Irgendwann hielt ich es nackt in dem kalten Raum nicht mehr aus. Also zog ich widerwillig den Nachthemd artigen, weißen Fetzen an. Dieser lag zusammen mit der Bettwäsche auf der ekligen Matratze. Er hatte lange Arme und endete beim Knie. Das bezeichnete Marc also als "Schuluniform".
Wenig später ging die Sonne schon unter. Mein Gefängnis verwandelte sich in tiefste Schwärze, vor der ich mich fürchtete. Ich zog mich zurück in das Bett, das mich den schlimmsten Moment meines Lebens verspüren ließ. Dieses hasste ich von nun an. Eigentlich sollte ich es mögen, den ohne müsste ich auf dem harten Betonboden liegen. Unter der Decke verkroch ich mich von Kopf bis Fuß und versuchte nicht mehr daran zu denken. Jedoch überzog mich der heutige Abend mit tiefster Trauer, die mich einsam in den Schlaf weinen ließ. Ich vermisste eine Person, die jetzt für mich da war und mich tröstete. Stattdessen hörte ich nur mein schluchzen und spürte diese Leere. Nachts konnte ich wenigstens in eine heile Welt entfliehen, dachte ich jedenfalls.
Nicht lange dauerte es, bis ich einen derart grausigen Albtraum träumte, der mich schweißgebadet aufschrecken ließ. Zum Glück war es nur ein Traum! Ich erinnerte mich nicht genau, was dort geschah. Eines jedoch wusste ich noch: Ich erlebte in der unrealen Welt eine Zukunft, die nicht besonders feierlich für mich aussah. Furchtbare Dinge taten die beiden Männer mit mir. Schrecklicheres, als das, was ich bisher zu spüren bekam. Mutter war ein Teil davon.
Nein, das war nicht Real! Als ich noch ein kleines Kind war, kümmerte sich Mama gut um mich. Ich glaubte einfach nicht, dass sie wusste, was der angebliche "Herr Marx" mit mir tat. Wenn sie allerdings dachte das Haus sei ein Internat, musste sie aber ganz schön naiv sein. Irgendetwas an der Sache stimmte nicht. Mutter verschwieg mir einen Teil, auch wenn sie nie gewollt hätte, dass mich jemand so grob behandelte.
Diese Nacht quälte mich sehr. Kaum ein Auge tat ich zu. Nun versuchte ich nichts mehr zu fühlen, denn alle Gedanken, die in meinem Kopf herum schwirrten waren schlechte. Jedoch gehorchte mein Körper nicht. Es gab nichts was ihn hier hätte ablenken können. Ununterbrochen zogen mich die Worte in meinem Kopf noch tiefer. Die Hoffnungslosigkeit schien den Willen weiter Leben zu wollen zu verschlucken.
Selbst wenn ich aus diesem Drecksloch jemals heraus kommen würde, würde das Kind mich an meinen Vergewaltiger erinnern. Es täte mich den Horror, den ich hier erlebte immer wieder lebendig werden lassen, sobald ich in sein Gesicht blickte. Jedoch würde ich es nicht töten oder weg geben wollen. Das Baby trüge nicht die Schuld an seinem gewalttätigen Vater. Ich wollte ihm eine bessere Mutter sein, wie es meine zuletzt war. Jedoch würde ich es niemals ertragen können, es anzusehen.
Es sei denn ich wäre durch pures Glück nicht Schwanger geworden. Nein das war so gut wie unmöglich.
Hätte, würde, wäre...meine Zukunft hatte für mich keinen Sinn mehr. Außerdem schien es nicht so, als ob mich Marc und Bernd demnächst gehen lassen wollten.
"Je schneller ich sterbe desto eher werde ich dem Albtraum hier entfliehen", dachte ich.
Stundenlang saß ich auf dem Bett, die Decke um mich gewickelt. Ich starrte aus dem Fenster.
Heute war ein schöner, sonniger Tag. Dadurch wurde der Raum von Helligkeit erfüllt. Naja eigentlich war es immer noch recht düster. Für mich, die es nicht anders gewohnt war, erstrahlte das Zimmer regelrecht. Dies tat es gegen Mittag, wenn die Sonne über die Hochhäuser auf der anderen Straßenseite ragte. Allerdings nur für eine geringe Zeit. Dann verschwand der gelbe Feuerball hinter dem Dach des "Internats" und nahm seine freundlichen Strahlen mit sich. So wurde die schmale Gasse die meiste Zeit des Tages von einem düsteren Schatten verschluckt. Leider bedeckten die Wolken viel zu oft zur falschen Zeit den Himmel.
Das Tageslicht heute müsste also etwas besonderes sein, aber es war mir egal. Im Moment fühlte ich weder Freude noch trauer und dachte an nichts. So lange weinte und schrie ich, während mich meine eigenen finsteren Gedanken quälten. Ich spürte nur noch diese Leere und die Einsamkeit.