Kapitel 2

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„Schatz, wieso bist du die ganze Zeit auf deinem Zimmer? Ist irgendetwas?“, fragte Lorenas Mutter, die besorgt zu scheinen war. Die 19-Jährige richtete sich langsam auf und lehnte sich gegen das Kopfteil des Bettes: „Nein, alles gut. Ich bin nur etwas Müde“. „Du siehst auch ziemlich fertig aus. Schlaf‘ dich aus, es wäre schade, wenn du heute Abend nur körperlich Anwesend bist“, mit einer flinken Handbewegung griff ihre Mutter nach der Türklinke und deutete, diese zu schließen. Doch die Augen der Braunhaarigen weiteten sich bei dem Gedanken, dass ihr dasselbe wie vor einigen Stunden widerfahren konnte: „Kann ich nicht Zuhause bleiben?“.

„Weil du müde bist? Lorena, keine Ausreden. Es wird guttun, sich wieder unter Menschen zu mischen. Nach allem… Was wir durchgemacht haben“, zum Ende des Satzes hin, wurde die Dame immer leiser. Das Mädchen seufzte, ehe es schließlich zustimmte: „Ich werde bestimmt nicht müde sein, Mamma“. Mit einem zufriedenen lächeln wandte sich Lorenas Mutter ab, während das Lächeln ihrer Tochter augenblicklich verschwand.

Mit jeder Sekunde wuchs die Angst, dass es wieder passieren konnte. Das Mädchen hatte nicht einmal einen Namen für das, was ihr widerfuhr. Sie wusste, wenn sie es ihren Eltern erzählen würde, würden sie die Braunhaarige ohne zu zögern ins Krankenhaus fahren. Das Spiel würde von vorn anfangen. Schlaflose Nächte und nicht enden wollende Ängste. Sie hatte bereits ihre gesamte Kindheit dort verbracht, noch einmal würde die Braunhaarige es nicht aushalten. Und aus dem nichts überkam ihr der Geruch von Desinfektionsmittel: „Jetzt beruhige dich wieder, es wird alles gut“.

*
„Welches Kleid soll ich bloß anziehen? Diese Sarah hat einen so feinen Geschmack. Du glaubst nicht, was für eine Kleiderkollektion sie besitzt“, paranoid hielt sich ihre Mutter abwechselt zwei Kleider vor ihrem Körper hin. Mit einem leichten Schmunzeln betrat Lorena das Zimmer ihrer Eltern und ließ sich auf einem mit Fell überzogenen Sessel nieder: „Mamma, dass ist kein Duell, sondern ein Abendessen“. „Du verstehst nicht, was alles davon abhängen wird“, völlig aufgebracht warf sie das Kleid, welches sie in ihrer rechten Hand hielt auf das Bett, um sich ein anderes aus dem dunklen Fichtenholzschrank zu nehmen. Lorena konnte es nicht weiter verheimlichen, diese Situation ließ sie entzücken: „Oh ja, pass‘ bloß auf das die Welt nicht unter geht, nachdem du einen unpassenden Liedschatten aufgetragen hast“. „Oh mein Gott! An mein heutiges Makeup habe ich noch gar nicht gedacht!“, es dauerte nicht einmal zwei Sekunden, da hetzte die Dame aus dem Zimmer, um das Bad aufzusuchen.

*

So standen sie eine Stunde später vor der Haustür des Nachbarhauses. Lorena trug eine gewöhnliche Jeans, mit einem grauen Wollpullover und band ihre lockigen Haare zu einem Zopf. Ihre Mutter entschied sich für ein figurbetontes Kleid in Bordeaux, aber ihr Makeup passte nicht dazu. Ein engelsblauer Liedschatten zierte ihre Augenglieder und ein wenig zu viel Rouge trug sie auch.

Lorena musste schmunzeln, da ihr Vater gezwungen wurde, ebenfalls ein Bordeaux gefärbtes Hemd zu tragen. Doch als Joseph die Tür schwungvoll aufzog, überbot das alles: „Wehe ich höre Kommentare über meinen Anzug“. Die schweigsamen Blicke der Familie sagten jedoch genug aus. „Können wir herein?“ fragte Lorenas Mutter „Es ist kalt“. Mit einer Handbewegung deutete Joseph, dass sie das Innere des Hauses betreten können.

„Schöne Sterne auf deinem Anzug“, kommentierte Lorena beim Vorbeilaufen. Joseph biss sich auf die Zunge und schloss die Augen: „Zum Glück hat Sarah an den Brokkoli gedacht“.

Das Haus erschien dem Mädchen viel sauberer als vorhin. Vielleicht hatte Sarah sauber gemacht, oder man sah den Schmutz abends nicht so sehr, wie am helllichten Tage. Lorena konnte sich vorstellen, dass diese Frau einen guten Einfluss auf Joseph haben würde. Als seine Frau vor einigen Jahren starb, schottete er sich von der Außenwelt ab. Als sie gegangen war, hatte sie jeden Funken Lebenswille aus dem Mann gezogen. Einmal hatte das Mädchen sogar einen Korb voller Obst und Gemüse vor seine Tür gelegt, da er nicht einmal zum Einkaufen an die frische Luft wollte. Wie schwer es wohl sein muss, jemanden den man liebt, zu verlieren? 

𝐼𝓈𝓈𝓊𝑒𝓈Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt