* On a rainy day *

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River

River

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Die Dämmerung brach bereits über die Kleinstadt herein, als ich den Wagen auf den beleuchteten Parkplatz des Supermarktes lenkte. Es war der Einzige in der Gegend, der rund um die Uhr geöffnet hatte und war deshalb, trotz des voranschreitenden Uhrzeigers, an diesem herbstlichen Samstagabend noch relativ gut besucht. Dennoch hatte ich Glück und fand unweit des Einganges eine freie Parklücke, in welche ich mich quetschte.

Als ich schließlich ausstieg, landete etwas Kaltes, Nasses in meinem Nacken. Ein Regentropfen. Abschätzig hob ich meinen Blick gen Himmel, der sich zunehmend verdunkelte und das kommende Unwetter bereits ankündete. 

Regnerisches Wetter war nicht gerade untypisch für Cattersfield - dem Ort, in welchem ich aufgewachsen war. Nebelschwaden über dem Fluss, der die Stadt in zwei Hälften teilte, Tau auf dem Gras der Vorgärten und tiefgrüne, dunkle Wälder am Stadtrand gehörten die meiste Zeit des Jahres genauso hierher, wie Sand in die Wüste. Und dennoch konnte ich all dem Nichts abgewinnen. Erst wenn die Tage im Frühjahr wieder etwas länger und das Gras heller wurden, wenn die Knospen der Blumen sich langsam öffneten, feine Sonnenstrahlen den Fluss glitzern ließen und das kleine Städtchen in ein romanisches Licht tauchten, erfreute mich der Anblick des Städtchens. Doch alles in Allem konnte ich es kaum erwarten, dass mein letztes Jahr der HighSchool endlich vorüber war und ich ihr den Rücken zukehren konnte.

Gerade, als ich mit großen Schritten den Parkplatz überquerte und die Schiebetüren des Supermarktes auseinanderglitten, um mich passieren zu lassen, vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Ich musste nicht erst aufs Display schauen, um zu wissen, wer mich anrief. Mit einem leisen Seufzen fischte ich es heraus und nahm ab. 

"Was gibt's?" 

"Bist du da?" An dem Rascheln hörte ich, wie April sich am anderen Ende der Leitung aufrechter hinsetzte.

"Ja." Beinahe verdrehte ich die Augen. 

"Gut. Hast du schon die Chips, das Bier und...?"

"- Ich bin gerade erst rein, April", unterbrach ich meine beste Freundin belustigt.

"Ach so", für einen kurzen Moment verstummte sie. "Bringst du noch Tiefkühlpizzen und Ben & Jerry's mit?"

Ein flehender Unterton hatte sich in ihre Stimme geschlichen, der es einem schwer machte, die Bitte abzuschlagen. Sie musste nicht einmal sagen, welche Eissorte sie wollte. Schließlich hielten wir Cookie Dough die ewige Treue. 

"Willst du auch noch Brownies oder Donuts?", feixte ich.

"Oh jaa!" Ich sah geradezu vor mir, wie sie auf dem Sofa vor Aufregung auf und ab hüpfte und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

"Soll ich vielleicht noch einmal zurück und mir einen Einkaufswagen holen?"

Endlich kapierte sie, dass ich sie bloß aufzog und schnaubte verächtlich: "Stell dich nicht so an Hudson! Du hast doch wohl zwei Arme zum Tragen!"

Ich lachte, während ich die Gänge hinabschritt und nach den gewünschten Lebensmitteln Ausschau hielt. "Warum bist du denn nicht einfach mitgekommen, wenn dir so langweilig ist?" 

"Weil ich wie eine Vogelscheuche aussehe und in meinem Unterleib ein Krieg wütet, von dem ihr Männer keinen blassen Schimmer habt!", erklärte sie in dem Versuch empört zu klingen.

"Der Teil mit der Vogelscheuche hält dich doch sonst auch nicht ab", bemerkte ich schmunzelnd. In diesem Moment vernahm ich im Hintergrund das altbekannte Geräusch der Türklingel.

"Na endlich! Raul hat sich auch mal hierher bequemt, um mir Gesellschaft zu leisten - muss auflegen!", klärte April mich auf, während sie mit hundertprozentiger Sicherheit bereits zur Haustür hechtete. "Ach, und River? Beeil dich!"

Dann hatte sie auch schon aufgelegt, bevor ich etwas erwidern konnte.

Kopfschüttelnd machte ich mich daran, die Einkaufsliste abzuarbeiten. Nachdem ich gezahlt hatte, balancierte ich die Ausbeute schließlich auf meinen Armen nach draußen. Kaum waren die Schiebetüren auseinander geglitten, prasselte der Regen auch schon unablässig auf mich ein. Was zuvor lediglich vereinzelte Tropfen gewesen waren, glich mittlerweile eher einer, bis zum Anschlag aufgedrehten, Duschbrause. "Mist!"

Geduckt wich ich den dunklen Pfützen am Boden aus und lief so schnell wie möglich in die Richtung, wo ich geparkt haben musste. Schon nach wenigen Metern war meine Kleidung bis auf die Haut durchnässt und das Wasser rann mir in den Kragen und den Rücken hinunter. Endlich konnte ich die Umrisse von Aprils Wagen in der Dunkelheit vor mir ausmachen. Irgendwie gelang es mir, den Autoschlüssel zu fassen zu bekommen und die Türen zu entriegeln. Dann verfrachtete ich die Waren auch schon in den Kofferraum, bevor ich mich selbst ins behagliche Wageninnere rettete.

So ein Sauwetter!

Mit dem Zufallen der Tür wurden auf einen Schlag auch die Geräusche des Regens, welcher unnachgiebig auf die Windschutzscheibe und das Autodach prasselte, dumpfer. Doch als ich den Motor schließlich zum Leben erweckte, hatten sogar die Scheibenwischer Mühe, freie Sicht zu schaffen. 

Gerade, als ich den Rückwärtsgang einlegte und mich - eine Hand auf die Rücklehne des Beifahrersitzes gestützt - nach hinten umdrehte, nahm die Lautstärke des Regens auf einen Schlag wieder zu. Was zum Teufel...?

Wie von selbst schnellte mein Kopf zurück, nach vorne zu der Beifahrertür, die aufgerissen worden war. Mit einem frischen Windstoß kletterte just in diesem Moment eine zierliche Gestalt zu mir herein. Zuerst sah ich nichts außer ein schlankes Bein, auf welchem Regentropfen glitzerten. Dann folgte der Saum eines klatschnassen Satinkleides, das wie eine zweite Haut an ihrem Körper klebte und zu guter Letzt ein Kopf mit schulterlangen dunklen Locken. Atemlos zog die Frau die Tür hinter sich ins Schloss. Und auf einmal war ich inmitten des Regens auf engstem Raum mit ihr gefangen.

Mit großen Augen starrte ich sie an. War vollkommen perplex. Verfolgte, wie sie sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht strich und sich gleichzeitig zu mir herumdrehte. "Danke fürs Abholen, Baby", hauchte sie, als sich ihr Oberkörper vorneigte - mir entgegen. Ihre Stimme war warm und kam mir vage bekannt vor.

Noch immer war ich unfähig, mich zu bewegen, während die Zentimeter zwischen uns schwanden und mir ein blumiger Duft in die Nase stieg. Mein Atem stockte. Wollte sie mich etwa...? 

Ich konnte ihren warmen Atem bereits auf meiner Haut spüren, als sie plötzlich mitten in der Bewegung inne hielt und erschrocken vor mir zurückwich. 

In dem schwachen Licht der Straßenlaternen, das zu uns hineinfiel, trafen unsere aufgerissenen Augen aufeinander. Schweratmend und bewegungsunfähig starrten wir uns an, während die Zeit still stand.

Unterdessen klopfte mir das Herz lautstark in der Brust. Mein Blick huschte über dunkle Augenbrauen, geschwungene Wimpern, eine feine Nase und sinnlich dunkle Lippen. 

Ich kannte sie! Das war Rosé West, die da zu mir in den Wagen gestiegen und drauf und dran gewesen war, mich zu küssen!

Schluckend suchte mein Blick erneut den ihren. Sah sie langsam blinzeln. Hörbar nach Luft schnappen und erneut blinzeln.

Auf einmal war die Luft zwischen uns zum Zerreißen gespannt. Beinahe konnte ich sie vor Elektrizität surren hören, während das Blut in meinen Ohren rauschte und sogar die Geräusche des Regens übertönten. Normalerweise bot das Auto locker für fünf Personen Platz, doch in diesem Moment schien es zu klein für uns beide.

"Oh Gott!" Ihr Keuchen war leise, kaum wahrnehmbar. Und trotzdem riss es auch mich aus meiner Trance. Schnell zog ich meinen Arm hinter ihrer Rückenlehne hervor um mehr Distanz zwischen uns zu schaffen. 

Doch ebenso schnell wie sie zu mir hineingesprungen war, hatte sie die Tür nun bereits wieder aufgestoßen. Ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, floh sie. Floh hinaus in die Nacht und hinein in das Unwetter und ließ mich allein zurück.

The dust of starsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt