Kapitel 39

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Owens Magen zog sich zusammen, als er nach seiner ersten Unterrichtsstunde durch die Gänge der Huntsville High lief und sich mental auf seinen Gesichtsunterricht vorbereitete. Jedes Mal, wenn er Amber in dem Stuhl vor ihm sah wollte er am liebsten aufstehen, ihr Gesicht in seine Hände nehmen und sie küssen. Einfach so, mitten im Klassenraum. Doch das konnte er natürlich nicht. Amber hatte ihm deutlich gezeigt, dass für sie die Sachen zwischen den Beiden vorbei war, als sie vor zwei Wochen einfach so ihre Sachen packte und sein Haus verließ.

Also lief er nun am ersten Tag nach den Thanksgiving Ferien alleine und mit einem mulmigen Gefühl im Magen durch den Schulgang. Eigentlich hätte er guter Dinge sein müssen. Die Footballmannschaft hat die Playoffs erreicht und würde am Freitag im Halbfinale der Regionalmeisterschaft stehen. Alles war eigentlich gut für Owen. Coach Nelson zeigte ihm immer mehr Vertrauen und setzte ihn auch während den wichtigsten Phasen des Spiels ein, das Stipendium für die University of Tennessee hatte er vor ein paar Tagen endlich angenommen und seine Mom hatte es geschafft ihre Schichten so zu legen, dass sie am Freitag live beim Halbfinale sein konnte, obwohl es ein Auswärtsspiel war und er somit zwei Stunden entfernt von Huntsville spiele würde.

Doch Owen fragte sich, wie Amber wohl die letzten zwei Wochen und die Thanksgiving Ferien verbracht hatte. Konnte sie sich mit ihren Eltern versöhnen? Oder war sie den Feiertag alleine auf ihrem Zimmer? Die Fragen überhäuften sich in seinem Kopf und so langsam wusste er nicht mehr, ob es die richtige Entscheidung war sich zurückzuziehen, damit Amber ihre Beziehung mit ihrer Familie retten konnte. Denn er wusste, dass sie ihn niemals akzeptieren würden und er wusste auch, dass die Familie das wichtigste im Leben war und sie zu verlieren unheilbar wäre.

„Anderson! Wie waren deine Ferien?", hörte Owen Matts Stimme sagen, als er den Klassenraum betrat. Amber saß auf ihrem Platz, ihr Blick war konzentriert auf den Schreibblock vor ihr gerichtet. Doch er sah genau hin und beobachtete, wie ihre Mimik leicht zusammenzuckte, als Matt seinen Namen sagte.

Owen lächelte Matt kurz zu, als er sich auf seinen Stuhl fallen ließ. „War nichts Besonderes. Aber ich hab viel zu viel gegessen."

„Puh, wem sagst du das? Ich kann mich immer noch nicht richtig bewegen, weil ich mich so vollgefressen hab", meinte Matt und klopfte sich auf seinen Bauch.

„Solange du am Freitag wieder richtig fit bist..."

Matt stieß Owen seinen Ellbogen in die Seite und lachte. „Hey, mach dir keine Sorgen Anderson, ich werde das Beste Spiel meines Lebens spielen." Matt machte eine kurze Pause. „Und das wirst du hoffentlich auch."

„Klar", antwortete Owen, doch sein Blick wanderte zu Amber, die in der Reihe vor ihm saß. Ihm überkam das komische Gefühl, dass Gedanken an sie sein Können auf dem Rasen beeinflussen würde.

Amber konnte ihm nichts vormachen. Für sie war es vorbei. Er verbrachte den gesamten Geschichtsunterricht damit auf ihren Hinterkopf zu starren und hätte sich selbst schon fast als Stalker bezeichnet. Sie war wirklich gut. Selbst, als sie für ein paar Minuten die zu bearbeiteten Fragen von letzter Woche in ihrer Gruppe besprechen sollten, ließ sie sich nichts anmerken. Owen versuchte immer wieder ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, doch sie beschäftigte sich nur mit dem Unterricht und brachte sogar Matt und Jessica dazu sich konzentriert mit dem Thema zu beschäftigen. Owen wusste gar nicht, über welchen historischen Politiker sie sprachen, zu sehr war er mit ihr und ihren möglichen Gedanken beschäftigt.

„Bis später Jungs", sagte Jessica zu Matt und Owen, als die Schulglocke läutete und das Ende des Geschichtsunterrichts ankündigte.

Owen sah, wie Amber an Jessicas Seite verweilte und wartete, bis sie sich von ihm und Matt abwandte. „Bist du heute wirklich beim Training?", fragte er sie und versuchte seine Chance zu nutzen, dass Amber ihn wenigsten ansah.

„Du bist echt verrückt, ist es dir nicht viel zu kalt?", fragte Amber lachend. Einen Moment setzte Owens Herz aus und er sah überrascht zu ihr, doch dann bemerkte er, dass ihre Aufmerksamkeit Jessica galt.

Jessica schnaubte. „So kalt ist es jetzt auch wieder nicht. Habt ihr vergessen, dass wir in Tennessee leben?"

„Mal sehen, wie lange du aushältst", meinte Matt, verabschiedete sich von der Gruppe und verließ das Klassenzimmer.

Amber sah noch immer Jessica unglaubwürdig an. „Also mich würdest du auf keinen Fall zum Footballfeld schleppen können."

Autsch, dachte Owen. Er genoss die Trainingseinheiten, bei denen Amber neben auf der Tribüne zusah eindeutig am meisten. Kein Wunder also, dass er in den letzten Wochen nicht seine gewohnte Leistung abliefern konnte.

„Ich muss zu Mathe, sonst komme ich noch zu spät", murmelte Owen und massierte seinen Nacken.

„Bis später!", rief Jessica ihm zu.

Ihre Wege trennten sich vor der Tür des Klassenzimmers und ein letzter Blick verriet Owen, dass er sich vielleicht doch getäuscht hatte. Für einen Bruchteil einer Sekunde trafen seine Augen auf Ambers und er meinte in diesem Moment alles in ihnen lesen zu können. Sie konnte so gut wie sie nur wollte vorspielen, dass sie nichts mit Owen zu tun haben würde, doch er war sich nun sicher, dass es noch eine Chance gab. Und er würde sich genau überlegen, wie er sie zurückgewinnen konnte.

Als Owen nach der Schule den Rasen des Footballfeldes betrat, wusste er wirklich nicht, wie Jessica es auf der Tribüne aushielt. Die Temperatur war in der letzten Woche so stark gesunken, dass er mit einem langärmligen Oberteil unter seinem Trikot trainierte. Doch ein Blick auf die Tribüne, wo Jessica alleine saß und in ein Heft kritzelte, verriet ihm, dass sie in manchen Punkten wohl härter im Nehmen war als er.

Erst, als Anthony auf ihn zu joggte, riss er seinen Blick von der Tribüne und dem freien Platz neben Jessica.

„Wie waren deine Ferien?", fragte Anthony. Es war anscheinend das Einzige Thema an der Huntsville High an diesem Tag.

„War ganz gut. Ich habe die freie Zeit auf jeden Fall genossen", meinte Owen. „Hey, ich wollte mich nochmal bei dir bedanken, dass du mir so geholfen hast mit dieser ganzen Stipendiums Sache. Da blickt ja sonst kein Mensch mehr durch." Owen hatte, nach dem dritten Tag und gelichzeitig dem Tag, an dem er das letzte Mal mit Amber sprach, seiner Mom vom Stipendiums Angebot der University of Tennessee erzählt. Obwohl für sie beide ein Lebensziel damit erreicht war, wussten sie nicht weiter, zu kompliziert war der ganze Prozess. Also lud Owen Anthony zu sich nach Hause ein, der schon längst mehrere Stipendien angeboten bekommen hatte, schließlich eines in Florida annahm und somit der beste Ratgeber war.

Anthony lachte kurz. „Kein Thema, Anderson. Und? Hast du dich entschieden, oder willst du noch andere Angebote abwarten?"

„Ich gehe zur University of Tennessee", verkündete Owen und es tat so gut endlich die Neuigkeit der Welt zu verkünden.

„Krass, Glückwunsch Mann", sagte Anthony und klopfte ihm stolz auf die Schulter. Ihre Unterhaltung hatte auch die Aufmerksamkeit anderer Spieler geweckt, die entweder Owen kurz zunickten und wie es Anthony getan hatte, ihm auf die Schulter klopften. Owen beobachtete, wie Logan ein paar Meter entfernt sich mit der Hand über sein Gesicht strich. Seine Augenbrauen waren tief auf seiner Stirn zusammengezogen.

Hail Mary | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt