Versuchen

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Summend höre ich der Musik zu, die etwas zu leise für meinen Geschmack durch die Lautsprecher kommt und trete durch die Tür. Mir kommt der kalte Wind entgegen und ich ziehe meinen Kopf näher an meine Schultern.
Schnell verstaue ich den gefüllten Müllbeutel in einer der großen Tonnen und betrete die Halle wieder. In diesem Moment sehe ich den Jungen, auf den ich bereits gewartet habe
Er läuft ein kleines Stückchen vor mir, sodass es nicht lange dauert, bis ich neben ihm laufe.

"Hey", begrüße ich ihn und erhalte einen fragenden Blick von ihm. Vielleicht sollte ich jetzt einfach weiterlaufen. Ich kann ihn doch nicht einfach, ohne große Überlegungen, ansprechen. Warum habe ich das getan?

"Hallo", antwortet der Mann und läuft mit einem geringeren Tempo weiter.

"Du... Also... Du...", stottere ich. Meine Gedanken sind ein einziges Chaos und gleichzeitig ist mein Kopf leer. Was habe ich mir dabei gedacht? Was soll ich ihm denn jetzt sagen?

"Mein Name ist Manuel", hilft mir der Junge und bleibt bei einer Bank stehen. Er mustert mich und sein Blick bleibt kurz an dem Schild hängen, welches an meinem Pullover befestigt wurde und meinen Namen trägt. "Und ich habe schon Schuhe, danke."
Er klopft einmal mit seiner Hand auf die Tasche, die über seiner Schulter hängt.

"Achso", sage ich bloß und möchte wieder etwas sagen, da hat er sich bereits umgedreht und zieht seine Jacke aus. Also begebe ich mich wieder auf den Weg zu der Hütte und möchte auf dem Weg dorthin am liebsten im Boden versinken. Mein Gesicht läuft rot an und als ich die Tür hinter mir schließe, muss ich seufzen. Wie peinlich.

Ich werde nie wieder versuchen mit ihm zu sprechen. Offensichtlich will er auch gar nicht mit mir reden.

"Die sollen endlich abhauen", murmelt Maurice und beobachtet die zwei Leute auf dem Eis mit müden Augen.

Er ist heute länger geblieben, weil ich ihm angeboten habe ihn nach Hause zu fahren. Normalerweise läuft er immer, jedoch will er noch bei einem Freund vorbeischauen und hatte ein bisschen Angst, weil es draußen schon sehr dunkel war als er Feierabend gemacht hat.

"Und du willst wirklich nicht nach Hause?", erkundige ich mich. Mein bester Freund kann seine Augen kaum offen halten und will dann noch jemanden besuchen.

Maurice schüttelt bloß den Kopf und lässt seinen Blick wieder über die Schlittschuhbahn gleiten. Manuel ist inzwischen darauf angekommen und fährt eine Runde, bevor er wieder damit anfängt seine Drehung zu üben. Ich drehe die Musik ein wenig lauter und merke sofort, wie seine Bewegungen viel lebendiger und dynamischer werden. Die Musik scheint ihm wirklich zu helfen.

"Dieser Junge ist ziemlich oft hier", bemerkt Maurice und hält sich die Hand vor den Mund, weil er erneut gähnen muss. "Und jedes Mal übt er diese Drehung. Ich habe noch nicht einmal gesehen, dass er es geschafft hat."

"Ist das nicht bewundernswert?", entgegne ich und beobachte den Mann auf dem Eis dabei, wie er von dem Boden aufsteht und noch einmal Schwung holt. "Egal was passiert, er steht wieder auf. Er versucht es immer und immer wieder."

"Ich hätte schon längst aufgegeben", meint Maurice und lächelt, als das letzte Paar auf uns zukommt und ihre Schuhe zurückgibt. Während Maurice arbeitet, schaue ich Manuel weiterhin zu.

"Glaubst du, dass diese Drehung wirklich so schwierig ist, dass er so viel Zeit benötigt, um sie zu lernen?", überlege ich laut, sobald die Gäste verschwunden sind.

"Keine Ahnung. Vielleicht hält ihn aber auch irgendetwas davon ab."

"Warum lernt er nicht einfach etwas anderes, wenn ihm diese Drehung nicht gelingt?", spreche ich meine Gedanken aus.

"Warum interessiert dich das überhaupt?", möchte Maurice wissen und mustert mich. "Jedes Mal, wenn ich arbeite, muss ich warten, bis er endlich abhaut, weil er eine Stunde vor Schluss kommt. Kann er nicht wie jeder normale Mensch früher kommen und früher wieder gehen?"

Ich ignoriere das Gemecker von meinem besten Freund und wende meinen Blick nicht von dem Eis ab.

"Ach du scheiße", flucht Maurice, weshalb ich fragend aufschaue. "Deswegen nimmst du jede Spätschicht, die du bekommen kannst. Seinetwegen bleibst du länger hier. Du stehst auf ihn."

"Ich stehe nicht auf ihn", widerspreche ich. "Ich schwärme vielleicht für ihn, aber ich kenne ihn doch gar nicht."

Ein lautes Lachen ertönt von meinem Freund, weshalb er seinen Mund mit seiner Hand bedeckt, was sein Lachen aber nicht vollständig unterdrückt. Ich schaue einmal zu Manuel, der aber wieder auf dem Eis liegt, an die Decke schaut und Maurice zum Glück nicht gehört hat.

"Was ist so lustig?"
Verwirrt schaue ich Maurice an, der plötzlich wieder hellwach scheint.

"Du bist lustig", antwortet Maurice und schüttelt amüsiert den Kopf. "Es sind jedes Mal diejenigen, die niemand erwartet."

Maurice hat Recht. Ich verliebe mich immer in die falschen. In die, die nicht einmal wissen, dass ich existiere. In die, mit denen ich noch nicht ein Wort gesprochen habe. Ich verliebe mich immer in diejenigen, bei denen ich keine Chance habe.
Einmal hat es funktioniert. Einem bin ich aufgefallen. Einer wusste, dass ich existiere. Und seitdem nie wieder. Seitdem trauere ich Leuten hinterher, die ich kaum kannte.

"Schau nicht so traurig", versucht Maurice mich aufzumuntern. "Vielleicht passiert genau das, was niemand erwartet. Vielleicht ist er derjenige."

Lachend verdrehe ich meine Augen und stelle fest, dass der Mann das Eis verlassen hat und wieder auf der Bank sitzt. Heute scheint kein guter Tag für ihn gewesen zu sein.

Nach meinem lächerlichen Versuch mit ihm zu sprechen, gehe ich selbst nicht davon aus, dass es dieses Mal anders ablaufen wird als die Male davor. Er ist genauso wie die anderen, in die ich mich verliebt habe.

Vielleicht sollte ich jetzt schon versuchen ihn zu vergessen, weil ich weiß, dass meine Schwärmerei für ihn zu nichts führt. Irgendwann wird er nicht mehr regelmäßig in die Halle kommen. Ich werde ihn dann nicht mehr sehen und spüre dann die gleiche Unzufriedenheit wie die letzten Male.

Maurice und ich schauen Manuel dabei zu, wie er die Halle verlässt und als er, kurz bevor er die Tür nach draußen öffnet, noch einmal einen Blick zu uns wirft, fasse ich einen Entschluß.

Ich werde es genauso machen wie Manuel. Ich werde immer und immer wieder versuchen meine Gefühle loszuwerden. Egal wie oft ich falle.

Diese Gefühle müssen ganz schnell verschwinden. 

Lieben Lernen - KürbismaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt