Kira
"Kira, kommst du jetzt endlich?", höre ich meine Schwester von unten schreien.
Ja, das ist eine gute Frage. Das mit dem feiern gehen ist ja so eine Sache. Meine Schwester liebt es, ich hasse es. Na gut, hassen ist vielleicht übertrieben, aber ich hab meistens keine Lust. Der einzige Grund warum ich heute überhaupt mitgehe ist, dass meine Schwester und ich das erste Mal seit sechs Monaten wieder zuhause sind, in München. Ich bin nach meinem Abitur für ein halbes Jahr nach Tansania gegangen, Mara studiert bereits seit zwei Jahren in Hamburg. Grundschullehramt... wenn die mal Lehrerin wird hoffe ich echt, dass sie bis dahin erwachsen geworden ist.
Aber jetzt sind wir kurz davor aufzubrechen, um in irgendeinen Club zu gehen, dessen Namen ich schon längst wieder vergessen habe. Ich bin ehrlich gespannt.
Als ich die Treppe runter komme starrt Mara mich entsetzt an. "So willst du da auftauchen? In diesen Club kommen nur die Schönsten und Reichsten. Ich wette die Türsteher lassen uns nicht rein, du siehst aus, als wärst du vom Zug überrollt worden."
Dumme Kuh. Ich frage mich ob sie bei dem Teil mit dem Zug mein Outfit oder mein Gesicht meint, sage aber nichts. Ich brauche keinen Streit.
"Ich komme entweder so mit oder gar nicht. Außerdem sind wir ja auch nicht schön und reich.", antworte ich genervt. Mara schüttelt nur den Kopf, sagt aber nichts mehr.
Nachdem meine Mama uns nochmal gesagt hatte, dass wir auf uns aufpassen sollen, sind wir zum nächsten U-Bahnhof gegangen und haben dort noch eine gute Freundin meiner Schwester getroffen, Emily. Zu dritt stehen wir nun in der Schlange vor dem Club. Ich kann den Alkohol riechen, den die Gruppe aus vier jungen Männern vor uns trinkt. Außerdem stinken sie nach Zigaretten und billigem Parfum. Ich wende mich ab, solche Gruppen sind mir unsympathisch. Einfach nur ekelhaft wie betrunken die schon jetzt sind, der eine mit den kurzen blonden Haaren hat sich sogar schon übergeben.
Mara und Emily unterhalten sich über ihre Studiengänge. Da kann ich leider nicht mitreden, ich weiß ja noch nichtmal was ich in der Zukunft machen will.
Ich stehe abseits von ihnen, als einer der Jungsgruppe laut wird. Klang wie: "Komm doch zu uns, Püppchen." Ich wende mich ab, er hat sicher nicht mich gemeint. Wer kommt denn auch auf die dumme Idee, ein Mädchen in zerrissenen Jeans und zu großem Hemd Püppchen zu nennen.
Plötzlich packt mich einer der Typen an der Schulter, der Kerl mit den braunen Locken. Ich drehe mit um. "Was willst du?", keife ich in an. Er stinkt und soll mich in Ruhe lassen.
"Hahaha, die ist frech!", grölt er. Ich schaue ihn nur wütend an.
"Magst du nicht ein bisschen Spaß mit uns haben? Komm, wir feiern mit dir."
"Nein, danke." Ich möchte mich aus seinem Griff befreien doch er hält mich fest wie ein Schraubstock.
Langsam werde ich panisch. Hier sind doch Leute, warum hilft mir denn Niemand? Ganz einfach Kira, weil er doch gar nichts macht, versuche ich mich zu beruhigen. Es ist alles gut.Meine Schwester kommt zu uns rüber und fragt lachend: "Na, wer ist denn das, ist das ein Freund von dir?"
"Nein", sage ich, froh darüber, dass ich endlich nicht mehr allein bin. "Er wollte gerade gehen."
Tatsächlich dreht er sich wortlos um und geht wieder zu seinen Jungs, um dort wie ein Affe herum zu hampeln. So ein Idiot.
"Alles gut, Kira? Du siehst blass aus.", fragt Mara besorgt.
"Ja."
Es ist alles gut. Es ist nichts passiert, du hast nur überreagiert, beruhige ich mich selbst. Ich versuche mich zu sammeln und mich am Gespräch der anderen Beiden zu beteiligen.
Wir sind mittlerweile eh schon kurz vor den Türstehern, es sind nur noch die 4 Typen vor uns. Erstaunlicher Weise werden sie sogar reingelassen, obwohl sie echt ungepflegt und schon gar nicht reich aussehen. Bestimmt haben ihre reichen Eltern sie eingeschleust, oder sie dealen mit Drogen und haben so die richtigen Connections.
Jetzt stehen wir vor den Türstehern, es sind zwei. Ein großer, muskulöser und ein kleiner, rundlicher Mann, beide sehen nett aus. Na hoffentlich können sie auch für meine Sicherheit sorgen.
"Die Ausweise bitte."
Sehen wir so jung aus? Na gut, ich bin immerhin auch erst 19, also noch gar nicht sooo lange volljährig. Mara gibt mir meinen Geldbeutel, da sie ihn netterweise für mich aufbewahrt. Zu ihrem Outfit (ein schwarzes Cocktailkleid) gehört nämlich auch eine kleine silberne Handtasche. Ich zeige den Ausweis vor. Der kleinere Mann schaut ihn sich stirnrunzelnd an. Sein Blick wandert zu mir, und dann wieder zum Ausweis. Dann, endlich, winkt er uns durch.
Im Club ist es laut und stickig. Die Tanzfläche ist voll tanzender Menschen. Ach echt, Kira, die tanzen auf der Tanzfläche? Verrückt.
Mara schreit mir irgendwas zu, aber ich sehe nur, dass ihr Mund sich bewegt, verstehe aber kein Wort."WAS?", brülle ich.
Sie tut so als würde sie eine Flasche halten und daraus trinken. Ah, sie möchte was zu trinken holen. Ich nicke, denn ein bisschen Alkohol wird sicher nicht schaden, wenn ich den Abend überstehen soll.
An der Bar drängeln wir uns durch die herum stehenden Leute und Emily bestellt uns allen Cocktails. Sie bezahlt auch (echt überteuert, die Dinger) und gibt uns die Gläser. Ich trinke ein paar Schlucke und bin dankbar für das kühle Getränk, denn zwischen den Menschen Massen wurde mir ziemlich schnell ziemlich warm.
Bereits nach einer halben Stunde spüre ich den Alkohol. Mit meiner Größe und meinem Gewicht vertrage ich leider kaum etwas, aber die Zeiten in denen ich übertrieben habe und kotzend unter dem Tisch lag sind schon lange Vergangenheit. Mara und Emily zerren mich auf die Tanzfläche und hopsen wie Verrückte herum. Ihnen zuzusehen bringt mich zum grinsen und schnell schließe ich mich ihnen an. Ich kann überhaupt nicht tanzen, aber es macht unglaublich Spaß. Der Abend ist doch schöner als gedacht.
Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren, merke aber, dass ich langsam aber sicher mal die Toilette besuchen sollte. Ich fuchtel mit den Händen herum um Mara zu erklären wo ich hingehe, aber sie schaut mich eher verwirrt an. Egal. Ich gehe einfach in die Richtung in der ich die Toiletten vermute und genieße die Ruhe die abseits der Tanzfläche herrscht. Klar ich höre die Musik immernoch laut und deutlich, aber man könnte sich unterhalten. Und ich könnte meine Arme wieder ausstrecken ohne einem Fremden ins Gesicht zu fassen.
Zurück auf der Tanzfläche suche ich meine Schwester und Emily, kann sie aber nicht finden. Hilflos drehe ich mich um die eigene Achse und versuche, mich dabei so groß wie möglich zu machen. Wo sind die denn? Ich mache mich auf den Weg zur Bar, als mich jemand an sich zieht. Ich drehe mich zur Seite und sehe den Kerl mit den braunen Locken, er schaut mich an und wackelt mit den Augenbrauen. Pervers. Ich versuche mich zu befreien und weg zu laufen, aber er schlingt seine Arme um mich. Mein Herz beginnt zu rasen, aber ich bin zu perplex um mich zu wehren. Was will der schon wieder von mir? Erst als er beginnt unter mein Hemd zu fassen komme ich zu Vernunft und kicke ihm ins Schienbein. Schmerzerfüllt schreit er auf und ich nutze den Moment um davon zu rennen.
Kopflos laufe ich umher und suche meine Schwester, ich fühle mich schmutzig und benutzt. Was war das denn schon wieder, warum habe ich nur so ein Pech? Ich will einfach nur noch nach Hause.
In der Nähe der Bar rutsche ich auf einmal bei vollem Tempo in einer Pfütze (vermutlich irgendein Cocktail oder Bier) aus. Ich verliere mein Gleichgewicht und fliege in Richtung Boden. Beim Versuch mich festzuhalten packe ich einen willkürlichen Arm, kann meinen Fall aber nicht stoppen. Der Boden kommt immer näher. Ihh, bitte nicht. Es ist zu dreckig und klebrig um sich da hinzulegen. Aber es ist zu spät, ich klatsche auf den Boden, genauso wie die Flasche Bier von der Person an der ich mich festhalten wollte.
Aua. Alles tut weh, besonders mein rechtes Knie schmerzt stechend. Ich drehe mich um und sitze nun auf dem Boden. Ich blicke nach oben. Ein junger Mann schaut auf mich hinab. Ich kann nicht erkennen ob er wütend oder belustigt ist, aber eines weiß ich sicher: Er sieht unglaublich gut aus.