Nicht alles im Leben des halbwüchsigen Hexenmeisters war schlecht oder zumindest redete er sich das gerne ein, um nicht die Hoffnung zu verlieren. Denn Hoffnung war das einzige, das ihm Kraft schenkte, jeden Morgen wieder aufzustehen und mit einem vorsichtigen Lächeln in den Tag zu starten. Hoffnung war das, was ihn nicht verzweifeln ließ und er gedachte, diese Hoffnung so lange wie möglich am Leben zu erhalten.
Der halbwüchsige Hexenmeister hasste es in seinem Elternhaus, in dem sein Vater und der Onkel entweder stritten oder er sich Predigten von letzterem anhören durfte. Deshalb verbrachte er den größten Teil des Tages draußen und entdeckte sein Heimatdorf dabei von einer ganz neuen Seite.
Vorwiegend war er mit Clary unterwegs und war auch des öfteren bei ihr daheim. Für ihre Eltern war er quasi wie ein zweiter Sohn. Der halbwüchsige Hexenmeister musste zugeben, dass er sich der Fairchild-Familie manchmal näher fühlte als seiner eigenen und er genoss jede Sekunde mit ihnen.
Wenn er mit Clary unterwegs war, erlebten sie die unterschiedlichsten Dinge. Es gab aber auch Orte, an denen er ihr nicht folgen konnte, wie beispielsweise die Tanzschule.
Ihre Familie hatte Clary nämlich davon überzeugt, dorthin zu gehen und mit vielen anderen Mädchen tanzen zu lernen. Sie hatte sich erst geweigert, denn das würde heißen, dass sie nicht mehr so viel Zeit mit dem halbwüchsigen Hexenmeister haben würde. Schlussendlich ging sie aber dennoch hin, weil er sie überzeugte, dass es eine gute Sache war und er schon allein klar kommen würde.
Was sie nicht wusste, war, dass das gelogen war. Er kam überhaupt nicht klar und langweilte sich schrecklich. Außer der kleinen Rothaarigen hatte er keine Freunde, auch wenn er bemerkte, dass ihn manche der Mädchen nicht mehr ganz so ablehnend musterten wie noch früher.
Das war gut, aber noch lange kein Zeichen für eine gute Freundschaft.
Eines Tages, als er die Umgebung um das kleine Tanzgebäude erkundete, fand er einen schmalen Weg zwischen zwei Häusern. Er war gerade noch schlank genug, um hindurchzupassen.
Dieser ungewöhnliche Weg führte zu einem kleinen Hinterhof, an dem auch das Tanzgebäude lag. Durch ein großes Fenster konnte er eine Gruppe von Mädchen sehen, die sich rhythmisch zu einer unhörbaren Musik bewegten.
Er hätte dem nicht weiter Beachtung geschenkt, hätte er in diesem Moment kein leuchtend rotes Haar gesehen. Clary war bei dieser Gruppe und schien ihren Spaß zu haben.
Die Art wie sich die jungen Tänzerinnen bewegten, machte irgendetwas mit dem halbwüchsigen Hexenmeister. Es erweckte einen nie gekannten Wunsch.
Einen Wunsch, das auch zu können, aber das durfte er nicht. Die Schule war nur für Mädchen und er war offensichtlich keins. Dennoch wollte er diesen Wunsch noch nicht aufgeben, immerhin war da noch diese Hoffnung in ihm.
Gewillt, es zumindest zu versuchen, suchte er sich ein Plätzchen, an dem er die Tänzerinnen und vor allem ihre Bewegungen beobachten, sie ihn aber nicht sehen konnten.
Dann ahmte er manche Bewegungen probehalber nach und musste beinahe sofort lachen. Er bezweifelte, dass er Talent hatte und er fühlte sich zudem unglaublich albern, aber es machte auch Spaß.
Fortan kam er immer hierher, wenn Clary ihren Unterricht hatte und irgendwann weihte er sie auch in sein neues kleines Geheimnis ein. Sie hatte gequietscht vor Freude und auch sofort angeboten, ihm zu helfen besser zu werden.
Mit der Zeit wurde er tatsächlich ziemlich gut und bewegte sich mit einer ähnlichen Anmut wie die Mädchen in dem Fenster. Allerdings bekam das außer seiner besten Freundin niemand mit, denn er behielt dieses Hobby für sich.
Er wollte nicht, dass man ihn auslachte, denn natürlich war ihm klar, dass Tanzen nichts für Jungen war. Sein Onkel hätte ihn nur wieder Schwächling oder Weichei genannt und ihn dann eine Lektion in Sachen angemessenes Verhalten erteilt.
Der halbwüchsige Hexenmeister wollte das nicht, also behielt er sein Talent für sich. Dieses Geheimnis prickelte stets in seinem Bauch, als er daran dachte und er konnte sich nichts Besseres vorstellen.
Das regelmäßige Training hatte auch für merkbare Veränderungen gesorgt. Zum Beispiel bewegte sich der halbwüchsige Hexenmeister viel anmutiger und schwebte förmlich über den Boden und er konnte mindestens genauso gut mit den Hüften schwingen wie die Mädchen -auch wenn er das nie tat oder wenn nicht bewusst.
Allerdings war er ebenfalls viel selbstbewusster geworden und schon lange nicht mehr so unsicher wie früher. Das und er hatte etwas an Muskelmasse zugelegt, was ihn für andere wohl attraktiver machte.
Zumindest bemerkte er, dass ihm immer öfter manche Personen hinterhersahen, Mädchen und manchmal sogar der ein oder andere Junge. Ihm war das sehr unangenehm, denn immer wieder hatte er die Erinnerung des Händlers vor Augen und das Gefühl von dessen schwitzigen Händen auf seiner Haut.
Dann wurde ihm meistens übel und er übergab sich oder er musste sich kurz hinsetzten, um sich wieder klar zu machen, dass alles in Ordnung war und er das dunkle Haus nie wieder sehen musste.
Und auch wenn niemand sonst dieses Hobby zu sehen bekommen würde, so hatte es ihm so unglaublich viel gegeben, körperlich, aber vor allem seelisch. Der halbwüchsige Hexenmeister hatte einen Weg zum Abschalten gefunden, der ihn von den Strapazen des Alltags befreite.
Was er jedoch nicht wusste, war, dass sich das bald ändern würde. Dass sich sein ganzes Leben nochmals komplett auf den Kopf stellen würde.
Er würde nochmals die bittere Erfahrung von Verlust machen, genauso wie das alles verschlingende Gefühl brennender Wut. Diese Wut würde schon bald jede Faser seines Körpers zerfressen und ihn zu einem rachsüchtigen Monster werden lassen.
Der halbwüchsige Hexenmeister würde die Erfahrung von Schuld machen. Schuld und Scham für etwas, wofür er eigentlich gar nichts konnte. Sein ganzes Leben würde sich ändern, denn seine Zeit am Ort seiner Kindheit war schon bald abgelaufen.
-
Ich weiß, dass es ein etwas fieses Ende ist, aber ich bin noch nicht fertig mit dir, Alexander. Ich bin bei weitem nicht so talentiert, wie der Hexenmeister, aber ich möchte dir gerne zeigen, was für eine Bedeutung dss Tanzen für ihn hatte, denn zufälligerweise liegt das auch mir am Herzen. Ich hoffe, dass es dir gefallen wird.
DU LIEST GERADE
Zehn und eine Nacht
Fanfiction-Abgeschlossene Geschichte- -Kurzer Textauszug- Ich bin schon lange auf der Suche nach einem Gefährten, mit dem ich über das Königreich herrschen kann. Jedem, der Interesse hat, gebe ich eine Nacht, um sich vorzustellen und mich von sich zu überzeug...