Paradies und Hölle

4 0 0
                                    

Thoras kommt in einer regnerischen Nacht in Urm an. Der Wächter hat ihn bereits erwartet und empfängt ihn am Tor persönlich. "Ich danke Euch, dass Ihr mich so spät noch empfängt, Wächter.", dankt Thoras, als er in den Turm eintritt und seinen nassen Mantel von sich schmeißt. "Einen Sohn der Götter, wie könnte ich das nicht? Ihr besucht mich, Thoras, weil ihr zu ihnen wollt." Thoras wundert sich, dass der Wächter davon weiß. "Es scheint sich wohl herumgesprochen zu haben, dass ich von göttlichen Blute stamme." "Ihr vergesst, dass ich alles sehe. Daher ist auch dies mir nicht entgangen. Die Reise nach Evatri ist gewiss keine schwere. Doch die Evatoren müssen Euch den Einlass gewähren. Folgt mir." Thoras hört auf den Wächter und folgt ihm aus der schlichten Eingangshalle, in die 36-stöckigen Bibliothek des Turms von Urm. Die Regale voller Bücher, Manuskripte, Schriftrollen und einzelnen Schriften, stehen kreuz und quer in den 36 Räumen herum. Es ist ein einzelnes Labyrinth an Bücherregalen. An jedes zweite Regal, ist eine schiebbare Leiter gelehnt. Die Regale reichen die 36 Stockwerke der Bibliothek hoch, ohne auch nur einmal aufeinandergestellt zu sein. Zehntausende dieser Schriften befinden sich hier und Thoras fragt sich, wie die Priester und Gelehrten hier einen Überblick behalten können, ohne sich zu verlaufen oder das falsche Buch zu greifen. Der Wächter führt ihn drei Stockwerke hinauf, durch die unzähligen Regale hindurch, bis er dann abrupt stehen bleibt und ein blaues Buch aus eines der Regale zieht. Auf ihm steht etwas auf der Schattensprache geschrieben, in goldener Schrift. Es sind die typischen Symbole und Buchstaben der uralten Sprache. Das Buch ist recht dick und hat bereits einige Schäden an den Ecken erlitten. Der Wächter blättert gezielt, aber schnell, durch die trockenen Seiten, die kurz vorm Reißen scheinen. Dann stoppt er und sagt: "Da! Ich habe es gefunden, mein Herr." "Was steht dort, Wächter?", fragt Thoras und lunzt in die aufgeschlagende Seite. "Ihr müsst bloß meditieren, an einem hohen Ort. Je näher Ihr den Evatoren seid, so besser hören Sie Euch. Wenn sie Euch besser hören, können sie besser und schneller auf Eure Bitte antworten." "Ich verstehe.", bestätigt Thoras und blickt hinauf. "Ich begleite Euch hinauf. Wir nehmen den schnelleren Weg." Thoras nickt bloß und folgt dem Wächter durch ein kleines Portal, das dieser vor ihnen erscheinen lässt. Erst tritt der Wächter hindurch, eher Thoras diesem folgt.
Sofort danach, stehen sie auf der Kelchförmigen Spitze des Turms und der Wächter setzt sich auf den kalten Boden. Der Regen wird immer stärker und die vorher feinen Tropfen, werden zu dicken und schweren. Auch Thoras setzt sich hin, nur in einen Schneidersitz. Der Wächter spricht: "Hört auf den Klang des Regens. Atmet ein, atmet aus. Schließt die Augen." Thoras hört natürlich und schließt geschwind die Augen. Er konzentriert sich bloß auf das Plätschern der Regentropfen und die Stimme des Wächters. "Nun sprecht zu den Göttern, doch nur in Euren Gedanken.", sagt der Wächter und Thoras beginnt zu seinem Vater und seiner Mutter zu sprechen. "Vater, Mutter, holet mich im euer Reich, auf das ich gelehrt werden kann. Hört mich an.", wiederholt er immer und immer wieder, doch nichts passiert. "Sprecht deutlicher. Schreit es in Euren Gedanken.", rät der Wächter ihm und auch dem folgt Thoras. "Hört mich an! Holt mich nach Evatri! Ich bin euer Sohn! Lehrt mich! Wollt Ihr euren eignen Sohn etwa nicht?!", schreit er gedanklich in den Himmel. Dann plötzlich hört er keinen Regen mehr. Der Boden ist auch nicht mehr kalt und nass, sondern trocken und warm. Er spürt warme Sonnenstrahlen in seinem Gesicht und der Geruch vom Blumen und Gras liegt in der Luft. Thoras nimmt seinen Hände von den Knien und greift vor sich. Er tastet langsam den Boden ab und spürt weiches Gras. Er scheint auf einer Wiese zu sitzen, doch noch traut er dem nicht. Er tastet weiter ab und dann sticht ihn ein Stachel. Er zieht reflexartig die Hand weg und öffnet dabei die Augen. Vor ihm sind riesige Hügellandschaften, die vor grünem Gras nur so überlaufen. Einzelne Bäume stehen auf ihnen verteilt und um jeden dieser Bäume sind rote und weiße Rosen, orange, rote und weiße Tulpen, blaue Hortensien, Schwertlilien und kleine Narzissen, die wie ein bunter Teppich ausschauen. Dicke Hummeln und Bienen summen um ihn herum und verschwinden in den Blumenteppichen. Thoras blickt auf die weiße Rose, die von seinem roten Blut befleckt wurde und zieht sie heraus. Er bricht die Stacheln ab und riecht an der wunderschönen und wohlrichenden Blume. Er inhaliert den Duft richtig und schließt genießend die Augen. Als er sie öffnet, blickt er herunter und eine neue Rose ist nachgewachsen. Thoras dreht sich, mit der Rose in der Hand, um und erblickt einen riesigen Wasserfall in der Ferne. Zwischen weiteren Hügeln, ragt er empor und wirkt selbst auf diese enorme Entfernung gewaltig. Kurz vor ihm, ist ein gepflasterter Weg, der über die Hügellandschaft zum Wasserfall zu führen scheint. Er hält die Rose weiterhin in der Hand und geht zum Weg. Dort kommt ihm ein alter Mann auf einer Kutsche entgegen und grüßt den jungen Zwerg. Thoras gibt die Begrüßung wieder und der Mann verschwindet hinter den Hügeln. Thoras macht sich auf den Weg zum Wasserfall und folgt dem Weg.

Ikares: Das Land der ZwergeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt