflichtgefühl heraus noch Gesellschaft leisten."

„Tu ich gar nicht!"

Kichernd sah ich ihn ihr Schmollgesicht. Natürlich tat sie das. Auch, wenn sie das nicht zugeben wollte.

„Hättest du dich mal nicht Gestern noch bis zwei rumgetrieben, wenn du um acht ne Vorlesung hast, neh." Die neckenden Worte standen im Kontrast mit einem liebevollen Lächeln auf meinen Lippen.

„Du kannst wirklich schon losgehen, ich muss eh noch das hier erledigen und ein paar Bücher zusammensuchen gehen."

„Aber bleib nicht wieder, bis die Nachtwache dich rauskehrt, ja?"

„Nein, Sir! Ich werde das Gebäude zeitlich verlassen und auf meinem Rückweg nur die beleuchteten und von anderen Menschen frequentierten Wege nutzen!"

Sie schnaubte nur leise.

„Aber ich habe damit ja auch Recht."

Wie konnte ich nur so eine liebe Freundin haben? Seicht lächelte ich in mich hinein.

„Nein nein, alles gut, ich passe auf mich auf, Mama."

Nach einem letzten Augenrollen auf meine Worte steckte sie ihre Hausarbeit ein und verließ das Gebäude. Allerdings nicht, ohne mir vorher nochmals einzubläuen, ich müsse um diese Uhrzeit auf mich aufpassen und ja nicht mit Fremden reden.

Saroki sorgte sich in diesem Punkt mehr um ihre Freunde als es meine Mutter bei mir je getan hatte. Nicht, dass sie sich nicht kümmerte, nur eben nicht mit demselben Eifer, den meine beste Freundin dabei an den Tag legte.



Nachdem ich endlich den theoretischen Entwurf meines Projekts fertig hatte, konnte ich nicht sagen, dass es mir besser ging als Saro ihren Zustand vorhin bejammert hatte.

Mein Kopf pochte leicht aber überaus präsent. Die Augen waren trocken und generelle Müdigkeit hatte sich schon seit einer Stunde in mir breit gemacht.

Mit einer Hand meine Augen reibend sortierte ich meine Materialien und verstaute alles, was ich mitgebracht hatte in meiner Tasche.

Jetzt durfte ich nicht nur noch die Bücher wieder zurückbringen, die ich mir aus gefühlt aller Ecken und zwei Etagen der Bib zusammengesucht hatte. Nein, ich musste auch noch andere suchen gehen in der Hoffnung, dass sie nicht wieder irgendein Vollidiot verstellt hatte.


Schwer seufzend massierte ich mir die Schläfen bevor ich den Stapel vor mir hochnahm, um ihn zurück zu bringen. Eigentlich klang es deutlich sympathischer, sie einfach liegen zu lassen, aber ich hasste jene Leute, die das taten. Also kann ich das nicht bringen.

Müde schlurfte ich langsam auf meinem Weg durch die Gänge gesäumt von hohen Regalen mit ihrer Last von Hunderten und Tausenden von Büchern und Schriften. Überall zwischen ihnen gab es Runde Tische zum Lesen und Lernen.

Um diese Uhrzeit war meistens niemand außer mir und ein paar weiteren verlorenen Seelen hier anzufinden. Und selbst dann verteilten sich alle soweit über die enorme Fläche, dass man auch denken könnte, man sei allein.

Auf dem Weg, das letzte Exemplar meines Stapels von vorhin wieder zurück an seinen Platz zu befördern, kam ich an einem der wenigen noch beleuchteten Tische vorbei. Es war keines der Gesichter, die man normalerweise hier um 23.00 noch antrifft.

Der Junge hatte etwas längere dunkle, braune Haare, die seine Gesichtszüge verdeckten, weil er, wie meine Freundin vorhin, mit dem Kopf auf dem Tisch lag.

Keine Ahnung, ob er es aus Frust tat, um eine Pause zu machen oder ob er einfach eingeschlafen ist.

Ich beschloss beim nächsten Mal, wenn ich hier vorbeikäme nochmal nachzugucken und ihn, wenn nötig zu wecken. 

Die Nachtwächter hier waren nämlich immer ganz wenig erfreut, hier jemanden zu finden, vor allem schlafend. Die Erfahrung hatte ich leider auch schon gemacht und wollte sie nicht unbedingt häufiger als nötig wiederholen. 

Man sieht sich immer zweimal - Oder mehr?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt