Without Love

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Mattes griff in seine Tasche und zog einen Gegenstand daraus hervor. Es war der blaue Glücksbringer, den Jana ihm damals geschenkt hatte. „Lieber Mattes, dies ist mein Glücksbringer. Ich dachte schon, er funktioniert nicht mehr, aber dann hat er dich zu mir geschickt. Ich hoffe, er hilft dir auch, wenn du jemanden brauchst. Deine Jana." Das hatte in dem Brief gestanden, der bei dem Glücksbringer gelegen hatte. Er kannte den Text auswendig, da er sich den Brief oft durchgelesen hatte. Er drehte den blauen Stein in seiner Hand. Bis jetzt hatte er noch niemanden zu ihm gebracht, wenn Mattes jemanden gebraucht hatte, doch er mochte den Glücksbringer. Er würde ihn mitnehmen, wenn er sprang. Er würde ihn in der Hand halten. Plötzlich hörte er eine Stimme hinter sich. „Hey, Sie, was machen Sie da?" Er drehte sich um und sah einen kräftigen Mann neben der Dachluke stehen. Wahrscheinlich ein Dacharbeiter. Der Mann bewegte sich auf ihn zu. „Bleiben Sie dort stehen oder ich springe." Seine Stimme klang merkwürdig hohl. Der Mann blieb stehen. „Wollen sich jetzt auch schon die Polizisten in den Tod stürzen? Ich dachte ihr wärt die, die andere davon abhalten." Vom Gesicht des Mannes konnte man definitiv Verwirrung ablesen. „Verschwinden Sie." Mattes war überrascht wie barsch seine Stimme klang. Der Mann warf ihm noch einen Blick zu und ging dann zurück zur Dachluke. Mattes drehte sich wieder um und sah nach unten. Er stand noch etwa einen halben Meter von der Kante entfernt. Wie tief es hier wohl nach unten ging? Es mussten mindestens zehn Meter sein, was ihm den sicheren Tod bescheren würde. „Hallo, Polizei?", hörte er den Mann hinter sich sagen. Er stöhnte innerlich auf. War ja klar, dass der Mann sofort Mattes Kollegen alarmieren würden. „Ich bin auf dem Dach des Elbkrankenhauses. Hier steht ein Mann in Polizeiuniform. Er droht mir, dass er springt, wenn ich näherkomme." Mattes sah nach unten. Entweder er sprang jetzt oder er würde sich noch mit seinen Kollegen unterhalten müssen. Aber in irgendeiner Weise wollte er das. Er wollte, dass sie zusahen, wenn er sprang. „Na ja, vielleicht so 1,80 groß, kurze braune Haare und auf so 'nem Namensschild stand Seeler oder so ähnlich.", hörte er den Mann hinter sich sagen. Na super, jetzt wussten seine Kollegen auch noch, dass er es war, der hier oben stand. Gleich würden sie hier sein und versuchen ihn davon abzuhalten zu springen. Aber er würde springen, egal was sie sagten. Es vor den Augen anderer zu tun, erfüllte ihn mit einer gewissen Befriedigung. Auch wenn wahrscheinlich niemand um ihn trauern würde. Außer vielleicht...Melanie? Nein, wahrscheinlich nicht einmal sie. Er erlaubte sich den Gedanken nicht, zu glauben, dass Melanie um ihn weinen würde. Zwischendurch hatte er einmal das Gefühl gehabt sie wären Freunde. Jetzt wusste er nicht mehr, was er denken sollte. Würde Melanie überhaupt hierherkommen? Er brach den Gedanken ab und bemerkte, dass er wollte, dass sie hierherkam. Mattes wollte, dass sie zusah, wenn er sprang. Er wollte den Schmerz in ihren Augen sehen, bevor er den Schritt machte und sprang. Würde da überhaupt Schmerz sein? Sie waren doch nur Kollegen. Wahrscheinlich würden alle seine Kollegen auf seiner Trauerfeier sein, würden erzählen, was für ein guter Mensch er doch gewesen war und dann würden sie einfach wieder ihrem Leben nachgehen und niemand würde je wieder ein Wort über ihn verlieren. Er sah auf den Glücksbringer in seiner Hand. „Ich hoffe, er hilft dir auch, wenn du jemanden brauchst." Immer wieder wiederholte er diesen Satz in seinem Kopf. Der Glücksbringer hatte ihm nicht geholfen. Er hatte immer jemanden gebraucht und es war niemand da gewesen. Er lächelte ein wenig, als er den blauen Stein in seiner Hand betrachtete. Mit seinem Finger fuhr er langsam über die Rillen und Furchen darin. Jana ging es jetzt wahrscheinlich gut mit ihrer Familie. Sie wurde geliebt. Von ihren Eltern, sowie von ihrer Schwester. Und Mattes? Hatte er jemals wirkliche Liebe erfahren? Nicht einmal seinen Eltern, die er seit Jahren nicht gesehen hatten, schien er wichtig zu sein. Es war richtig hier zu stehen. Richtig, all dem ein Ende zu setzen. 

Notruf Hafenkante - Broken WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt