In den Hallen des Himmels, wo das Licht sich Gold strahlte und die Melodien, die durch die Flure flüsterten, lebte ein Engel, dessen Schönheit selbst die Sterne in Verlegenheit brachte. Seine Locken glühten so weiß wie frisch gefallener Schnee, während seine Augen den tiefen Ozean des Himmels widerspiegelten, strahlend blau und von unermesslicher Reinheit.
Einer, den Gott verehrte wie keinen anderen. Während die Menschen ihn anbeteten, hatte er nur Augen für seine liebste Kreation. In den Augen dieses Engels ruhte ein Funken, der in jedem Menschen, der ihn sehen würde, einen inneren Frieden bescheren würde. In seinen Augen ruhte eine Liebe, die jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft lag.
Doch obwohl Gott seinen Engel mit unendlicher Zuneigung umhüllte, konnte er ihn nicht loslassen. Die Vorstellung, seinen geliebten Engel der Welt draußen zu überlassen, war für ihn unerträglich. Und so beschloss er, ihn in einem Käfig aus purem Licht zu halten, eingebettet in die Schönheit des Himmels, um ihn für immer bei sich zu behalten.
Der Engel, der Gott mehr verehrte als alles andere im Universum, empfand eine tiefe Dankbarkeit für die Nähe seines Schöpfers. Doch mit jedem vergehenden Tag begann er, ein Verlangen zu spüren, das er nie zuvor gekannt hatte. Es war ein Sehnen, das sich in seinem Herzen regte, eine Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer, die seine Seele wie ein leiser Windhauch durchströmte.
Die endlosen Tage im Käfig begannen sich zu einem monotonen Fluss zu vereinen, ohne Abwechslung und bloß den Farben aus Gold und Weiß. Der Engel wollte leben und das nicht bloß in einem kleinen Käfig.Als er die Schreie seines Herzens nicht mehr ertragen konnte, brach er aus seinem goldenen Käfig aus. Es war kein schwerer Akt, denn der Käfig, der ihn umschloss, war nie durch Gitter oder Ketten versperrt gewesen. Nein, das Einzige, was ihn zurückhielt, waren die unsichtbaren Fesseln der göttlichen Worte, die ihn an diesem Ort festhielten.
Er versuchte davonzufliegen, doch seine Ungehorsamkeit ließ ihn fallen. Ein Sturz, der ihn hinab zog, durch die weiten Abgründe der Lüfte. Er verstand nicht, ob dies der Wille Gottes war oder doch sein eigenes Bedürfnis nach Freiheit, das ihn in die Tiefe zog.
Seine Augen schlossen sich und er prallte auf, direkt in der Hölle. Er hatte sich flackernde Flammen und schmerzerfüllte Schreie vorgestellt, doch stattdessen erinnerte ihn dieser Ort an die Erde, so wie er sie aus seinem ersten Leben in Erinnerung hatte.
Es war das Reich des großen Lucifers. Ein Ort, vor dem jeder Engel sich fürchtete. Wie noch nie zuvor, bereute es der Engel nicht, auf Gott gehört zu haben. Er bereute es auf seinen Willen gehört zu haben, denn im Innersten glaubte er immer noch dran, dass Gott das Beste für alle wollte.
Aber wer will ihn verurteilen? Der Engel hatte noch nie frei leben dürfen. Auch wenn dieser Engel das Zeichen für das Leben war, hatte dieser nie die Gelegenheit dazu gehabt, es selbst zu verspüren.
Und trotz dessen, was Gott ihm schon alles angetan hatte, hoffte der Engel, er würde ihn retten. Retten, aus den Tiefen der Hölle.Hinter dem massiven Felsen verborgen, verharrte der gefallene Engel in stiller Andacht, seine Augen geschlossen, während er mit flehendem Herzen zum Herrn betete. Doch wie so oft blieb eine Antwort aus, denn Gott offenbarte sich nur dann, wenn es seinem Willen entsprach. Schon einige Male hatte dich der Engel gefragt, was man tun müsste, um gehört zu werden, doch diese Frage blieb ihm verborgen.
Als er schließlich vergeblich die Augen öffnete, wurde sein Blick von etwas Wundervollem gefangen genommen, etwas von solcher Schönheit, dass selbst seine gefallene Seele erzitterte. Er erkannte schnell, dass dies niemand anderes sein als Lucifer sein konnte. Der Gebieter der Dunkelheit.
Lucifer reichte ihm die Hand, doch der Engel zögerte. Sein Blick schweifte keine Sekunde von ihm ab. Er stand von selbst auf, doch der Fall hat beide seine Beine so geschwächt, dass er nach vorne fiel, genau in die Arme Lucifers. Ein unerklärliches Gefühl der Wärme durchströmte seinen Körper, eine Wärme, die er nie zuvor gekannt hatte und die selbst, dem Gott nicht zu verleihen vermochte.
Auch Lucifer hatte schon Jahrtausende nicht mehr diesen Drang zu jemandem verspürt. Diese wollende Nähe verspürte er zuletzt bei Eva, der ersten Frau, die der Herr schuf. In einem Akt der Geste, der Erinnerung und vielleicht sogar der Verzweiflung reichte Lucifer dem gefallenen Engel einen Apfel. Der Engel zögerte, doch die Sehnsucht nach dem süßen Geschmack überwältigte ihn und ohne weiter zu überlegen, nahm er die Frucht entgegen.
Als Gott sah, was geschehen war, überkam ihn eine Wut, die die Sterne, den Mond und die Sonne erzittern ließ. Er wollte den Engel verfluchen, ihm allem berauben, was ihm verblieben war.
Der Engel verstand nicht, wie sein eigener Schöpfer zu solch einem unbändigen Zorn fähig war. Lucifer hingegen empfand keine Überraschung; er war es gewohnt, ihn so zu sehen. Lucifer war angewidert bei ihrer Wiederbegegnung und obwohl er es genossen hätte zu sehen, wie Gott seinen eigenen geliebten Engel für immer verdammt hätte, konnte er dies nicht zulassen. Also flehte er ihn an. So, wie er es zuletzt bei der ersten Frau tat. Lucifer flehte ihn an, den Engel bei sich zu behalten, doch Gott stimmte nur unter einer Bedingung zu.
„Solltet ihr beide euch im menschlichen Leben wieder aufs Neue verlieben, werde ich dir, Lucifer mein liebsten Engel, überlassen. Doch ihr beide werdet in Menschen wieder geboren, die ich mir aussuche. Werdet ihr euch nicht wiederfinden und verlieben wirst du nie wieder ein Recht haben, ihn wiederzusehen, geschweige denn, deinen Käfig zu verlassen. Ich werde dir deine eigenen freien Willen berauben, Eva."
Lucifer und der Engel stimmten der Bedingung zu. So wurde der Engel in einer wohlhabenden Familie als ihr ältester Sohn wiedergeboren, während Lucifer als jüngste Tochter in einer heruntergekommenen Gegend zur Welt kam.
Obwohl sie in derselben Stadt aufwuchsen, schienen die Umstände sie unaufhaltsam voneinander zu trennen. Lucifer behielt das Gefühl, er müsste jemanden finden und der Engel wuchs mit einem Gefühl auf, er müsse gefunden werden.
Und so wuchsen die beiden als Menschen heran, ohne zu ahnen, welches Schicksal sie miteinander verband und welches Ziel sie im Leben verfolgten.

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Even the Devil was once an Angel
Short StoryEs gibt eine Geschichte über einen Engel, dessen Haare so weiß wie Schnee und Augen so blau wie der Himmel waren. Er war Gottes liebste Schöpfung und Gott wollte ihn um nichts in der Welt verlieren. Doch der Engel sehnte sich nach Freiheit und als e...