Heute war Montagmorgen 5.30 Uhr, Zeit um sich für die Schule ferig zu machen. Der Wecker hatte soeben geklingelt, sodass ich zwar wach war, aber nicht wirklich an das Aufstehen dachte.
Es war nämlich mein erster Tag in dem Internat, in das mich Mutter schickte. Darauf hatte ich überhaupt keine Lust.
Ich dachte darüber nach, wie wohl das Internat aussehen würde. Noch nicht einmal von außen betrachtete ich es. Schon jetzt vermisste ich meine Freunde. Mit ihnen zog ich immer um die Häuser und ging zum Feiern. Aber ich musste zu dem Internat, weil Mutter drohte, mich aus der Wohnung zu werfen, wenn ich dort nicht hin ginge. Ohne Geld und ohne Schulabschluss hätte ich dann keine Chance oder ein erbärmliches Leben gehabt. Also fügte ich mich ausnahmsweise ihren Anweisungen.
"Larissa, steh auf und mach dich fertig für die Schule!", rief eine hohe Stimme aus der Küche. Das war Mutter, die sich nicht gerade freute, mich zum Aufstehen bewegen zu müssen. Immerhin war ich schon 19 Jahre alt und müsste das alleine schaffen.
Widerwillig verließ ich mein warmes Bett, zog mich an und trottete in die Küche. "Was gibt es zu essen?", fragte ich.
"Brot und Wurst, mach es dir selbst!", antwortete Mutter schroff.
"Hm", murmelte ich, während sich meine Begeisterung in Grenzen hielt.
"Solange du bei der Hausarbeit keinen Finger rührst und dein Drogenproblem nicht in den Griff bekommst, mache ich dir bestimmt nichts mehr zu Essen", fauchte Mama mit heruntergezogenen Mundwinkeln und verschränkten Armen.
"Lass es gut sein. Darauf kann ich gut verzichten", meinte ich abweisend. Mit einem genervten Blick holte ich mir ein Brot und belegte es selbst.
Ich würdigte Mama nicht eines Blickes. Allein ihr Anblick ließ mich wütend werden. Sie meldete mich ausgerechnet bei dem Internat an, das viele Kilometer von meinem Zuhause entfernt war. Das machte es unmöglich außerhalb der Ferien meine Freunde zu treffen. Sie schickte mich gegen meinen Willen dort hin, wo ich alles, was ich bisher kannte verlassen musste. Ich bekam ein anderes Zimmer, in einer fremden Stadt bei Leuten, die ich noch nie sah. Das war unverzeihlich.
Nachdem ich fertig war, ging ich zu dem Auto meiner Mutter. Sie hielt es wohl nicht länger mit mir in einem Raum aus, sodass sie sich gleich in ihr Fahrzeug saß. Ihre Hände hielten das Steuer und ihr Blick glitt durch die Scheibe auf die Straße. Mama schien es nicht erwarten zu können, mich endlich loszuwerden bis zu den Ferien. Unterkunft hatte ich im Internat auch an den Wochenenden.
Ich stieg in das Auto und ließ mich auf dem Rücksitz nieder. Mutter fuhr, da ich keinen Führerschein hatte. Während der Fahrt flogen mir Gedanken durch den Kopf: "Ab jetzt würde mein Leben langweilig werden. Das Highlight werden die viel zu kurzen Ferien sein. Rauchen darf man nur außerhalb der Schule." Meine Mutter meinte es sei eine Chance für mich, von den Drogen wegzukommen. "Wie sollte ich den Entzug aushalten, wenn meine Hände jetzt schon zitterten und ein kalter Schweiß über meine Haut fließt?", fragte ich mich.
7.45 Uhr stellte Mutter ihr Auto auf den Parkplatz direkt vor dem Schuleingang ab.
Das Internat wirkte von außen groß mit mehreren Stockwerken. "Es würde wohl dauern, bis ich mich dort zurecht finden würde", dachte ich missmutig. Ich verzog das Gesicht zu einem angewiderten Blick. Die Fenster wirkten klein und veraltet. Die Mauer sah durch ihre abblätternde Farbe und die Risse renovierungsbedürftig aus. Dieses Gebäude ähnelte nicht gerade einer Unterkunft für Schüler. Hoffentlich sah es innerhalb schöner aus. Ich hatte keine Lust mich in einer Dusche mit Schimmel zu waschen.
Der erste Schritt in das Innere überzeugte mich zwar noch nicht, aber der saubere Paketboden und die weißen Wände sahen schon freundlicher aus.