Prolog - Flammen

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Glut. Flammen. Feuer.

Die merkwürdig vertraute und doch gleichzeitig unglaublich fremdartige Wärme hatte in ihrem Brustkorb begonnen. Genau dort, wo bei einem Menschen wohl ein schlagendes Herz gesessen hätte, war ein Feuer in ihr entfacht worden und es fühlte sich an, als stünden all ihre Arterien und Venen lichterloh in Flammen. Sie zitterte, ohne es wirklich zu bemerken, eine Art unkontrolliertes Zucken, das es ihr unmöglich machte, sich kalkuliert zu bewegen. Schon bald hatte sich der Brand von ihrem Torso aus durch die feinen Äderchen und Blutgefäße der Gliedmaßen ihres vielleicht zweieinhalb Stunden alten Körpers bis zu ihren Finger- und Zehenspitzen durchgefressen und sandten Stromstöße durch ihre Nervenbahnen bis in ihr Gehirn.

Was mit einem sanften, kaum merklichen, wenig störenden Kribbeln hinter den Lungen (nicht unähnlich dem eines eingeschlafenen Fußes oder Armes) begonnen hatte, hatte schon nach wenigen Sekunden ein schier unerträgliches Ausmaß erreicht. Das leicht stechende Prickeln hatte sich binnen Augenblicken in einen quälenden, brennenden Schmerz verwandelt, der jede andere Empfindung und jeden aufkommenden rationalen Gedanken im Keim erstickte.

Ihr blasses Gesicht glühte und die vor Schmerzen vergossenen Tränen schienen augenblicklich zu verdampfen, sobald sie ihre fiebrig geröteten Backen berührten. Kleine Dampfschwaden waberten um sie herum wie eigensinniger Nebel und verflüchtigten sich kurze Zeit später wieder in der warmen, nach abgestandenem Whiskey, verrauchtem Leder und scharfem Glasreiniger riechenden Luft.

Sie war stumm. Kein Laut verließ ihre bebenden Lippen, die rasch austrockneten, aufsprangen und sich miteinander verklebten. Die Zunge haftete geschwollen und taub an ihrem trockenen Gaumen und fühlte sich seltsam pelzig an. So, als gehöre sie gar nicht mehr zu ihrem Körper.

Es war unerträglich. Ein Schmerz, gänzlich unbekannt für den menschlichen Körper und höchstwahrscheinlich auch für den der meisten übernatürlichen Kreaturen, die sich unter ihnen tummeln. Ein allumfassender, allmächtiger Schmerz, hervorgerufen durch einen Fehler des Unfehlbaren. Die Art von Leiden, die selbst das grausamste, das gefühlloseste aller Wesen, den Vater aller Pein, zum widerwilligen Mitleid zwang. Nicht zuletzt, weil er gewissermaßen – teils bewusst, teils unbewusst – gleichzeitig Verursacher und Opfer des Schmerzes war, der sie von innen heraus aufzufressen drohte, auch wenn er sich Letzteres (noch) nicht vollständig erklären konnte... oder wollte.

Sie sank aus ihrer gekrümmten Position auf die Knie, ließ zu, dass sich scharfe Holzsplitter in ihre nackte Haut bohrten und stützte die Hände haltsuchend vor sich auf dem harten Boden ab. Ihr Atem ging nur mehr stoßweise und kleine, purpurrote Schaumbläschen, geformt aus einer siedenden Mischung aus Speichel und einer Flüssigkeit, die wir der Einfachheit halber einmal Blut nennen wollen, bildeten sich an ihren fest aufeinandergepressten, aufgerissenen Lippen. Salzige Tränen brannten auf ihrer glühenden Haut.

Hauch. Brise. Wind.

Ein flüchtiger Windhauch zog an ihr vorüber. Seine Eiseskälte stach zwar, fühlte sich auf ihrer geschundenen Haut aber dennoch an wie Balsam. Sie versuchte ihren Körper in die Richtung zu bewegen, aus der er gekommen war, doch ihr Leib gehorchte ihr schon lange nicht mehr.

Das Feuer in ihrem Inneren betäubte sie, nahm ihr die Sicht und benebelte den Rest des Verstandes, der ihr noch geblieben war, verstärkte jedoch auch ihre anderen Sinne. Ihr eigener keuchender, abgehackter Atem und das hektische Rauschen der Flüssigkeit in ihren Adern, klang unerträglich laut in ihren empfindlichen Ohren. Wie durch einen dicken, undurchlässigen Schleier glaubte sie das regelmäßige Pochen von auf und ab schreitenden Schritten wahrzunehmen – zuerst im Kreis gehenden und dann immer näherkommenden, schweren Schritten – doch es war ihr egal. Die Flammen, die sie zu verschlingen, in ein Häufchen Asche zu verwandeln drohten, machten alles andere, alles irdische irrelevant. Sie hatten ihr jegliches Gefühl und jede Angst genommen, die sie vielleicht unter normalen Umständen verspürt hätte, jeden Gedanken aus ihrem Verstand gelöscht und ihn durch puren Schmerz, reinste Agonie ersetzt. Ja, sie fürchtete sich nicht einmal vor der erdrückenden Realität des Todes, nicht vor der Ungewissheit, die sie danach erwartete. Wo jemand wie sie wohl nach seinem Ableben verweilen würde? Egal welche Folter sie auch erwarten könnte, es schien ihr die bessere Alternative zu ihrer jetzigen Situation zu sein. Zu Sterben erschien ihr plötzlich als der einzige Ausweg.

Fallender Stern - per aspera ad astra // Eine Supernatural FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt