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3. Schockstarre

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Meine Mom hatte mittlerweile den Wagen umrundet, meine Tür geöffnet und hielt mir eine Hand hin, um mir aus dem Fahrzeug zu helfen.

Während wir auf die gläserne Eingangstür zusteuerten, versuchte ich, mit beiden Händen mein Kleid etwas länger zu ziehen. Natürlich war mein Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt, denn jedes Mal, wenn ich losließ, rutschte es erneut auf seine ursprüngliche Länge zurück.

Als wir die Glastür erreicht hatten, wurde diese bereits von einem Kellner im Anzug geöffnet. Er komplimentierte uns mit einer einladenden Handbewegung ins Innere und führte uns zu einem kleinen Holztresen, auf welchem ein Gästebuch platziert war.

„Guten Abend. Sie haben reserviert, nehme ich an?", empfing uns ein weiterer Kellner und musterte uns freundlich. Er war offenbar für die Tischvergabe verantwortlich.

Während meine Mutter mit dem Mann sprach, ließ ich meinen Blick durch das Restaurant schweifen. Es war ohne Frage ziemlich edel, was sich sowohl in der Einrichtung, als auch in den Gästen widerspiegelte. In der Mitte des großzügigen Saales hing ein pompöser Kronleuchter, während links und rechts entlang der Wände Lichterketten gespannt waren. Die Tische waren außerordentlich elegant dekoriert und auch wenn das ‚LeMaire' definitiv ein wunderschönes Ambiente ausstrahlte, fühlte ich mich trotzdem deplatziert.

„Hier entlang, bitte", riss mich die Stimme des Kellners aus meinen Gedanken. Er durchquerte das Restaurant, während meine Mutter und ich ihm folgten. Vor einer großen Fensterfront mit Blick auf die Stadt kam er schließlich zum Stehen und deutete auf den davorstehenden Tisch. Als ich mich hinsetzen wollte, kam er mir zuvor und rückte meinen Stuhl zurecht, was mir einen erneuten Schweißausbruch bescherte.

Wir waren etwas zu früh dran. Dies war auch die Erklärung dafür, warum Moms Freund noch auf sich warten ließ. Um die Zeit zu überbrücken, bestellten wir uns schon mal Getränke.

„Sie müssten jeden Moment eintreffen", ergriff meine Mutter schließlich mit einem Blick auf die Uhr das Wort. Nachdem sie den Satz beendet hatte, drehte sie sich erwartungsvoll in Richtung der Eingangstür, aber bisher waren keine neuen Gäste eingetroffen. In diesem Moment fragte ich mich jedoch, ob ich sie gerade richtig verstanden hatte?

„Du meinst Robert", berichtigte ich sie mit hochgezogener Augenbraue. Dass sie ihn in der Mehrzahl angekündigt hatte, machte mich zugegebenermaßen noch nervöser, als ich es ohnehin schon war.

„Schatz, es gibt da noch eine Kleinigkeit", Mom nippte nervös an ihrem Glas Rotwein, bevor sie fortfuhr, „Robert hat einen Sohn. Ich habe es dir bisher nicht erzählt, weil ich weiß, wie introvertiert du sein kannst, und ich dachte, es sei das Beste, ihr würdet euch einfach direkt persönlich kennenlernen."

Ich konnte nicht anders, als sie völlig perplex anzustarren. Sie hatte mir den Sohn ihres Freundes mit voller Absicht verschwiegen und hielt diese Tatsache auch noch für eine gute Idee?

Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich die Eingangstür öffnete. Ein Mann trat ein und blickte sich suchend um, bis er schließlich in unsere Richtung schaute und uns aus der Entfernung ein Handzeichen gab. Er sprach noch kurz mit dem Kellner, bevor er sich schließlich auf uns zubewegte. Meine Mutter erhob sich daraufhin und schloss Robert mit einer liebevollen Geste in ihre Arme.

„Sophia, darf ich dir Robert vorstellen?", wandte sie sich anschließend an mich. Daraufhin erhob ich mich ebenfalls, um ihm höflich meine Hand zur Begrüßung entgegenzustrecken.

„Freut mich, dich endlich kennenzulernen. Deine Mutter hat schon so viel von dir erzählt", entgegnete Robert freundlich, während er meine Finger mit einem festen Händedruck umschloss.

Nachdem wir wieder am Tisch Platz genommen hatten, musterte ich Robert unauffällig. Die graumelierten Haare passten perfekt zu seinem gesamten Erscheinungsbild. Sein Anzug saß wie maßgeschneidert, was mich jedoch nicht wunderte. Ich wusste, dass er ein angesehener Arzt war und da musste er natürlich darauf achten, einen entsprechenden Eindruck zu hinterlassen. Er wirkte ohne jeden Zweifel sympathisch, aber gleichzeitig hatte er auch eine autoritäre Ausstrahlung.

Ich begann mich langsam ein wenig zu entspannen. Anscheinend hatte der mysteriöse Sohn von Robert keine Lust an dieser Familienzusammenführung teilzunehmen, was ich ihm nicht verübeln konnte. Jetzt brauchte ich nur noch eine Zeit lang eine interessierte Miene aufzusetzen, bis ich endlich wieder nach Hause konnte. Eigentlich wollte ich nichts weiter, als diesen Abend schnellstmöglich zu vergessen.

In diesem Moment gab Robert dem Kellner ein dezentes Handzeichen, woraufhin dieser unverzüglich an unseren Tisch trat und aufmerksam auf eine weitere Bestellung wartete.

„Eine Flasche Champagner, bitte", wandte sich Robert daraufhin sogleich an den Mann. Als sich dieser mit einem ergebenen Nicken bereits wieder von unserem Tisch entfernen wollte, ergänzte der Freund meiner Mutter noch: „Und vier Gläser dazu!"

Meine Kehle fühlte sich mit einem Mal ausgetrocknet an. Anscheinend erwarteten wir doch noch einen Gast und meine Hoffnung, doch irgendwie um eine Begegnung mit Roberts Sohn herumzukommen, zerplatzte wie eine Seifenblase.

„Wo bleibt er denn nur?", murmelte Robert mit einer leichten Anspannung in der Stimme. Diesmal war er derjenige, welcher erwartungsvoll in Richtung der Eingangstür sah. „Er wollte nur ein kurzes Telefonat führen, aber anscheinend definiert Gabe das Wort ‚Kurz' anders als ich."

Ich hörte den Namen Gabe zum ersten Mal und ärgerte mich erneut darüber, in was für eine Situation meine Mom mich gebracht hatte. Ich meine ... was hatte sie sich dabei nur gedacht? Das würde definitiv ein Nachspiel haben, was ich ihr auch sogleich mit einem genervten Blick zu verstehen gab. Insgeheim hoffte ich natürlich darauf, dass dieser Gabe umgänglich war, wobei mir der Gedanke, dass er mich einfach vollkommen in Ruhe ließ, immer noch am besten gefiel.

„Da ist er ja endlich!", hörte ich Robert plötzlich sagen. Er hatte sich bereits erhoben und gab der Person am Eingang ein Handzeichen. Sein Rücken verdeckte mir dabei die Sicht, aber ich war sowieso nicht besonders scharf darauf, seinen Sohn kennenzulernen.

Als ich dann jedoch erkennen konnte, wer sich da so zielstrebig auf unseren Tisch zubewegte, wurde mein gesamter Körper von einer unerträglichen Hitze geflutet. Am liebsten hätte ich auf der Stelle die Flucht ergriffen, aber ich war in eine Schockstarre verfallen und unfähig, mich zu bewegen.

Ich blinzelte ein paar Mal, um sicherzustellen, dass ich nicht halluzinierte. Aber egal, wie oft ich meine Augen schloss, er war es tatsächlich:

Gabriel Wright.

(In)Visible - How To Survive Senior High SchoolWo Geschichten leben. Entdecke jetzt