Verzweiflung

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Wütend auf sich selbst hob Melanie die Hand und wischte die einsame Träne, die aus ihrem Auge gerollt war, weg. Wieso fing sie ausgerechnet jetzt hier an zu weinen? Normalerweise passierte ihr das nie und außerdem brachte es rein gar nichts. Auch ihre Tränen würden Mattes nicht davon überzeugen, zurücktreten. Sie schluckte die Tränen hinunter und sah sich nach ihren Kollegen um. Claudia und Tarik hatten sich zurückgezogen und besprachen gerade etwas mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr, wobei sie immer wieder kurze Blicke zu Melanie warfen. Nun lag es also an ihr. Wenn sie Mattes nicht vom Gegenteil überzeugen würde, würde er springen. Sie wandte den Blick wieder zu ihrem Partner, dessen Blick zu ihrer Überraschung nicht wieder in die Ferne abgeschweift war, sondern auf ihr lag. Sie musste erneut die aufkommenden Tränen unterdrücken, als sie sah, dass ihn nur noch wenige Zentimeter vom sicheren Tod trennten. Seine Augen blickten sie nun nicht mehr so kalt an, eher sanft, aber dennoch bestimmt. Sie zwang sich, ihre Stimme ruhig zu halten, als sie wieder begann zu sprechen. „Was meinst du wohl, was ich ohne dich machen würde?", fragte sie. Mattes Mundwinkel zuckte kurz. „Du wirst schon klarkommen.", sagte er, während er weiterhin mit einem undefinierbarem Gesichtsausdruck ihr Gesicht musterte. „Das glaubst du?", erwiderte Melanie, während sie versuchte, irgendetwas aus den Augen ihres Partners abzulesen. Sie schaffte es einfach nicht, ihn zu verstehen. Warum tat er das alles hier? Was machte ihn so verzweifelt, dass er sich gleich umbringen wollte? Sie brauchte ihn doch. Er konnte sie jetzt nicht alleine lassen. Nicht nach allem. Mattes antwortete nicht. „Warum...warum tust du das hier?" Sie wollte nur eine Antwort. Eine einfache Antwort. Was auch immer es war, sie könnten es doch gemeinsam anpacken. Das Problem gemeinsam versuchen zu lösen. Wieder antwortete er nicht, sondern warf einen weiteren Blick nach unten. Die Angst, dass er sich noch weiter nach vorne bewegen würde, schnürte ihr die Kehle zu und sorgte dafür, dass ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten. Nicht weinen., murmelte sie sich innerlich zu. Nicht weinen. Das hilft dir hier nicht. „Mattes, jetzt rede doch mit mir, verdammt nochmal.", sagte sie und schaffte es tatsächlich, ihre Stimme ruhig zu halten. „Du würdest es nicht verstehen.", sagte ihr Partner ohne sie anzusehen. Er starrte jetzt wieder in die Ferne. Melanie nutzte die Zeit und machte ein paar vorsichtige Schritte in seine Richtung, um sich ihm unbemerkt zu nähren. Als Mattes sich wieder umdrehte, erstarrte sie. Sie wusste, dass er bemerkt hatte, dass sie sich auf ihn zubewegt hatte, doch er machte keine Anstalten sich noch näher zur Kante zu bewegen. In Melanie kam etwas Hoffnung auf. Vielleicht würde sie es doch schaffen, ihn davon zu überzeugen, nicht zu springen...? „Wenn du mir nicht erzählst, was los ist, kann ich nicht mal versuchen, dich zu verstehen.", sagte sie. „Ich dachte, als Partner wäre man füreinander da. Aber wenn du nicht mit mir redest, kann ich dir nicht helfen." „Du weißt nicht, wie das ist, oder?" Mattes wandte den Blick wieder ab. Er machte eine kurze Pause. Melanie vernahm ein leichtes Beben in seiner Stimme, als er weitersprach. „Alleine zu sein? Zu wissen, dass es niemanden interessiert, wenn es einem schlecht geht. Dass es niemanden interessieren würde, wenn man plötzlich weg wäre?" Er verstummte. Melanie starrte ihn entgeistert an. „Was redest du denn da?" „Ich hab ja gesagt, dass du es nicht verstehen wirst.", sagte Mattes, ohne sie anzusehen. „Du willst dich doch nicht vom Dach stürzen, weil du...weil du dich alleine fühlst?" Mattes schnaubte nur. Melanie konnte es nicht glauben. Das war nicht der Mattes, den sie kannte. Der Mattes, der selbst in den ausweglosesten Situationen, noch einen Ausweg sah. Dieser Mann, der gerade vor ihr stand, war nicht Mattes. Da war dieses Hoffnungslose, dieses Verzweifelte. Vielleicht hatte sie in letzter Zeit zu wenig auf ihn geachtet. Sie hatte sich zu sehr auf die Arbeit konzentriert und hatte nicht einmal bemerkt, dass ihrem Kollegen etwas so zu schaffen machte. Langsam begann sie sich ernsthafte Vorwürfe zu machen. Wenn er springen würde, dann war es indirekt ihre Schuld. Hätte sie besser auf ihn aufgepasst, würde er hier vielleicht nicht stehen. Mattes Blick war inzwischen wieder in die Ferne geglitten, als wäre er tief in Gedanken versunken. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 08, 2021 ⏰

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