Kapitel 18

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Kann ich dich sehen?

Amber starrte auf ihr Handydisplay. Ihr Mund stand weit offen, als sie sich mit ihrer freien Hand eine Haarsträhne hinters Ohr strich. Unglaubwürdig starrte sie auf den Namen, der auch in der Nachricht stand. Owen.

Die Schmetterlinge in ihrem Bauch fingen wie wild an herumzuflattern. Er machte es ihr definitiv nicht einfach über ihn hinweg zu kommen.

Sie ging in ihrem Zimmer auf und ab, als sie überlegte, was sie ihm bloß antworten sollte. Am liebsten hätte sie ihn angerufen und ihm gesagt, dass sie den ganzen Tag mit ihm verbringen wollte. Sie wollte sich in seinen Augen verlieren und an nichts Anderes mehr denken müssen.

Er schaffte es ihren Plan in nur wenigen Sekunden über den Haufen zu schmeißen. Was wenn ihre Eltern einfach nie etwas von ihren Gefühlen für Owen erfahren würden? Sie müsste nur vorsichtiger sein, da war sie sich sicher.

Das Gefühl etwas Spontanes und Unüberlegtes zu machen löste in Amber etwas aus, dass sie nicht beschrieben konnte. Ihr war plötzlich egal, was schiefgehen könnte. Sie wollte einfach mal das tun worauf sie Lust hatte.

Ihre Finger schwebten gerade über dem Display, als das Handy erneut in ihren Händen vibrierte. Unter Owens ersten Nachricht erschien plötzlich eine neue.

Ich brauche Hilfe bei den Geschichtshausaufgaben

Oh. Amber spürte, wie die Schmetterlinge in ihrem Bauch plötzlich erstarrten. Verwirrt starrte sie immer noch ihr Handy an. Wollte er sie wirklich nur deswegen sehen?

Die Sehnsucht ihn zu sehen, mit ihm zu reden und ihn zu berühren siegte schließlich. Sie schluckte schwer und tippte schnell auf ihrem Display.

Ok. Wo wollen wir uns treffen?

Kaum hatte sie die Nachricht abgeschickt sah sie auch schon, dass er ihr antwortete. Ihr Atem stockte, als sie die Wörter las.

Wie wär's bei mir?, schrieb er ihr. Seine Adresse erschien keine paar Sekunden später unter der Nachricht.

Amber kaute auf ihrer Unterlippe herum. Alle Gründe, wieso sie Owen nicht mehr sehen sollte hatte sie plötzlich vergessen. Sie wollte sich auch nicht mehr an sie erinnern.

Sie antwortete ihm nur noch schnell, dass sie in ein paar Minuten da sein würde und kramte schon ihre Sachen zusammen. Sie lief durch das leere Haus, während sie ihre Hausaufgaben und den Autoschlüssel ihn ihren Händen balancierte.

Kaum hatte sie ihr Auto entriegelt, landeten ihre restlichen Sachen auf dem Beifahrersitz und sie startete den Motor.

Immer wieder rutschte sie nervös auf ihrem Sitz herum, als sie durch ihre Nachbarschaft fuhr. Sie hatte nicht nur das Glück, dass ihre gesamte Familie nicht zu Hause war, sondern waren auch keine Nachbarn auf den Straßen unterwegs, die sie hätte sehen können.

Die Häuser, an denen sie nun vorbei fuhr waren deutlich älter und kleiner. Sie standen weiter auseinander, als sie sich dem Rand von Huntsville näherte. Amber fand sich selten in den äußeren Bereichen ihres Orts wieder. Es gab nichts, was sie zuvor in diesen Teil Huntsvilles gebracht hatte. Hier konnte man nur heruntergekommene Häuser und ein paar Bauernhöfe finden.

Als sie an einem kleinen grauen Haus die richtige Hausnummer sah, fuhr sie in die Einfahrt und parkte ihr Auto hinter dem bekannten alten Pick-Up Truck.

Sie grub ihre Fingernägel in ihre Handflächen und nahm ein paar tiefe Atemzüge, als sie noch ein paar Sekunden reglos in ihrem Auto saß und auf das Haus starrte.

Es war alt und heruntergekommen und würde kaum Platz für zwei Schlafzimmer haben. Die weißen Fensterrahmen waren in die Jahre gekommen und konnten durch den Rost kaum noch als Weiß definiert werden.

Sie nahm wieder ihre Sachen in die Hand und lief langsam auf die Haustür zu. Die weiße Farbe blätterte bereits an dem Holz ab.

Kaum hatte ihr Finger die Klingel berührt, öffnete sich die Tür vor ihr schlagartig. Owen stand mit einem breiten Grinsen im Gesicht vor ihr, als er ihr die Tür aufhielt.

„Komm rein", entgegnete er ihr und öffnete die Tür noch ein Stück mehr.

Vorsichtig ging sie in das Haus, ihre Schulhefte umarmte sie fest vor ihrer Brust. Wie sie es schon von außen erwartete, war das Haus klein. Sie war keine zwei Schritte gegangen und stand schon im Wohnzimmer. Rechts von ihr war eine kleine Küche zu erkennen und links ein enger Flur, der womöglich zu den Schlafzimmern führte.

Sie drehte sich zu Owen um, als sie hörte wie die Tür ins Schloss fiel. Sein Grinsen war verschwunden, als er sich mit einer Hand seinen Nacken massierte.

„Willst du was trinken?", fragte er leise und deutete zur Küche.

Jetzt erst bemerkte sie, dass ihr Mund staubtrocken war.

„Gerne", flüsterte Amber und folgte ihm die paar Meter.

„Ich muss gestehen, dass wir nur Wasser und Cola da haben", sagte Owen, als sein Kopf im Kühlschrank steckte.

„Cola ist gut", antwortete Amber und lehnte sich am Türrahmen zur Küche an.

Kaum hatte Owen ihnen zwei Gläser Cola eingeschenkt, trug er sie auch schon ins Wohnzimmer und stellte sie auf dem kleinen Tisch vor der Ledercouch ab. Die Gläser leisteten nun seinem Geschichtsbuch und Notizen, die auf dem ganzen Tisch verstreut waren, Gesellschaft.

Owen setzte sich auf die linke Seite der Couch und klopfte mit seiner Hand auf die freie Stelle neben sich, woraufhin Amber sich erst in Bewegung setzte.

Ihre Gedanken wanderten sofort zu dem Abend in Anthonys Keller. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Doch noch vor ein paar Tagen saß sie erst dicht neben Owen auf der Couch, ihr nacktes Bein berührte damals seinen jeansbedeckten Oberschenkel. Ein kleines Lächeln wanderte auf ihr Gesicht, als sie sich nun neben Owen setzte – diesmal mit einer deutlich weiteren Entfernung.

„Bist du eigentlich alleine?", fragte Amber, als sie sich flüchtig im Wohnzimmer umsah. Es war recht leer. Gegenüber von ihr stand nur eine kleine Kommode mit einem Fernseher. Mehr als das und die Couch, auf der sie saßen, hätte allerdings auch nicht in das Zimmer gepasst.

Owen räusperte sich. „Meine Mom ist arbeiten."

„Sie arbeitet im Krankenhaus, oder?" Amber meinte sich zu erinnern, dass er ihr in seinem Auto nach Anthonys Party erzählte, dass der Jobwechsel seiner Mutter der Grund für seinen Umzug war.

„Ja genau, sie arbeitet als Pflegekraft", antwortete er und nahm einen Schluck aus seinem randvollem Glas.

Amber schaute auf ihr Geschichtsbuch in ihrem Schoß. Ihr Puls hatte sich seitdem sie angekommen war noch nicht beruhigt. Auch die Stille, in der sie sich befand, half ihr nicht dabei ihren schnellen Herzschlag zu kontrollieren.

„Ich muss dir was gestehen", sagte Owen plötzlich und drehte sich ein wenig, um ihr besser gegenüber zu sitzen.

Amber zog ihre Augenbrauen tief auf ihrer Stirn zusammen. Ihr Atem ging schneller, als sie seine nächsten Worte abwartete.

Hail Mary | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt