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Nur wenige Minuten, nachdem Torsten Halder das Esszimmer verlassen hatte, stand Sariel ebenfalls auf. Ihr war der Appetit vergangen, daran konnte auch der frische, geräucherte Lachs auf ihrem Teller nichts ändern. Alles schmeckte schal, so als sei das Leben schon lange daraus entwichen. Selbst die Marmelade hatte einen alten, abgestandenen Geschmack. Das musste an ihrer Stimmung liegen, denn Martha, die Haushälterin ihres Onkels, achtete stets darauf, dass nur das Beste auf dem Esstisch zu finden war. Andernfalls hätte er sie längst gefeuert.

            Mit einem Ruck versuchte sie, die düsteren Gedanken abzuschütteln. Ich bin ihm dankbar, wiederholte sie wie ein Mantra in ihrem Kopf. Sie hatte es in den letzten zwei Jahren zu einem unablässigen Refrain gemacht. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte sie sich allein zurechtfinden müssen. Was vielleicht besser gewesen wäre, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.

            Der kostbare Perser auf dem Fußboden verschluckte das Geräusch ihrer Schritte, als sie auf die Tür zuging. Sie musste diesen Raum verlassen. Oder noch besser, dieses Haus, das von der Wut erfüllt zu sein schien, die ihren Onkel gepackt hatte.

            Sie ging durch langen, weißen Gänge zu ihrem Appartement zurück. Das Innere der Villa war vollkommen in strahlendem Weiß gehalten. Einzige Ausnahme davon der Ballsaal, aber Sariel war sicher, dass dieser ihrem Onkel ein Dorn im Auge war. Von diesem Raum abgesehen, gab es nichts, was die sterile Einöde durchbrach. Holzböden, Teppiche, Möbel, Wände sogar die Bilder, die nicht im Ballsaal hingen, erstrahlten in einem blendenden Weißton.

            Die Flure waren mit dicken Teppichen ausgelegt, was der Grund dafür war, dass sie es zuerst nicht wahrnahm. Dann aber hörte sie es, ein leises Tapsen, die Schritte eines Tieres. Einer der Wachhunde folgt mir! Ein kalter Schauer rann ihren Rücken hinab. Das konnte nur einer der Rottweiler sein, die ihr Onkel hielt. Normalerweise waren diese Kreaturen in den Zwingern verbannt; nur nachts ließ er sie hinaus. Dann machten sie den Garten unsicher. Obwohl Torsten Halder immer wieder versichert hatte, sie würden Sariels Geruch kennen und ihr niemals etwas zuleide tun, ging sie ihnen aus dem Weg. Ihre Anwesenheit war mit ein Grund, weshalb sie abends niemals das Haus verließ.

            Vielleicht beabsichtigt er genau das damit. Ärgerlich vertrieb sie diesen Gedanken. Was war nur heute mit ihr los? Torsten Halder war mit Sicherheit kein herzlicher Mensch. Es lag nicht in seiner Natur, Gefühle auszudrücken oder liebevoll zu sein. Allein die Idee, er könne sie in eine Umarmung schließen, führte dazu, dass sich ein zynisches Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Nein, seine Stärke lag nicht darin, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Vielmehr im Gegenteil:  Wo immer er sich aufhielt, schien er eine Aura der Macht und der Aggression zu verbreiten. Aber egal, wie gefühlskalt er auf andere Menschen wirken mochte, so wusste sie doch eines: Er war der einzige Verwandte, den sie hatte.

 Noch immer dieses Tapsen. Ein Hecheln gesellte sich hinzu. Wie von selbst verlangsamten sich Sariels Schritte, bis sie stehen blieb und sich umdrehte. Da, nur wenige Meter von ihr entfernt, stand Rosco, der größte und - ihrer Meinung nach - am gemeinsten aussehende Rottweiler, den ihr Onkel besaß. Auch er blieb stehen, maß sie mit seinen Blicken und wartete gelassen auf ihre nächste Bewegung. Das zumindest war Sariels Eindruck, als sie ihn musterte. Vielleicht überlegte er sich auch nur, ob sie ein nettes Frühstück abgeben würde.

Wieder bahnte sich Furcht einen Weg durch ihren Körper. Aber das durfte nicht sein. Wenn diese Bestie ihre Angst spürte, war alles möglich. Auch das Undenkbare. Mit einem gezwungenen Lächeln drehte sie sich um, ging weiter in Richtung ihrer Räume. Immer darauf achtend, dass ihre Schritte gemessen waren. Obwohl sie nichts lieber getan hätte, als zu rennen.

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Er musste herausfinden, warum Sariel Angst hatte. Er konnte sich nicht erklären, was ihn dazu drängte, aber ihr Wohlbefinden war wichtig. Wichtiger als alles andere. Die energetische Verbindung zu ihr herzustellen, erschöpfte ihn. Aber auch das war ohne Belang. Er musste wissen, wie es ihr ging.

DämonenfluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt